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Wie sinnvoll ist Dehnen?

Sich vor und nach dem Sport zu dehnen, gehört für viele (Hobby-)Sportler zu einem guten Training dazu. Doch sowohl das Dehnen selbst als auch die Art, wie wir uns dehnen, wird unter Sportbegeisterten häufig diskutiert. Wie sinnvoll ist Dehnen wirklich? Wem kann das Recken und Strecken der Muskeln helfen? Und wann ist es eher überbewertet?
SSC, 10.07.2025
Mann und Frau bei Dehnübungen vor dem Laufen

© Jacob Wackerhausen, iStock

Für Fußballspieler und Balletttänzer gehört das Strecken und Recken bestimmter Muskeln zum Training dazu. Andere halten jegliches Stretching dagegen für überbewertet. Unter denen, die sich für das Dehnen ihrer Muskeln entscheiden, herrscht wiederum Diskussion über die richtige Technik: Lieber die gestreckte Position halten oder sanft wippen? Auch über den Effekt der kontrollierten Bewegungen sind sich viele uneinig. Beugen sie Muskelkater vor, lindern sie Schmerzen oder senken sie sogar das Verletzungsrisiko?

Wissen aus Theorie und Praxis

Über Nutzen und Grenzen verschiedener Dehntechniken gibt es inzwischen fundierte Studien. In der Praxis haben sie aber noch nicht viel Aufmerksamkeit erzielt. Deswegen hat jetzt ein Team von 20 Sportmedizinern unter der Leitung von Konstantin Warneke von der Universität Jena wissenschaftlich belegte Empfehlungen für das Dehnen zusammengetragen.

Die Sportmediziner kennen sich jedoch nicht nur theoretisch mit Stretching und Sport aus: Die meisten von ihnen haben auch praktische Erfahrungen in dem Bereich gemacht, zum Beispiel als Volleyball-Coach, als Fitnesstrainer für kanadische Olympiagoldmedaillengewinner im Curling oder weil sie selbst Karate betreiben. Auch ein ehemaliger Fitnesstrainer der deutschen Profi-Tennisspielerin Angelique Kerber war Teil des Expertenpanels.

Die Sportmediziner haben aktuelle Studien systematisch analysiert und sich anschließend in mehreren anonymen Abstimmungsrunden auf die wichtigsten Fragestellungen rund ums Dehnen geeinigt. „Die Kombination aus einer Analyse wissenschaftlicher Evidenz sowie persönlicher Meinung und praktischer Erfahrung der Forschenden hilft hoffentlich dabei, dass Dehnen vom Zankapfel zu einem wertvollen, aber gezielt eingesetzten Trainingsmittel wird“, sagt Jan Wilke von der Universität Bayreuth, ehemaliger Fitnesstrainer von Kerber.

Dehnen vor dem Training

Und was empfehlen die Experten? Das hängt ganz vom angestrebten Ziel ab. Wer nur kurzfristig etwas beweglicher sein möchte, zum Beispiel im Rahmen des Aufwärmens vor dem eigentlichen Training, sollte sich zwei Mal für jeweils fünf bis 30 Sekunden dehnen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob wir die Muskeln statisch dehnen – also die Position ruhig halten – oder dynamisch mit kontrollierten, federnden Bewegungen. Bei dieser Art des Stretchings zeigen beide Methoden vergleichbare Effekte.

Keine Lust, den Körper vor dem Training zu dehnen? Auch nicht schlimm. Denn so unverzichtbar wie häufig dargestellt ist Dehnen fürs Aufwärmen gar nicht. „Aktuelle Literatur zeigt keine Unterschiede zwischen Dehnung und anderen Methoden wie Übungen mit der Faszienrolle, Radfahren, Joggen oder Wärmeanwendung. Daraus lässt sich schließen, dass die Einbeziehung von Dehnübungen in Aufwärmroutinen nicht unbedingt erforderlich ist, aber eine praktikable Option darstellt, um die Beweglichkeit akut zu verbessern“, schreiben Warneke und seine Kollegen.

Wann ergibt Dehnen Sinn?

Aber wann lohnt es sich wirklich, sich zu dehnen? Wer seine Beweglichkeit langfristig verbessern möchte, sollte täglich zwei- bis dreimal für 30 bis 120 Sekunden den gewünschten Muskel in der Dehnung halten. Das ist zum Beispiel für Ballerinas und Gymnastiker wichtig.

Menschen, die langfristig ihre Muskelsteifigkeit reduzieren wollen, empfehlen die Experten, die betroffenen Muskeln fünfmal pro Woche mindestens vier Minuten statisch zu stretchen. Beispielsweise können an Parkinson Erkrankte so den mit der Krankheit einhergehenden Rigor lindern. Wer sein Herz-Kreislauf-System durch Stretching stärken möchte, der sollte sieben Minuten statisches Dehnen für einen sofortigen und 15 Minuten regelmäßiges statisches Dehnen für einen langfristigen Effekt betreiben.

Vor allem Körperstellen, die wir im Alltag besonders belasten – zum Beispiel Nacken- und Rückenmuskulatur bei der Schreibtischarbeit – können von regelmäßigen Dehnübungen profitieren. Der Nacken, genauer die seitliche Hals- und Schultermuskulatur, lässt sich mit einem sanften Ziehen des Kopfes nach rechts und links dehnen. Für den Rücken gilt der „Katzenbuckel“ als gute Übung gegen verspannte Muskulatur.

Wann ist Dehnen überbewertet?

Es gibt aber auch Bereiche, in denen die Wirkung des Dehnens weiterhin umstritten ist – zum Beispiel, ob das kontrollierte Strecken von Muskeln helfen kann, Trainingsverletzungen vorzubeugen. Es gibt zwar Studien, die auf eine geringere Rate an Muskelverletzungen nach dem Stretching hindeuten, aber gleichzeitig wurde auch ein erhöhtes Risiko für Knochen- und Gelenkprobleme beobachtet. Ein klarer Schutzeffekt lässt sich daher nicht bestätigen.

Ebenso können die Forschenden keine klaren Dehnempfehlungen für die Korrektur von Fehlhaltungen wie einem Rundrücken, zur Kraftsteigerung oder zur beschleunigten Regeneration aussprechen. Auch lässt sich die weit verbreitete Annahme, dass Dehnen nach dem Training Muskelkater vorbeugen oder dessen Intensität verringern kann, durch die aktuelle Forschung nicht eindeutig belegen. Muskelkater lässt sich am besten durch sich langsam steigerndes Training und trainingsfreie Tage vorbeugen.

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