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Begleiter aller Erstklässler: Die Geschichte der Schultüte

In der Hälfte der Bundesländer hat die Schule wieder angefangen. Jetzt drücken über 800.000 Kinder zum ersten Mal die Schulbank. Und bei der Einschulung der i-Dötzchen darf eines nicht fehlen: die Schul- beziehungsweise Zuckertüte. Doch woher kommt der Brauch überhaupt? Und gibt es regionale Unterschiede?
SSC, 22.08.2025
Erstklässlerin mit  Schultüte

© ThomasVogel, iStock

Manchmal wirken sie fast größer als ihre Träger: Bunt verzierte, mit Süßigkeiten, Spielzeug und Schulsachen gefüllte Schultüten gehören fest zum ersten Schultag dazu. Stolz mit ihrer Tüte in der Hand stehen die i-Dötzchen – je nach Bundesland in den vergangenen oder kommenden Tagen – auf den Schulhöfen, um ihren neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Die Tradition der auch als Zuckertüten bekannten Schulstartgeschenke ist dabei jedoch vergleichsweise jung.

Die „Zuckertüte“ aus Sachsen

Das genaue „Geburtsjahr“ der Schultüte ist leider nicht bekannt. Erste Hinweise auf die Tradition finden sich jedoch in der Autobiografie des sächsischen Theologen Karl Gottlieb Bretschneider, der in der Nähe von Zwickau aufwuchs und 1781 oder 1782 eingeschult wurde: „Ich erinnere mich noch, wie ich eine Zuckertüte von dem Schulmeister bekam, und wie ich glaubte, daß ich alle Tage eine solche erhalten würde, und daher sehr befremdet war, an den folgenden Tagen nichts zu empfangen.“  

Im Jahr 1801 berichtete auch der spätere Musiklehrer Johann Daniel Elster davon, bei seiner Einschulung in Thüringen „nach altem Brauch“ eine Zuckertüte von seinem Kantor erhalten zu haben. Weitere Hinweise auf die Schultüte finden sich in den folgenden Jahrzehnten in Jena, Dresden und Leipzig. Auch der Schriftsteller Erich Kästner beschreibt in seinen Kindheitserinnerungen, dass er 1906 zu seinem ersten Schultag in Dresden eine „Zuckertüte mit der seidnen Schleife“ erhielt.

Dass Sachsen gewissermaßen die Wiege der Schultüte ist, belegt auch die Firma Nestler. Im Erzgebirge gründete Carl August Nestler vor über 100 Jahren die „Feinkartonagefabrik“, die Schultüten und Papp-Ostereier herstellte. Heute gilt Nestler als größter Schultütenhersteller Deutschlands und produziert jährlich etwa zwei Millionen davon.

Ost- und West-Tüte

Während der befüllbare Pappkegel zum Schulstart in den neuen Bundesländern meist als „Zuckertüte“ bezeichnet wird, ist er im Westen als „Schultüte“ bekannt. Dort ist die Tüte außerdem rund geformt und etwa 70 Zentimeter lang. In den östlichen Bundesländern hingegen ist sie 15 Zentimeter länger und sechseckig.

Was den ersten Schultag in Ost und West ebenfalls unterscheidet, ist das „Zuckertütenfest“, das viele Kindergärten in den neuen Bundesländern feiern. Kindergärtner erzählen den Kindern von einem „Zuckertütenbaum“, an dem kleine Zuckertüten wachsen. Sind diese „Früchte“ reif, sind die Kinder bereit, in die Schule zu gehen, und bekommen die Tüten während des Fests zum Ende der Kindergartenzeit überreicht.

Vom süßen Vergnügen zum Allrounder

Während sie anfangs noch ihrem Namen als „Zuckertüte“ gerecht wurde, indem Eltern sie mit Süßigkeiten und Obst füllten, stecken in der Schultüte heute allerlei andere, im Schulalltag nützliche Dinge wie Stifte, kleine Bücher oder Glücksbringer. Schon 1910 mahnten Autoren der Zeitschrift „Wiener Hausfrau“ vor dem „Volumen der neuen Schultüten“, die „von Jahr zu Jahr größere Dimensionen“ annehmen. Und auch heute gibt es immer wieder Kritik an der Üppigkeit der Tüten. Manche Eltern und Lehrkräfte finden sie überladen. Gut möglich also, dass sich einige Kinder genauso wie einst  Bretschneider wundern, warum sie nicht auch an allen anderen Schultagen mit einer Zuckertüte empfangen werden.

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