Wissensbibliothek
Ameisen: In allen Lebensräumen zu finden
Welche Tierfamilie könnte man »Krone der Schöpfung« nennen?
Die Ameisen. Denn in den 100 Millionen Jahren ihrer Evolution haben sich die 20 000 Arten dieser Familie an die verschiedensten Lebensräume rund um den Globus angepasst und dabei eine Vielzahl von verblüffenden und einzigartigen Überlebensstrategien entwickelt. Manche Arten sind Allesfresser, andere leben räuberisch oder nehmen nur spezielle Pflanzenkost zu sich; viele sind sesshaft, andere wandern; manche bauen Pilze an oder hegen Blattlausherden, wobei sie sich noch bestimmter Bakterienarten als »Hilfspersonal« bedienen, wieder andere halten kleinere Ameisen als Sklaven. Am beeindruckendsten aber ist sicherlich, dass sie sich alle zu riesigen Staaten organisieren.
Genauso vielgestaltig wie die Lebensweisen sind die Nester. Die aus Nadeln und Reisig errichteten Haufen hiesiger Waldameisen sind jedem aufmerksamen Spaziergänger vertraut: Sie ragen bis zwei Meter in die Höhe und reichen ebenso tief in den Boden. Von anderen Ameisenarten kennt man unauffällige Gangsysteme unter Steinen oder hinter der Rinde von Bäumen, aus zerkautem Pflanzenmaterial hergestellte kunstvolle Kartonnester in Baumkronen oder in Hohlräumen von Pflanzen und sogar frei hängende, aus Blättern und Gespinstfäden gefertigte Nester.
Übrigens: Während ursprünglichere Ameisenarten noch Giftstachel haben, setzen die höher entwickelten auf »Distanzwaffen«. Sie produzieren in einer Giftdrüse am Hinterleib die ätzende Ameisensäure. Fühlen sie sich bedroht, beißen sie nicht nur zu, sondern spritzen die Säure auf ihren Gegner.
Was kommt nach dem Hochzeitsflug?
Für die meisten Ameisen der Tod. Regelmäßig zur Schwarmzeit, ein- oder zweimal im Jahr, erheben sich Wolken aus geflügelten Geschlechtstieren in die Luft. Die Männchen verenden kurz nach der Begattung und auch viele der Weibchen fallen Fressfeinden zum Opfer oder finden keinen Paarungspartner. Nur einige wenige befruchtete Staatengründerinnen überleben und sorgen für Erhalt und Ausbreitung der Art.
Die einfachste und häufigste Form der Nestgründung beginnt damit, dass die begattete junge Königin ganz allein eine kleine Höhle gräbt, sich darin einschließt und Eier legt. Bis aus diesen die ersten Arbeiterinnen entstanden sind, zehrt sie einzig von ihren Fettreserven, der nun nicht mehr benötigten Flugmuskulatur und einem Teil ihres Geleges. Auch die Larven werden mit Eiern gefüttert; dabei bevorzugt das Weibchen eine Larve besonders, die rasch zur ersten Helferin heranwächst. Eier und Larven werden häufig abgeleckt, um der Austrocknung und Verpilzung vorzubeugen. Es dauert Jahre, bis das Volk seine endgültige Stärke erreicht.
Hat jedes Ameisenvolk nur eine Königin?
Nein, jedenfalls nicht bei allen Arten. Von den in Deutschland heimischen Arten Große Rote Waldameise (Formica rufa) und Kleine Rote Waldameise (Formica polyctena) ist die Letztere polygyn, das heißt, jedes Nest kann – bei insgesamt bis zu zwei Millionen Individuen – mehrere Tausend Königinnen enthalten. Die Völker der Großen Roten Waldameise sind dagegen meist monogyn, haben also nur eine Königin. Für den Laien sehen beide Arten sehr ähnlich aus. Doch ein Merkmal hilft auch dem Nichtfachmann, sie auseinander zu halten: Die Große Rote Waldameise ist unter dem Kopf und am Rücken leicht behaart, die Kleine Rote Waldameise an diesen Stellen dagegen kahl.
Gibt es auch bei den Ameisen feindliche Übernahmen?
Durchaus. Ein Beispiel liefert die Große Rote Waldameise. Um ein neues Nest zu gründen, dringt nämlich eine Jungkönigin dieser Ameisenart bei einem Volk der Hilfsameise Formica fusca ein. Dort tötet sie die Königin und lässt ihre Eier von den fremden Arbeiterinnen aufziehen; im Laufe der Zeit stirbt das ursprüngliche Volk dann allmählich aus. Dieses für den Verhaltensbiologen sehr interessante Vorgehen ist beim Förster weniger gern gesehen. Übrigens: Da dieser die Ameisen als Schädlingsbekämpfer schätzt, ist er an einer schnellen Ausbreitung interessiert. Und dies gelingt der polygynen Kleinen Waldameise besser als den großen Verwandten – einfach, indem ein Teil der Ameisen mitsamt einigen Königinnen auswandert und sich an einem geeigneten neuen Standort niederlässt.
