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Sind Chatbots gute Psychotherapeuten?
„Ich hätte niemals gedacht, wie gut das funktioniert!“, sagt TikTok Nutzerin „Maya Jasmin“. Sie hat ChatGPT für eine „Therapiesitzung“ genutzt. Immer mehr solcher positiven Erfahrungsberichte tauchen auf TikTok und Co auf. Dabei kursiert ein Prompt, den Nutzer zu Beginn eingeben sollen: Die KI wird darin angewiesen, Psychoanalyse mit Verhaltenstherapie zu kombinieren, gezielte Fragen zu stellen und gleichzeitig empathisch und konfrontativ zu reagieren – fast wie ein echter Therapeut.
Empathischer als die Profis?
Dass ChatGPT erstaunlich gute Antworten liefern kann, zeigt auch eine aktuelle Studie: Teilnehmende sollten jeweils entscheiden, ob eine Antwort auf eine Paartherapie-Situation von einem echten Therapeuten oder von der KI stammt. Anschließend sollten sie die Qualität bewerten. Das Ergebnis: Wenn die Antwort tatsächlich von einem Therapeuten kam, erkannten die Teilnehmenden das nur in 56,1 Prozent der Fälle korrekt. Bei Antworten von ChatGPT lag die Trefferquote sogar nur bei 51,2 Prozent. Und noch bemerkenswerter: Die KI-Antworten wurden im Durchschnitt als etwas einfühlsamer wahrgenommen als die der menschlichen Profis.
Laut den Forschenden könnte das an der Sprache liegen. ChatGPT formuliert ausführlicher, nutzt mehr beschreibende Substantive und Adjektive und schafft so den Eindruck emotionaler Tiefe. Das könnte erklären, warum viele Probanden die KI-Antworten als besonders verständnisvoll empfanden.
Hilfe mit Einschränkungen
Allerdings hat die Untersuchung ihre Grenzen: Sie basiert auf kurzen, hypothetischen Beispielen aus der Paartherapie und spiegelt reale Therapiesituationen daher nur eingeschränkt wider. „Die Studie ist interessant und adressiert eine aktuelle Kernfrage: Wie gut sind Chatbots als Therapeuten? [...] [Allerdings] fließt kein Wirksamkeitsmaß in die Studie ein – zum Beispiel eine verbesserte mentale Gesundheit oder eine verringerte Symptomatik“, sagt Johanna Löchner, Professorin für Klinische Psychologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Für Personen, die Hemmungen haben, sich in Psychotherapie zu begeben, etwa aufgrund des Stigmas psychischer Erkrankungen oder schambesetzter Themen, könne es aber entlastend sein, anonym mit einer nicht bewertenden KI in Kontakt zu treten, so Löchner weiter. Psychotherapie bedeute, sich aktiv mit Ängsten und vermeidendem Verhalten auseinanderzusetzen. Das sei oft anstrengend und kurzfristig unangenehm, wirke aber langfristig. Ob Chatbots diesen Prozess unterstützen oder die Fortschritte auf reale Beziehungen übertragbar sind, sei fraglich, so Löchner.
Wenn KI zur Gefahr wird
Doch ob Chatbots tatsächlich therapeutisch hilfreich sind, ist nicht die einzige Frage. Denn unter bestimmten Umständen könnten sie psychische Belastungen auch verschlimmern. Wie die Fachzeitschrift Nature berichtet, häufen sich Fälle von Menschen, die nach intensiver Interaktion mit Chatbots psychotische Symptome entwickelt haben. In einer Analyse wurden mindestens 17 Fälle dokumentiert, in denen Betroffene nach Gesprächen mit KI-Modellen wie ChatGPT oder Microsoft Copilot den Bezug zur Realität verloren – sie fühlten sich beobachtet, glaubten, mit übernatürlichen Wesen zu sprechen oder hätten „verborgene Wahrheiten“ entdeckt.
Der dänische Psychiater Søren Østergaard sieht darin ein mögliches Muster: „Chatbots sind darauf ausgelegt, positive, menschenähnliche Antworten auf Nutzereingaben zu formulieren – was das Risiko einer Psychose bei Menschen erhöhen könnte, die ohnehin Schwierigkeiten haben, zwischen Realität und Einbildung zu unterscheiden.“ Besonders riskant sei dies für Personen, die ohnehin unter Paranoia, starkem Stress oder psychischen Vorbelastungen leiden. Die KI verstärke in solchen Fällen unbewusst bestehende Denkmuster in einer Art Feedback-Schleife, die Wahnvorstellungen befeuern kann.
Also: Chatbots können eine niedrigschwellige Unterstützung bieten und kurzfristig entlasten. Eine Psychotherapie ersetzen sie jedoch nicht. Besonders für Menschen mit psychischen Vorerkrankungen oder einer Neigung zu psychotischen Symptomen ist Vorsicht geboten.