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Telemedizin: Schub durch die Corona-Pandemie?

Die Corona-Pandemie ist weiterhin in vollem Gange. Aber auch "normale" Krankheiten machen keine Pause. Zum Arzt gehen möchten viele jedoch aus Angst vor einer Ansteckung nicht. Kann hier die Telemedizin helfen? Wie weit ist die Entwicklung einer Diagnose und Behandlung per Internet? Und hat die Corona-Pandemie die Telemedizin vielleicht sogar vorangebracht?
ABO, 19.08.2020

Corona bringt nach Ansicht von Experten Schwung in die Telemedizin. Aber was kann die überhaupt leisten?

iStock.com, Geber86

Viele Kranke trauen sich in Zeiten der Pandemie nicht, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. So haben Mediziner während des Lockdowns beobachtet, dass Patientenzahlen in Praxen und Ambulanzen stark zurückgingen. Häufig ist die ausbleibende Behandlung aber gefährlicher als die Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Virus zu infizieren. Denn dadurch können Notfälle  zu spät erkannt und Betroffene gefährdet werden.

Das Beispiel Herzinfarkte macht es deutlich: Wer bei ersten Symptomen nicht zum Arzt geht, riskiert womöglich sein Leben. Auch bei chronischen Krankheiten wie Diabetes sind bei mangelnder Behandlung schwere gesundheitliche Folgen zu erwarten.

"Berliner Krankenhäuser, in denen Schlaganfall-Patienten versorgt werden, verzeichnen zurzeit einen deutlichen Rückgang von Schlaganfall-Patienten", erklärte die Berliner Gesundheitsverwaltung. "Es ist davon auszugehen, dass viele Patienten mit leichten Schlaganfällen oder auch Herzinfarkten aus Angst vor einer Infizierung mit dem Coronavirus zu Hause bleiben."

Aus der Krise lernen

Wie aber lässt sich dieses Problem lösen? Bietet möglicherweise die Telemedizin hier Ansatzmöglichkeiten? Immerhin hat die Corona-Pandemie die Digitalisierung in anderen Bereichen, wie beispielsweise dem Arbeiten im Homeoffice, stark gefördert. Inzwischen haben viele Unternehmen und auch Angestellte gelernt, dass das Arbeiten von zuhause aus gut funktionieren kann.

Einige Experten sehen einen ähnlichen Corona-Effekt auch in der Medizin: „Die COVID-19-Pandemie hat der Digitalisierung des Gesundheitswesens einen Schub verliehen, den es zu nutzen gilt“, so Sebastian Krolop von der Healthcare Information and Management Systems Society. Durch die Pandemie werde deutlich, dass eine bessere, digitale Vernetzung in Deutschland nötig sei, um zum Beispiel Medikamente schnellst möglich zu verteilen und Lieferungen zu organisieren.

Digitale Neuheiten

Während die Digitalisierung schon lange nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken ist, könnte sie bald auch im Gesundheitswesen eine größere Rolle spielen. Aber was ist Telemedizin überhaupt? Telemedizin umfasst die digitale Diagnose und Therapie von Krankheiten. Neu daran ist, dass der Arzt und sein Patient sich nicht persönlich gegenübersitzen, sondern per Smartphone oder Tablet Gespräche führen. Mit der Videosprechstunde können Patienten zum Beispiel ihre Beschwerden erläutern oder dem Arzt einen Hautausschlag zeigen. Auch Befunde oder Therapiepläne können besprochen werden. Neben den Sprechstunden übers Internet veröffentlichen manche Praxen mittlerweile auch regelmäßige Podcasts oder Videos, um ihre Patienten völlig kontaktlos zu informieren.

Ebenfalls Teil der Digitalisierung sind  elektronische Patientenakten. Statt Krankheiten und Therapien auf Papier zu dokumentieren, werden die Daten im Computer und teilweise auch schon auf der Versichertenkarte gespeichert. So können Informationen von medizinischen Geräten wie zum Beispiel von Herzschrittmachern gespeichert und überwacht werden. Das Speichern von Patientendaten wie beispielsweise Blutdruck oder Herzfrequenz können helfen, Krankheiten zielgerechter zu behandeln. Ärzte bekommen dadurch die Möglichkeit auf Daten früherer Krankheiten zurückzugreifen und können sich zusätzlich einfacherer mit Kollegen über Krankheitsverläufe austauschen.

