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„Wunderpille“ Aspirin – Medikament mit langer Geschichte
Seit etwas mehr als 125 Jahren ist das Medikament, welches wir als Aspirin kennen, im Handel erhältlich. Längst ist der Markenname ein Synonym für alle Medikamente mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS). Dieser Wirkstoff blickt aber auf eine viel längere Geschichte zurück als viele wissen.
Weidenrinde als Schmerzstiller
Schon im Jahr 400 vor Christus entdeckte der Urvater der Medizin, Hippokrates von Kos, dass ein Extrakt aus Weidenrinde Schmerzen lindert. Auch die Kelten und Germanen verwendeten Weidenrinde als schmerzlindernde Medizin. Heute wissen wir, dass Weidenrinde die Vorstufe Salicin enthält, welches der menschliche Körper zu Salicylsäure verstoffwechselt. Im Jahr 1828 isolierten die Chemiker Johann Andreas Buchner und Pierre-Joseph Leroux erstmalig dieses Salicin aus der Weide.
In den folgenden Jahrzehnten synthetisierten verschiedene Chemiker daraus dann Acetylsalicylsäure, allerdings zunächst in nichtreiner Form. Das bedeutet, dass der Stoff noch Verunreinigungen enthielt, die ihn weniger wirksam und weniger sicher machten. 1874 stellte die Chemische Fabrik von Heyden stattdessen den mit ASS verwandten Stoff Salicylsäure industriell her und bot ihn als Arzneimittel an. Doch es gab ein Problem: Salicylsäure ist nicht gut verträglich und kann Magenbeschwerden auslösen.
Streit um Entwicklung der Acetylsalicylsäure
Im Jahr 1897 folgte dann die erstmalige Synthese der verträglicheren Acetylsalicylsäure in Reinform. Sie wird meistens allein dem Chemiker Friedrich Hoffmann zugeschrieben, der der Salicylsäure Essigsäure beimischte und so den Wirkstoff ASS in reiner Form gewinnen konnte. Allerdings erhob sein Kollege Arthur Eichengrün Jahrzehnte später ebenfalls Anspruch darauf, an der Entwicklung dieses Wirkstoffs beteiligt gewesen zu sein. Hoffmann soll lediglich seine Anweisungen in die Tat umgesetzt haben.
Die Firma Bayer, für die die beiden Chemiker arbeiteten, gibt bis heute einzig Friedrich Hoffmann als „Vater von Aspirin“ an. Er war nicht nur an der Herstellung von Aspirin beteiligt, sondern synthetisierte im selben Jahr auch Diacetylmorphin – besser bekannt als Heroin.
Wirkung von Aspirin lange ungeklärt
Zwar wurde Acetylsalicylsäure fortan gegen Schmerzen verwendet, die genaue Wirkungsweise der Substanz war jedoch lange unbekannt. Erst 1971 entdeckte der britische Forscher John Robert Vane, was der Wirkstoff in unserem Körper macht. Er fand heraus, dass ASS ein Enzym namens Cyclooxygenase hemmt. Dieses Enzym bildet Prostaglandine – Hormone, die Entzündungen, Schmerzen und Fieber steuern. Wenn Aspirin die Cyclooxygenase hemmt, stellt unser Körper weniger Prostaglandine her, wodurch wir weniger Schmerzen empfinden und Entzündungen nachlassen.
Das Medikament kann uns jedoch nicht nur bei Grippe und Kopfschmerzen helfen, sondern wirkt auch als Blutverdünner. Das Enzym Cyclooxygenase ist nämlich auch an der Bildung von Blutplättchen beteiligt. Durch die Hemmung des Enzyms mittels ASS wird die Funktion der Blutplättchen eingeschränkt und sie verkleben weniger gut miteinander. ASS kommt daher zum Beispiel nach einem Herzinfarkt oder einer Stent-Implantation zum Einsatz, um Blutgerinnsel zu verhindern.
ASS zur Krebsvorbeugung
Theoretisch könnte Aspirin auch Krebs vorbeugen. Denn Forschende aus Dänemark haben festgestellt, dass eine niedrigdosierte Einnahme von Aspirin von über fünf Jahren unter anderem das Risiko für Bauchspeicherdrüsenkrebs, Melanome und Hirntumore um mindestens zehn Prozent senken kann.
Besonders Menschen, die ein erhöhtes Risiko haben, an Darmkrebs zu erkranken, kann eine regelmäßige Einnahme von acetylsalicylsäurehaltigen Medikamenten helfen, wie Forschende der Harvard-Universität herausfanden. Das Erkrankungsrisiko soll sich so um 32 Prozent verringern. Wie genau uns das Medikament vor Darmkrebs schützt, ist noch nicht vollständig geklärt. Forschende der Ludwigs-Maximilians-Universität München haben aber bereits einen Weg identifiziert: Acetylsalicylsäure regt demnach die Produktion von bestimmten Tumor-hemmenden Mikro-RNA-Molekülen an.
Doch kein Wundermittel?
Nehmen Patienten ASS über längere Zeit, kann es jedoch auch zu Nebenwirkungen kommen. Bei Menschen mit hohen Cholesterinwerten, Bluthochdruck, Übergewicht und anderen Risikofaktoren kann Acetylsalicylsäure beispielsweise das Risiko für Herzinsuffizienz erhöhen. Ein Forschungsteam um Blerim Mujaj fand heraus, dass das Risiko für Herzinsuffizienz um 27 Prozent steigt, wenn übergewichtige Patienten über längere Zeit Aspirin einnehmen. „Unsere Beobachtungen sprechen dafür, dass Aspirin vor allem bei Patienten mit Herzversagen oder Risikofaktoren mit Vorsicht verschrieben werden sollte“, erklärt Mujaj.
Eine Einnahme von Aspirin über längere Zeit ist auch aus einem weiteren Grund nicht empfehlenswert: Durch seine blutverdünnende Eigenschaft kann es auf Dauer zu inneren Blutungen, zum Beispiel im Magen-Darm-Trakt, kommen – ein Grund, warum das Medikament in Deutschland nicht zur Krebsvorbeugung zugelassen ist. Ein Wundermittel gegen Krebs ist Aspirin also nicht. Besser ist es, stattdessen Krebs-Risikofaktoren wie Übergewicht, Rauchen und übermäßigen Alkoholgenuss zu vermeiden.