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Das indische Kastensystem: Hierarchische Gesellschaftsstrukturen
Worauf gründet sich das Kastensystem?
Die Vielfalt und Rangordnung der Kasten, die von Region zu Region variieren kann, wird sowohl durch religiöse als auch weltliche Maximen begründet und gerechtfertigt. Grundsätzlich ist zwischen den Sanskritbegriffen varna (»Farbe«) und jati (»Geburt«) zu unterscheiden. Das Varna-System, das göttlichen Ursprungs sein soll, definiert nur die großen vier Stände der indischen Gesellschaft: Brahmanen (Priester, Berater, Gelehrte), Kshatriya (Krieger, Adel, politische Führer), Vaishya (ursprünglich die indoarischen Viehzüchter, dann Bauern, Händler, gehobene Handwerker) und Shudra (die dienende Schicht, unter die aber durchaus auch Handwerker fallen können).
Wie viele Kasten gibt es?
Es gibt viele tausend Kasten (und Unterkasten), die an das Varna-Schema angepasst wurden, obwohl ihr Ursprung zumeist später anzusetzen ist und in der Regel auf nichtreligiösen Kriterien beruht. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Jati entspricht dem Beruf, den ein Mensch ausübt. Darüber hinaus bestimmt auch die ethnische oder regionale Herkunft die Kastenzugehörigkeit. So steht zum Beispiel eine aus einem sozial gesehen deklassierten Stamm hervorgegangene Berufsgruppe in der Hierarchie niedriger als dieselbe Berufsgruppe, die nicht auf ein Stammesmilieu zurückgeht. Leichte Veränderungen in der Arbeitsweise beziehungsweise eine Spezialisierung kann zur Bildung einer neuen Unterkaste und damit zum Anwachsen der Gesamtzahl der Kasten führen.
Wodurch ist eine Kaste definiert?
Es gibt fünf Kriterien, die die Grenzen einer Kaste und somit das Gemeinsame ihrer Mitglieder festlegen: der religiös begründete Grad der kultischen Unreinheit der Mitglieder, die Kommensalität (mit wem sie gemeinsam speisen dürfen), Endogamie (Heirat innerhalb der Kaste), erbliche Berufe und wirtschaftliche Abhängigkeit. Die Kaste bildet eine exklusive Art der Berufsinnung und nur die Mitglieder einer Kaste üben in ihrer Region bestimmte Berufe, Arbeitsmethoden und Fertigkeiten aus. Nur sie besitzen eine bestimmte Kundschaftsbindung, die jajmani genannt wird. Das bedeutet, dass genau festgelegt ist, welche Kasten welche Dienstleistungen für andere Kasten ausüben. Im traditionellen Kastenwesen waren kastenspezifische Rituale und die soziale Stellung in der Gesellschaft unumstößlich festgeschrieben. Wer einmal in eine Kaste hineingeboren war, blieb in ihr ein Leben lang, es sei denn, er wurde wegen eines schwer wiegenden Vergehens zum Ausgestoßenen oder Kastenlosen (dalit).
Was sind Kastenlose?
Es handelt sich dabei um völlig verachtete, am Rande der indischen Gesellschaft lebende Gruppen, die meist aus Stammesvölkern bestehen. Sie existieren im Wesentlichen außerhalb der Kastenordnung und gehen solchen Berufen wie Weben, Flechten und Lederverarbeitung nach oder arbeiten als Straßenfeger oder Küchenhelfer. Die ganz auf das Varna-Schema eingeschworene Manu-Smrti, ein religiöses Rechtsbuch des 2. oder 3. Jahrhunderts n.Chr., erklärte die Entstehung dieser Schichten mit zurückliegenden unzulässigen Kastenvermischungen.
Inwiefern ist ein Aufstieg in eine andere Kaste möglich?
Eine Einzelperson kann ihren rituellen Status für sich allein nicht verändern, sondern nur im Gesamtverband einer Kaste oder Unterkaste, wenn diese ihre Stellung in der Hierarchie verändert. Das konnte geschehen, wenn sie sich an Bräuche einer höheren Kaste anglich, zum Beispiel indem sie das Verbot der Wiederverheiratung von Witwen übernahm, den Alkohol mied oder zum Vegetarismus überging. Bisweilen konnte dies auch durch Heiratsbeziehungen mit einer höheren Kaste geschehen, was jedoch im Allgemeinen unmöglich war, da man eigentlich nur innerhalb der eigenen Kaste heiraten konnte. Durch wirtschaftlichen Erfolg ließen sich solche Beschränkungen aufweichen. In unruhigen Zeiten kam es vor, dass viele Männer sich als Söldner verdingten und daher ihre angestammten Berufe und Kasten aufgaben.
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