Nachdem inzwischen die meisten Praxen und Krankenhäuser an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sind, soll Anfang 2021 die elektronischen Patientenakte eingeführt werden.

thinkstock.com, Ridofranz

Realistische Visionen?

Gerade in Zeiten von Ärztemangel und unerwarteten Katastrophen wie der Corona-Pandemie wird große Hoffnung in die digitalen Mittel gesetzt. Erste Versuche mit Telemedizin laufen in Deutschland bereits- beispielsweise in der Schlaftherapie: Aktuell werden Daten von Therapiegeräten von etwa einer Million Patienten über ein Telemedizin-Modul zu ihren behandelnden Ärzten gesendet. Dies kann dabei helfen, die Therapien für die Betroffenen besser abzustimmen. Das hilft den Patienten und auch die Kommunikation zwischen Hausarzt und Klinik wird beschleunigt.

Allgemein gilt: Durch die Telemedizin soll es für Patienten einfacher werden, mit Ärzten in Kontakt zu treten. Außerdem können sie in ihre digitalen Akten selbst einsehen und so ihre Therapie aktiv mitverfolgen. Der Zeitmangel von Medizinern sowie fehlende Praxen in ländlichen Regionen könnten durch die digitalen Möglichkeiten ebenfalls ausgeglichen werden. Auch wenn die Nutzung von technischen Geräten erst gelernt werden muss, können auch ältere Menschen, die Schwierigkeiten haben, eine Klinik zu besuchen, schneller ärztlich versorgt werden.

Risiken und Nebenwirkungen

Obwohl die telemedizinische Betreuung von Patienten viel Potenzial bietet, stehen ihr Ärzte bislang häufig noch skeptisch gegenüber. Eine Befürchtung ist, dass die persönliche Beziehung und das Vertrauen zwischen Arzt und Patient verloren gehen könnten. Außerdem werden ein erhöhter Verwaltungsaufwand und mehr Investitionen in IT-Systeme nötig. Soll sich diese Form der Digitalisierung im Gesundheitswesen durchsetzen, müsste zudem die Vergütung der telemedizinischen Betreuung im Rahmen eines bestehenden Vertrags mit der Krankenkasse erfolgen. Und zusätzlich befürchten manche Ärzte sogar eine Überwachung ihrer Arbeit durch telemedizinische Programme.

Auch für das Personal ist die Digitalisierung eine Herausforderung: Es muss neu geschult werden, um den Umgang mit der Technik zu erlernen. An der RFH Köln wird dafür bereits ein spezieller Bachelorstudiengang unter dem Namen „Medizinökonomie & Digitales Management“ angeboten, um Studenten auf die neuen Anforderungen vorzubereiten.

Und was passiert mit den unzähligen Daten, die gesammelt werden? Wer persönliche Daten sammelt, trägt eine große Verantwortung. So wird es nötig sein, dass vor einer Umstellung zur digitalen Patientenakte jeder Patient selbst entscheidet, ob er dieser zustimmen möchte. Der Datenschutz kann zudem nur unter den strengen, europäischen Datenschutzrichtlinien eingehalten werden.

Ein Blick in die Zukunft

Fazit ist: Telemedizin wird wohl nicht die ärztliche Versorgung durch den Arzt ersetzen, vielmehr kann sie diese aber ergänzen und unterstützen. Auch den persönlichen Kontakt zum Patienten machen die Programme nicht überflüssig.

Digitalisierung und Telemedizin können aber eine Chance bieten, um die Versorgung aller Patienten - auch nach der Corona-Pandemie - sicherzustellen. Ein Blick in die Zukunft deutet an, dass die Telemedizin ein wichtiger Schritt für die Entwicklung der modernen Medizin sein könnte. Auch bei der medizinischen Forschung, könnten digital gesammelte Daten helfen. Unterschätzt werden, darf aber dennoch nicht, dass damit eine Umgewöhnung für das gesamte Gesundheitswesen und auch für die Patienten einhergeht.

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