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Warum Kinder „Alte-Leute-Diabetes“ bekommen
Nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit befindet sich viel Zucker in unserem Blut. Damit wir diesen in unsere Körperzellen aufnehmen und dort verwerten können, schüttet die Bauchspeicheldrüse normalerweise das Hormon Insulin aus. Bei der Volkskrankheit Diabetes ist dieser Zuckerstoffwechsel im Körper jedoch gestört.
Wie entsteht Diabetes?
Bei Typ-2-Diabetes reagieren die Körperzellen der Betroffenen nur noch schwach auf das Insulin, wodurch ein Teil des Zuckers im Blut verbleibt. Die Bauchspeicheldrüse erkennt dann, dass der Blutzuckerspiegel zu hoch ist, und versucht zunächst gegenzusteuern, indem sie noch mehr Insulin produziert. Aber das geht auf Dauer nicht gut: Die Bauchspeicheldrüse wird überlastet und stellt schließlich nicht mehr genug Insulin her. Der Blutzuckerspiegel der Betroffenen ist dann dauerhaft erhöht und das schadet unter anderem den Blutgefäßen und Nerven.
Bei Typ-1-Diabetes hingegen zerstört das Immunsystem jene Zellen der Bauchspeicheldrüse, die das Insulin produzieren. Weil dem Körper dann Insulin fehlt, können die Körperzellen den Zucker nicht aufnehmen. Im Ergebnis leiden die Betroffenen ebenfalls unter hohem Blutzucker. Während Typ-2-Diabetes eine Abnutzungsrektion ist und dadurch als Alte-Leute-Krankheit gilt, manifestiert sich Diabetes Typ 1 meist schon zwischen dem 10. und 15. Lebensjahr . Die Ursachen für Typ-1-Diabetes sind noch nicht ganz klar, aber genetische Veranlagungen und Umwelteinflüsse könnten Auslöser für die Autoimmunerkrankung sein.
Mehr Kinder erkranken an Diabetes
In den vergangenen Jahren stellten Mediziner allerdings einen starken Anstieg an Diabetes-Typ-2-Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen fest. Waren 2019 noch etwa 12 von 100.000 Kindern und Jugendlichen von Diabetes Typ 2 betroffen, waren es 2022 bereits 18. Bei Mädchen und bei Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren ist dieser Typ besonders häufig vertreten.
Was ist der Grund dafür, dass immer mehr Kinder und Jugendliche diesen Diabetestyp bekommen, der eigentlich eher ältere Menschen betrifft? Forschende haben das Coronavirus im Verdacht, direkt oder indirekt Diabetes zu begünstigen.
Ist Corona schuld?
Bereits während der Pandemie stellten Forschende fest, dass eine Coronainfektion bei Erwachsenen die Wahrscheinlichkeit erhöht, an Diabetes Typ 2 zu erkranken. Auch bei Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 19 Jahren beobachteten Forschende, dass eine Coronainfektion Diabetes Typ 2 begünstigt. Der vermutete Grund: Das Virus kann die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstören, vor allem bei milden Infektionen. Damit wäre Diabetes eine direkte Folge des Coronavirus.
Hinter dem Anstieg von Typ-2-Diabetes-Erkrankungen könnten aber auch die indirekten Folgen der Pandemie stecken. Hinweise darauf liefern zwei wichtige Risikofaktoren für die Stoffwechselkrankheit: Übergewicht und Bewegungsmangel. Wer sich kaum bewegt, verbraucht weniger Energie und muss kaum Zucker aus dem Blut aufnehmen. Der Blutzuckerspiegel steigt an.
Nehmen wir zudem häufig ungesunde Nahrung mit viel Zucker zu uns, macht uns das dick und belastet unsere Bauchspeicheldrüse, da sie ständig hohe Mengen Insulin produzieren muss, um den Zucker im Blut zu regulieren. Zusätzlich fördert das überschüssige Körperfett Diabetes Typ 2, da die Fettzellen Hormone freisetzen, die die Muskelzellen und die Leber unempfindlicher für Insulin machen.
Welche Folgen hatten die Corona-Lockdowns?
Die Pandemie-Maßnahmen begünstigten diese beiden Diabetes-Risikofaktoren Übergewicht und Bewegungsmangel: Weil Sportvereine, verschiedene Ausflugsziele und sogar Spielplätze und Schulen geschlossen waren, verbrachten wir mehr Zeit zu Hause und saßen länger vor dem Bildschirm – Erwachsene wie Kinder gleichermaßen.
Dieser Trend hat sich nach dem Ende der Lockdowns bislang nicht wieder umgekehrt. Einer Umfrage der Deutschen Adipositas Gesellschaft zufolge bewegen sich 44 Prozent der Kinder heute weniger als vor der Coronapandemie. Unter den 10- bis 12-jährigen ist zudem jedes Dritte Kind seit der Pandemie dicker geworden. Waren Kinder schon vor der Coronapandemie übergewichtig, hat jedes Zweite von ihnen noch mehr an Gewicht zugelegt. Besonders Kinder aus einkommensschwachen Familien sind dabei von einer Gewichtszunahme getroffen. 23 Prozent der Kinder aus einkommensschwachen Familien haben zugenommen, im Vergleich dazu jedoch nur 12 Prozent der Kinder aus einkommensstarken Familien.
Risikofaktor Ernährung
Schuld am vermehrten Übergewicht und infolgedessen an dem Anstieg der Diabetes-Erkrankungen bei Kindern ist nicht nur Bewegungsmangel. Die sogenannte „Western Diet“ trägt – unabhängig von der Coronapandemie – ebenfalls dazu bei, dass Kinder und Jugendliche zu dick sind.
„Die Western Diet ist gekennzeichnet durch einen hohen Verzehr von energiereichen, nährstoffarmen Lebensmitteln wie Fast Food, Softdrinks und stark verarbeiteten Lebensmitteln, die viel Zucker, Salz und gesättigte Fette enthalten“, sagt ein Forschungsteam um Vicente Javier Clemente-Suárez, das sich mit dieser Ernährungsweise auseinandersetzt. „Eine hohe Zufuhr von verarbeiteten und raffinierten Lebensmitteln, Zuckerzusätzen sowie gesättigten- und trans-Fettsäuren wird mit einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes in Verbindung gebracht.“
In Industrieländern greifen Menschen besonders oft zu Fast Food und Süßigkeiten. Entsprechend ist dort auch seit Jahren schon ein stärkerer Anstieg der Diabetes-Fälle zu verzeichnen. Eine großangelegte Studie aus den USA zeigt beispielweise, dass die Häufigkeit von Diabetes bei Kindern und Jugendlichen zwischen 2002 und 2017 zugenommen hat. Setzt sich dieser Trend so fort, könnte die Zahl der an Typ-2-Diabetes erkrankten US-amerikanischen Kinder und Jugendlichen bis zum Jahr 2060 um ganze 673 Prozent zunehmen.