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Aufstand im Warschauer Ghetto: Als die Juden zurückschlugen
Sie hatten nichts mehr zu verlieren: Nach der Besetzung durch Nazi-Deutschland waren die Juden in Warschau wie in anderen polnischen Städten in Ghettos zusammengepfercht worden. Dort, wo vor dem Krieg etwa 80.000 Menschen gelebt hatten, mussten nun zeitweise 450.000 von ihnen dicht gedrängt wohnen. Und dann kamen die Deportationen.
Ab dem Sommer 1942 mussten die Warschauer Juden Tag für Tag mit ansehen, wie Nachbarn, Freunde, Bekannte und Verwandte von den Nationalsozialisten in Viehwaggons gesteckt wurden - um nie mehr zurückzukehren. Binnen weniger Monate wurden damals 300.000 Ghettobewohner deportiert. Die meisten kamen in das nahegelegene Vernichtungslager Treblinka.
Widerstand formiert sich
Nach diesen Massendeportationen schien klar: Die Deutschen würden ihre auf der Wannseekonferenz beschlossene "Endlösung" erbarmungslos durchziehen. Doch nicht alle der letzten verbliebenen Menschen im jüdischen Ghetto der Hauptstadt wollten sich ihrem Schicksal widerstandslos hingeben.
Viele vor allem junge Leute - darunter Zionisten, Kommunisten und Vertreter des jüdischen Arbeiterbunds - vereinigten sich zur Jüdischen Kampforganisation. Sie beschafften sich im Untergrund Waffen, bauten Verstecke und Bunker aus - alles, um auf den nächsten Schlag der Nationalsozialisten vorbereitet zu sein. Ein erstes Mal wollten sie sich nicht hilflos fügen, sondern dem Feind mutig entgegentreten.
Überrumpelte Deutsche
Im Januar 1943 marschierten die Deutschen wieder in das Warschauer Ghetto ein und wurden von den Juden schon kampfeslustig erwartet. Nach nur vier Tagen stellten die SS-Kommandos die Deportationen ein - ein erster Erfolg für die Widerstandskämpfer. Doch die Nazis kamen zurück: Am 19. April, ausgerechnet in der jüdischen Festwoche Pessach, umstellten sie den Bezirk mit Panzern und Panzerwagen. Die letzten Juden sollten endgültig aus Warschau verschwinden.
Die Kampforganisation unter Leitung von Mordechaj Anielewicz schlug sofort beim Einmarsch der ersten Deutschen zu. Hunderte Frauen und Männer bombardieren die Soldaten mit selbst gebastelten Granaten und Molotowcocktails. Der Überraschungseffekt war auf ihrer Seite. Die Deutschen waren überrumpelt.
David gegen Goliath
Vier Wochen lang leisteten sich die Juden mit den Nazis erbitterte Gefechte und gaben nicht auf. Doch es war ein Kampf wie bei David gegen Goliath. Die jüdischen Rebellen waren unerfahren, schlecht ausgerüstet und hatten keine militärische Ausbildung. Und die Nationalsozialisten gingen gnadenlos vor: Unter dem Kommando des SS-Führers Jürgen Stroop setzten sie systematisch ganze Häuser in Brand oder sprengten sie. Potenzielle Verstecke wie Keller und Kanäle fluteten sie mit Wasser oder Gas.
Auch der jüdischen Kampforganisation selbst war klar, dass sie die Reste ihrer Gemeinde nicht dauerhaft vor der Deportation durch die überlegenen Deutschen würde schützen können. Darum aber ging es ihr auch gar nicht: "Wir wollen nicht Leben retten, wir wollen unsere Würde retten", erklärten die Widerstandskämpfer.
Der Traum der Selbstverteidigung
Am 16. Mai wurde der Aufstand schließlich zerschlagen. SS-Führer Stroop meldete: "Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr. Mit dem Sprengen der Warschauer Synagoge wurde die Großaktion um 20.15 Uhr beendet." 56.000 Menschen wurden bis dahin erschossen oder deportiert - Menschen, die gezeigt hatten, dass die Deutschen nicht unantastbar waren und dass Juden sich selbst verteidigen konnten.
In einem seiner letzten Briefe schrieb Anführer Anielewicz: "Am wichtigsten ist, dass der Traum meines Lebens wahr geworden ist. Jüdische Selbstverteidigung im Ghetto ist verwirklicht worden. Vergeltung und Widerstand von jüdischer Seite ist eine Tatsache geworden."