Leben auch andere Tiere in Ameisennestern?
Ja, mitunter, doch sind diese nicht unbedingt gern gesehen. Angesichts des evolutionären Erfolgs und der Verbreitung der Hautflügler ist es kein Wunder, dass andere Arten sich auf das Leben innerhalb eines Ameisenstaates spezialisiert haben. Diese sog. Ameisengäste, etwa 3000 Arten von Gliederfüßern wie Asseln, Milben, Spinnen, Schmetterlingsraupen und vor allem Käfer, sind teils unschädliche Untermieter, teils echte Schmarotzer und Räuber. Viele von ihnen tarnen sich chemisch als Artgenossen der Ameisen oder sondern schmackhafte Substanzen ab, um nicht getötet oder aus dem Nest geworfen zu werden. Manche ahmen sogar das Verhalten der Wirte nach. Es gibt aber auch erwünschte Untermieter, die mit den Ameisen symbiotische, also für beide Seiten nützliche Wechselbeziehungen eingegangen sind.
Betreiben Ameisen Vorratshaltung?
Ja, das tun sie! Dabei legen sie Verhaltensweisen an den Tag, die man sonst nur beim Menschen findet. Allerdings handelt es sich natürlich nicht um intelligentes, planvolles Vorgehen Einzelner, sondern um im Laufe der Evolution perfektionierte, genetisch festgelegte Verhaltensprogramme.
Vorräte legen Ameisen an, um auch in der kargen Jahreszeit den immensen Energiebedarf der Eier legenden Königin, des gefräßigen Nachwuchses und des riesigen Volkes befriedigen zu können. Die Getreideameisen (Gattung Messor) beispielsweise können bis zu einem Viertel des erntereifen Getreides auf einem Feld in die zahlreichen Kornkammern ihrer unterirdischen Baue schaffen; die eingelagerten Mengen sind so beträchtlich, dass schon die alten Hebräer gesetzlich festlegten, wem solch ein Fund gehören sollte.
Schon ausgefallener sind die lebenden Speisekammern der nordamerikanischen Wüstenameisen der Gattung Myrmecocystus. Diese sammeln fleißig Pflanzensäfte, die sich aber nicht einfach in Kammern ablegen lassen. Daher dienen bis zu 600 Tiere einer Kolonie als lebende Vorratsgefäße: Sie füllen ihren im Hinterleib untergebrachten Kropf mit dem Zuckersaft, den sie von anderen Arbeiterinnen übernehmen, und schwellen dabei so stark an, dass an Fortbewegung nicht mehr zu denken ist. Ein Muskelventil verhindert, dass der Saft aus dem Kropf in den Magen gelangt. Diese »Honigtöpfe« genannten Speichertiere hängen an den Decken der Vorratskammern, bis ihre Artgenossinnen die Vorräte wieder abgezapft haben. Früher sammelte man die Honigtöpfe als Delikatesse ein.
Gibt es Tiere, die Tiere halten?
Ja, manche Ameisenarten beschränken sich nicht darauf, Honigtau von Blatt- und Schildläusen aufzunehmen, denen sie zufällig begegnen. Sie bauen auch gezielt Schutzwälle um die Läuse und vertreiben deren Fressfeinde. Manche halten sogar Wurzelläuse regelrecht als Nutzvieh in ihren Erdnestern. Es ist nicht leicht einzuschätzen, ob eine Ameisenart durch ihre Hegetätigkeit und die daraus resultierende Blattlausvermehrung mehr Schaden anrichtet, als sie durch die Vernichtung anderer Schädlinge verhindert.
Fressen Blattschneiderameisen Blätter?
Nein, sie ernähren sich nicht selbst von den Blättern, die sie im weiten Umkreis einsammeln, sondern nutzen sie als Dünger für ihre Pilzkulturen. Da Ameisen wie die meisten anderen Tiere Cellulose nicht verdauen können, haben sie den Umweg über das Züchten von Pilzen nehmen müssen. Dabei gehen sie folgendermaßen vor: Die Blattstücke werden in spezielle Kammern geschleppt, zerkaut und eingespeichelt. Das so entstandene Substrat düngen die Ameisen mit Kot und beimpfen es dann mit Pilzsporen. Die in diesen bis zu menschenkopfgroßen Pilzgärten gedeihenden Pilze regen sie durch Beknabbern zu starkem Wachstum an; zugleich verhindern sie die Bildung von Fruchtkörpern. So entstehen kohlrabiförmige Verdickungen, von denen sich die Ameisen hauptsächlich ernähren. Bei dieser Symbiose profitieren die Ameisen von der Fähigkeit der Pilze, Cellulose abzubauen, und die Pilze vom Proteinabbau im Ameisenstoffwechsel. Die junge Königin nimmt bei der Nestgründung einen Teil des Pilzes mit.
