Lexikon
indischer Tanz
die klassische indische Tanzkunst, die auf alten Traditionen beruht, genau festgelegten Bewegungs- und mimischen Vorschriften folgt und mit Dichtung und Musik zu einer Einheit verbunden ist. Damit grenzt sich der klassische indische Tanz von Stammes- und Volkstänzen ab, wenngleich er aus einer Verschmelzung der verschiedensten kulturellen und rituellen Elemente urgeschichtlich Besiedlungsgruppen Indiens entstanden ist.
Die älteste umfassende Darstellung des indischen Tanzes ist das „Natyashastra“ des Bharata, ein Lehrbuch aller mit dem Theater verbundenen Künste, wahrscheinlich im 3. Jahrhundert n. Chr. entstanden. Darin wird der Gott Shiva als Herr der Tänzer genannt, der der Legende nach 108 verschiedene Tanzhaltungen erfand. Da ein Gott selbst den lebensbejahenden, sinnenfrohen Tanz pflegte, äußert sich nach indischer Vorstellung in der Tanzkunst die Ähnlichkeit zwischen Mensch und Gott, es gibt somit keine strikte Trennung zwischen geistlichen und weltlichen Tänzen.
Das Wesen des indischen Tanzes liegt in der Nachahmung und Erzählung äußerer sowie innerer Vorgänge in der Natur und dem Menschen. Diesem Zweck hat der Tänzer seine Bewegungen zu unterwerfen, so gibt es für jeden Körperteil, jeden Muskel genau vorgeschriebene Haltungen und Bewegungen, die sowohl mimischen als auch symbolischen Charakter haben können. Bedeutung kommt dabei den Fuß- und besonders den Hand- und Fingerhaltungen zu, durch die der Tänzer gegenständliche Begriffe (etwa Lotosblüte, Schildkröte, Nadel), aber auch abstrakte (ich, du, nein, ja, Sein, Leben, Tod) darstellen kann, während seine Mimik Emotionen (Liebe, Zorn, Erstaunen, Ekel) zeigt. Aus den Kombinationen der Haltungen und Bewegungen aller Körperteile ergibt sich schließlich der Vortrag von ganzen Begebenheiten und Geschichten, die z. B. erbaulichen, kultischen oder auch lehrreichen Inhalt haben.
Während der britischen Kolonialzeit drohten viele Arten des indischen Tanzes, besonders der Tempeltanz, in Vergessenheit zu geraten. Erst R. Tagore begann mit seiner Wiederbelebung, indem er Tanzgruppen bildete, dichtete und komponierte. Heute setzt sich der Staat für die Erhaltung der Tänze ein, alle Tanzstile werden wieder gepflegt und auch durch das zunehmende Interesse der Forschung des In- und Auslandes getragen.
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