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Weltkulturerbe vor Verfall durch Tourismus schützen
Am besten lernt man durch Anschauung: Von einem jahrtausendealten Monument überragt, kann auch der größte Geschichtsmuffel nicht umhin, Interesse an dessen Entstehung zu zeigen. Nie ist die Geschichte der Nabatäer beispielsweise faszinierender, als beim Anblick der riesigen, in Stein gemeißelten Felsentempel Petras. Die Fragen dazu stellen sich dann ganz von allein: Wie konnten die Menschen damals in solchen Höhen und mit derartiger Präzision Figuren in den Stein meißeln? Welche Werkzeuge gab es damals überhaupt? So fördern Kulturstätten die Bildung der Menschen.
Doch auch die lokale Bevölkerung genießt Vorteile durch naheliegendes Weltkulturerbe: Um die Stätten herum entstehen zahlreiche Jobs, wie Reiseführer, Saftverkäufer oder Hotelbesitzer. In Petra arbeiten sogar so viele Menschen, dass die jordanische Regierung ein ganzes Dorf für sie erbaute. So schaffen die Weltwunder und andere Top-Sightseeing-Ziele Beschäftigung und einen gewissen Wohlstand in der dortigen Bevölkerung. Doch die Besucherfluten an den Kulturstätten bergen leider auch ihre Schattenseiten.
Übernutzung und Verfall von Kulturerbe
Die Chinesische Mauer zieht sich mehrere tausend Kilometer durch das Reich der Mitte. Angeblich ist sie das einzige Bauwerk, das man aus dem All erkennt. Das ist zwar ein Mythos, doch es verdeutlicht trotzdem die große Bedeutung der ehemaligen Grenzschutzanlage der Ming-Dynastie. Leider behandeln nicht alle Besucher die Mauer mit dem gebührenden Respekt: Einige verewigen ihre eigenen Namen oder die Namen ihrer Partner durch geritzte „Graffitis“ im Gestein der Mauer. Das mag romantisch klingen – führt aber zum langsamen Verfall des Weltwunders.
Vermüllung, Abnutzung der Bauwerke, aber auch die Verdrängung der lokalen Bevölkerung – all das sind Resultate von Massentourismus. „Welterbestätten brauchen sanften Tourismus – in ökologischer und sozialer Hinsicht. Als Besucher muss man Verständnis für die Stätte selbst aufbringen, aber auch für die Menschen, die dort leben.“, sagt dazu Dieter Offenhäußer von der UNESCO-Kommission gegenüber Lonely Planet. Um dies zu erreichen, haben die verschiedenen Länder Strategien zum Schutz des Kulturerbes entwickelt.
Nur 4.000 Touristen am Tag
Der Mount Fuji in Japan: Ein nebel-umwobener, weißer Gipfel. Der Vulkan bietet einen majestätischen Anblick. Zoom in: Tausende Touristen, alle in Outdoor-Ausrüstung gehüllt, drängen sich über mehrere Kilometer auf dem Aufstiegspfad zum Gipfel des Vulkans aneinander. Am Wegrand liegt achtlos weggeworfener Müll. Der Ansturm auf die wichtigste Touristenattraktion Japans hat nicht nur Umweltverschmutzung zur Folge, auch das Verletzungsrisiko der ehrgeizigen Bergsteiger ist bei dem Gedränge enorm. Zuletzt griff die japanische Regierung durch: Um die Besucherzahl zu begrenzen und den Vulkan so zu schützen, führt sie ab Sommer 2024 eine Aufstiegsgebühr und eine Obergrenze von 4.000 Menschen pro Tag ein.
Auch in Machu Picchu, der Inkastadt, die hoch oben in den Anden thront, sind die Ticketverkäufe mittlerweile begrenzt. Der Grund: Man will die Anden-Terrassenstadt schützen, bevor es zu spät ist. Im September 2023 wurden bereits Teile der Ruinenstadt, darunter auch der Sonnentempel, geschlossen, da die vielen Fußtritte die Gemäuer beschädigt hatten. In den Steinen entstanden Risse, durch diese trat Regenwasser ein – die Schäden sind teilweise irreversibel. Im Jahr 2024 sind nun täglich nur 4.500 Besucher in der Inkastadt erlaubt. Die Zahl verhandeln Peru und die UNESCO jedes Jahr neu, wobei die UNESCO zum Schutz des Weltwunders deutlich geringere Besucherzahlen fordert.
Besucherzentren als Alternative
In der Lascaux Höhle in Frankreich gefährdeten die hohen Besucherzahlen die vor zehntausenden Jahren gezeichneten Bisons, Pferde und Hirsche auf besonders tragische Weise. Durch die ausgestoßene Atemluft entstand ein Schimmelpilz, der langsam begann, die – bis dato – ältesten bekannten Höhlenmalereien zu zerstören. Schon knapp 15 Jahre nach ihrer Entdeckung musste der Zugang zur Höhle 1963 wieder geschlossen werden. Die Lösung war ebenso teuer wie innovativ: Ganz in der Nähe der Höhle steht nun der 63-Millionen-Euro-Bau „Lascaux 4“. Dort können die Touristen die Malereien in einer originalgetreuen Reproduktion bewundern. So werden die Gemälde der „Sixtinischen Kapelle der Steinzeit“ gleichzeitig bewahrt und ausgestellt.
In China hat man eine andere Strategie gewählt: Bevor die Besucher der Mogao-Grotten in China die Sehenswürdigkeit besichtigen, werden sie zuerst durch ein modernes Informationszentrum geschleust. Hier gibt es ganz großes Kino, im wahrsten Sinne des Wortes: In einem IMAX geben zwei halbstündige Filme einen Einblick in die bekanntesten dieser Höhlentempel und informieren über deren Geschichte. Die Anwesenheit in den Grotten selbst ist dann auf eine kurze Zeit begrenzt. Diese Mischung aus Museum und Infotainment bietet trotz der verkürzten Besuchszeit in der fragilen Kulturstätte einen spaßigen Aufenthalt.