Warum verlaufen sich Ameisen auf ihren Ausflügen nicht?
Weil sie verschiedene Möglichkeiten entwickelt haben, sich zu orientieren. Bei ihren Jagd- und Sammelausflügen oder Besuchen der »Blattlausherden« finden sich Ameisen dadurch zurecht, dass sie sich an optischen Wegmarken, am Sonnenstand, an der Schwerkraft (sie können Neigungswinkel gut einschätzen) und vor allem an Gerüchen orientieren. Die Arbeiterinnen hinterlassen auf ihren Straßen Duftmarken, die nur langsam verfliegen und von den Kolleginnen noch stundenlang wahrgenommen werden können. Je wichtiger eine Nahrungsquelle, desto stärker frequentiert ist der Weg und desto stärker der Duft: So können sie auch Haupt- und Nebenstraßen unterscheiden und sich an neue Bedingungen wie das Versiegen einer Nahrungsquelle anpassen.
Wussten Sie, dass …
Ameisen etwa 10 % der gesamten globalen Biomasse stellen?
die größte bekannte Ameise die Königin einer Wanderameise der Gattung Dorylus mit acht Zentimetern Länge ist?
die Größenunterschiede zwischen den Kasten bei der afrikanischen Ameisenart Carebara vidua besonders drastisch ausfallen? Die winzigen Arbeiterinnen klammern sich beim Hochzeitsflug an die 20-mal längere und 2000-mal voluminösere Königin und sind dann sofort zur Stelle, um ein neues Nest zu gründen.
Ameisenmännchen meist kurz nach der Begattung sterben, während die Königinnen 15 bis 20 Jahre alt werden und manche Nester sogar 40 Jahre bestehen?
Waldameisen manchmal regelrechte »Städte« mit über 70 Nestern auf einer Fläche von vier Hektar bilden?
die Nester von Waldameisen 200 000 bis zwei Millionen Tiere beherbergen?
Wanderameisenvölker sogar aus mehr als 20 Millionen Tieren bestehen können?
Wie sind Ameisenstaaten organisiert?
Ameisenstaaten sind aus verschiedenen Kasten aufgebaut, deren Aufgaben exakt festgelegt sind. Die Königin begründet einen Staat, indem sie Eier zu legen beginnt. Sind aus diesen die ersten Arbeiterinnen geschlüpft, hat die Königin für den Rest ihres mitunter sehr langen Lebens keine andere Aufgabe mehr, als unablässig Eier zu legen. Die Männchen sterben bald nach dem Hochzeitsflug, der für sie die einzige Tätigkeit ihres kurzen Lebens ist. Alle anderen Verrichtungen werden von den Arbeiterinnen erledigt, also den unfruchtbaren, flügellosen Weibchen: Sie bauen, reinigen und bessern das Nest aus, sorgen für eine gleichmäßige Temperatur in seinem Innern, sind für die Beschaffung der Nahrung und die Vorratshaltung zuständig, füttern und pflegen Nachwuchs und Königin und verteidigen als Soldaten das Nest gegen Eindringlinge. Nur wenn die Königin umkommt, können Arbeiterinnen »aus der Rolle fallen«. Entweder wandeln sie sich zur Königin oder sie legen Eier, aus denen sich Geschlechtstiere entwickeln.
Wussten Sie, dass …
aus den befruchteten Eiern der Königin Arbeiterinnen schlüpfen, während sich aus den unbefruchteten Eiern, die auch von Arbeiterinnen stammen können, Männchen entwickeln?
sich Ameisen mit konzentrierter Ameisensäure gegen Feinde wehren?
einige Stare und Eichelhäher mit dieser Ameisensäure ihr Gefieder gegen Parasiten behandeln und sich dazu in einen Ameisenhaufen setzen?
Ozeane als Quelle des Lebens
Die Urzelle Luca könnte sich in der Tiefsee entwickelt haben. Forscher sind im Labor geochemischen Reaktionen auf der Spur, die am Rande heißer Schlote in der Tiefsee stattgefunden haben könnten. Von RAINER KURLEMANN Wer den Beginn allen Lebens auf der Erde verstehen will, muss tief ins Meer eintauchen. Viele Wissenschaftler sind...
Was zuckst Du?
Fast ein Vierteljahrhundert verbringt jeder von uns bei durchschnittlicher Lebenserwartung angeblich mit Schlafen. Im Wachzustand ist unser Gehirn mehr oder weniger auf Vollgas, aber kurz vor dem Einschlafen drosseln die Gehirnzellen das Tempo ihrer Kommunikation und gehen quasi auf Standgas. Wenn Sie jemanden wirklich nachhaltig...