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Wir Arztmuffel
Ob Karies oder Krebs: Je früher Erkrankungen erkannt werden, desto besser können sie in der Regel behandelt werden. Aus diesem Grund sollten Kinder, Jugendliche und Erwachsene regelmäßig zur Vorsorge gehen. Obwohl alle gängigen Früherkennungsuntersuchungen von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden, nimmt jedoch längst nicht jeder Versicherte diese Möglichkeit zur Vorsorge wahr. Als typische "Arztmuffel" gelten dabei vor allem die Männer.
Doch nicht nur wer die Vorsorge vernachlässigt, riskiert womöglich seine Gesundheit. Fast noch problematischer ist es wohl, wenn Menschen sogar bei konkreten Beschwerden den Gang zum Arzt scheuen. Wie verbreitet aber ist dieses Phänomen? Dieser Frage ist das Marktforschungsinstitut Splendid Research nun im Auftrag der Online-Arztpraxis DrEd nachgegangen. In einer repräsentativen Umfrage befragte es dafür 1.015 Männer und Frauen aus dem gesamten Bundesgebiet. Die Teilnehmer waren zwischen 20 und 50 Jahre alt und zu 90 Prozent gesetzlich versichert.
Über ein Drittel schiebt Arztbesuche auf
Die Auswertung offenbarte Erschreckendes: Mehr als ein Drittel der Deutschen schiebt Arztbesuche regelmäßig auf. Demnach haben 85 Prozent aller Befragten mindestens einmal innerhalb der vergangenen drei Jahre einen Arztbesuch trotz Beschwerden über längere Zeit aufgeschoben. 35 Prozent gaben sogar an, dies häufiger zu tun – mindestens einmal pro Jahr. Ein Drittel schob den Gang in die Praxis dabei über mehrere Monate hinweg auf, bei jedem Zehnten dauerte der Aufschub gar länger als ein Jahr.
Interessant dabei: Den Mythos vom "Arztmuffel Mann" können die Ergebnisse nicht bestätigen. Frauen unterscheiden sich demnach kaum von den Herren der Schöpfung, wenn es darum geht, den Besuch beim Arzt zu vermeiden. Tatsächlich schieben sie solche Termine im Vergleich sogar etwas häufiger auf, wie die Umfrage ergab.
Zeitmangel als Hauptursache
Doch was sind die Gründe für diese Aufschieberitis in Sachen Gesundheit? Bei der Befragung zeichnete sich ab: Vor allem der Zeitaufwand ist schuld daran. So finden die meisten Studienteilnehmer im stressigen Alltag schlicht nicht die Zeit für den Gang zum Arzt. Sie möchten nicht von der Arbeit fernbleiben und lassen sich von den Wartezeiten in der Praxis abschrecken.
Einen Gefallen tun die Geplagten sich und ihren Kollegen mit dieser Einstellung allerdings nicht, wie DrEd-Ärztin Emily Wimmer betont: "Wer trotz anhaltender Beschwerden weiter zur Arbeit geht, der erweist Arbeitgeber und Kollegen oft einen Bärendienst: Bei ansteckenden Erkrankungen riskiert man, dass Kollegen sich anstecken und weitere Mitarbeiter ausfallen. Außerdem kann sich das Erkrankungsbild durch fehlende Behandlung und Ruhe verschlechtern, bis zum Auftreten einer chronischen Erkrankung. Der Krankheitsausfall steigt dann um ein Vielfaches an."
Alternative "Doktor Google"
Neben Zeitmangel gibt es jedoch noch einen weiteren Grund dafür, dass Menschen nicht zum Arzt gehen: Jeder Fünfte sieht die eigenen Beschwerden nicht als "echte Krankheit" an. Das erscheint gerade deshalb paradox, weil zwei Drittel der Befragten gleichzeitig angaben, dass der Aufschub des Arztbesuchs für sie mit negativen Konsequenzen verbunden war – zum Beispiel, weil sie in dieser Zeit erheblich unter ihren Symptomen litten.
Als Alternative zum Gang in die Praxis setzen die Deutschen offenbar gerne auf Hausmittel oder kaufen rezeptfreie Medikamente in der Apotheke. 40 Prozent der Befragten suchen außerdem lieber bei "Doktor Google" als beim eigenen Hausarzt Rat – dies trifft besonders auf die jüngere Generation zu.
Risiko für Komplikationen steigt
Für Wimmer ist dieser Trend gleichzeitig Chance und Risiko: "Bei der Internet-Recherche tauchen häufig schwerwiegende und ernste Erkrankungen auf. Ein Patient mit Kopfschmerzen zum Beispiel könnte glauben, er hätte einen Gehirntumor, obwohl der einfache Spannungskopfschmerz viel wahrscheinlicher ist. Dennoch kann der Patient die Online-Recherche auch sinnvoll nutzen – indem er sich vor dem Arztbesuch informiert und aufgeklärt in das Arztgespräch geht."
Ersetzen sollte die Online-Recherche den Gang in die Praxis bei konkreten Symptomen jedoch nicht: "Menschen, die trotz Beschwerden nicht zum Arzt gehen, setzen sich einem hohen gesundheitlichen Risiko aus. Häufig kann eine Erkrankung besser behandelt werden, wenn sie frühzeitig erkannt wird. Außerdem steigt das Risiko für Komplikationen. Bei Nichtbehandlung infektiöser Erkrankungen etwa kann es zu einer gefährlichen Ausbreitung der Erreger bis zu einer Blutvergiftung kommen", schließt die Medizinerin.