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Belgrad: Die „Weiße Stadt“

Über Jahrhunderte war Belgrad, die „Weiße Stadt“, umkämpft, bis es im 19. Jahrhundert die Hauptstadt Serbiens und später Jugoslawiens wurde. Heute, mittlerweile wieder serbische Metropole, ist Geschichte zwar noch überall präsent. Berühmt ist Belgrad aber viel mehr für sein florierendes Nachtleben und die Kneipen im Bohemeviertel Skadarlija.
von wissen.de-Autor Hubert Beyerle

Skyline von Belgrad
thinkstockphotos.de/Getty Images/Hemera/Elena Elisseeva
Als „Tor zum Balkan“ wird Belgrad oft bezeichnet. Wo der Balkan beginnt, ist zwar umstritten, wie  Vieles im Südosten Europas. Tatsächlich wechselte die Herrschaft über Belgrad im Laufe der Geschichte so oft, wie sonst nur in wenigen Städten Europas. Während die österreichisch-ungarische Herrschaft eher sporadisch war, dauerte die des osmanischen Reiches hier insgesamt mehrere Jahrhunderte. Heute ist Belgrad wieder Hauptstadt Serbiens und zeigt das mit Stolz. Aber auch Spuren der insgesamt 70 Jahre dauernden Ära Jugoslawiens sind nicht zu übersehen.

 

Lebendige Geschichte

Geschichte ist bis heute lebendig in der 1,6 Millionenstadt – sichtbar an Gebäuden aus der Zeit des erwachenden Nationalbewusstseins im 19. Jahrhundert, an Kirchen und Denkmälern. Belgrads Markenzeichen aber ist seine einmalige und einst strategisch günstige Lage auf einem Felsrücken an der Mündung der Save in die Donau. Direkt über dem Save-Delta, im Park Kalemegdan liegt die gewaltige Festung mit den meterdicken Mauern und einer kaum überschaubaren Zahl von Eingangstoren. Ihre Ursprünge reichen zwar bis in römische Zeiten zurück, in ihrer heutigen Form stammt sie aber im Wesentlichen aus der Zeit der österreichischen Besatzer in den Jahren nach 1717. Ein Militärmuseum zeigt open air die Waffen, mit denen die Festung im Laufe der Jahrhunderte angegriffen und verteidigt wurde.

Vorgelagert der Zitadelle liegt eine Terasse mit großartiger Aussicht auf den Zusammenfluss von Save und Donau und tief hinein in die pannonische Tiefebene. Die Aussichtsplattform rund 50 Meter über den Flüssen überragt ein Denkmal auf einer 16 Meter hohen Säule: Auf ihr posiert die Skulptur „Der Sieger“, geformt vom größten jugoslawischen Bildhauer, Ivan Mestrovic 1928. Er steht für die im Laufe des 19. Jahrhunderts von den Serben abgeschüttelte Herrschaft der Osmanen und gleichzeitig für den Sieg über die österrisch-ungarischen Truppen am Ende des Ersten Weltkriegs.

 

Jahrhunderte der Fremdherrschaft

Über Jahrhunderte war Belgrad, die „Weiße Stadt“, eingekeilt und abwechselnd unter der Kontrolle des osmanischen Reiches im Südosten und Österreich-Ungarn im Nordwesten. An die Zeit der osmanischen Herrschaft von der ersten Eroberung 1521 bis zu ihrer endgültigen Vertreibung 1878 erinnert nicht mehr viel: Nur die „Bajrakli-Moschee“ aus dem Jahr 1575 im hübschen Alt-Stadtteil Dorcol ist von einst über 200 muslimischen Gotteshäusern übrig geblieben.

Vom Kalemegdan in Richtung Stadtzentrum verläuft die populäre Shoppingmeile Knez Mihailova ulica, in der sich in den reichen Bürgerhäusern aus den 1880er Jahren Boutiquen der globalen Modemarken aneinander reihen, neben edlen Bäckereien, Eisdielen, Buchläden und Restaurants. Direkt an der Einkaufsmeile liegt der „Trg Republike“, der Platz der Republik, wo zu Wahlkampfzeiten die Massenversammlungen statt finden und sich sonst abends die Jugend der Stadt verabredet.

 

Das Ende der Monarchie

Vor dem klassizistischen, 1902 errichteten Nationalmuseum posiert majestätisch Knez Mihailo als Bronzefigur auf einem Pferd. Fürst Mihailo aus der Obrenovic-Dynastie hatte Mitte des 19. Jahrhunderts das Militär reformiert und so Serbien zur Staatlichkeit mitverholfen. Die Dynastie Obrenovic herrschte im 19. Jahrhundert fast ununterbrochen, zunächst als Fürsten unter osmanischer Herrschaft, dann als Könige, und später gestürzt  von den ewigen Rivalen aus der Karadorde-Dynastie.

Genex Turm in Belgrad
shutterstock.com/plastique

Das Ende der Monarchie kam im Zweiten Weltkrieg mit dem zweiten Jugoslawien unter dem Partisanenführer und Kommunisten Josip Broz, genannt Tito, der bis zu seinem Tod 1980 an der Macht blieb. An ihn erinnert im Villenviertel Dedinje seine ehemalige Residenz und die lichtumströmte Grabstätte mit dem Marmorsarkophag, an dem zu seinem Todestag noch immer die Menschen aus ganz Ex-Jugoslawien kommen und Kränze ablegen.

 

Orthodoxe Kirchen

Über 90 Prozent der Einwohner Belgrads sind heute orthodoxe Christen, wovon eine Vielzahl von orthodoxen Kirchen zeugen. Die größte ist die des Heiligen Sava auf dem Vracar-Hügel. Sie wurde 1935 begonnen, aber wegen eines Jahrzehnte langen Baustopps erst 2004 offiziell eingeweiht. Ihr Vorbild ist die Hagia Sophia in Istanbul, deutlich sichtbar an der gigantischen zentralen Kuppel und ihren Dimensionen – sie ist sogar noch ein paar Meter höher - und bietet, dem orthodoxen Gottesdienst gemäß, 12.000 Stehplätze.

Die wohl beliebteste Touristengegend ist die pittoreske Skadarlija-Straße, eine ungwöhnlich steile Gasse, gepflastert mit bis zu kopfgroßen Kieselsteinen. Sie machen das Fortkommen mühsam, aber das Verweilen in der für Autos gesperrten Zone dafür umso angenehmer. Hier reiht sich Restaurant an Kafana, mit Namen wie „Tri sesiri“ (Drei Hüte) oder „Dva bela goluba“ (Zwei weiße Tauben). Es ist das traditionelle Zentrum der Belgrader Boheme, vergleichbar dem Montmartre oder Kreuzberg, und ist bis heute beliebt als Jugend und Künstler-Viertel. Roma-Blechbläser-Ensembles ziehen vorbei an den Touristen, die auf den balkonartigen Terassen sitzen, die in die steile Gasse hineinragen.

 

Nachtleben in Belgrad

Rund um die Bars zwischen der Knez Mihailova und der platzartigen Straße Terazije pulsiert später am Tag das Nachtleben. Hier kommt die Jugend aus der ganzen Stadt zusammen und feiert, mit und ohne Anlass. Getanzt wird zu westlicher elektronischer Musik genauso wie zum populären Turbofolk, der Volksmusik mit modernen Rhythmen verbindet. Auch getrunken wird dann kaum noch der traditionelle Slivovic, sondern mehr Cocktails und Drinks - auch hier mischt sich dann Alt und Neu.

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