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Defoes Robinson Crusoe: Drei Jahrzehnte Einsamkeit

Welches Schicksal erleidet der Titelheld?

Die Hauptfigur aus Daniel Defoes (um 1660 bis 1731) Roman »Das Leben und die seltsamen Abenteuer des Robinson Crusoe« (1719, deutsch 1720), ein deutschstämmiger Kaufmannssohn aus York, strandet während einer Überfahrt nach Afrika als einziger Überlebender auf einer unbewohnten Insel. Er hat Glück im Unglück: Aus dem Schiffswrack kann er lebenswichtige Dinge wie Werkzeug und Waffen retten. Mit primitiven Mitteln richtet er sich eine Behausung ein und umgibt sie zum Schutz vor Raubtieren mit einem Palisadenzaun. Nun durchläuft er typische Entwicklungsstadien menschlicher Zivilisation: Zunächst Jäger und Sammler, gelingt es ihm später, wilde Ziegen zu zähmen, Obst und Getreide zu kultivieren und Brot zu backen.

Wie wendet sich Robinsons Schicksal?

Die jahrelange Einsamkeit macht Robinson schwer zu schaffen. Beendet wird sie ausgerechnet durch die Landung einer Gruppe von Kannibalen, die auf der Insel ein Festmahl abhalten, bei dem gefangene Feinde verspeist werden. Robinson rettet eines ihrer Opfer und hat fortan einen ebenso nützlichen wie gelehrigen Gefährten, den er nach dem Tag seiner Ankunft »Freitag« nennt. Die nächste Wendung seines Schicksals ergibt sich durch das Eintreffen eines Schiffs, dessen Kapitän er davor bewahrt, von der meuternden Mannschaft ausgesetzt zu werden. Zum Dank nimmt dieser ihn mit zurück in die Heimat, nach 28 Jahren, zwei Monaten und 19 Tagen unfreiwilligen Inseldaseins.

Welche zeittypischen Denkweisen finden sich?

Während die nüchterne, detailgenaue Darstellung des Geschehens, die ihren Ursprung in Defoes journalistischer Praxis hat, neu in der Erzählprosa war, ist das rationalistisch-moralische Argumentationsmodell hinter der abenteuerlichen Geschichte traditionell: Wer tatkräftig sein Los meistert und sich vertrauensvoll in die göttliche Vorsehung fügt, den wird sie belohnen. Sogar mit irdischem Wohlstand, wie es Robinson im zweiten und dritten Teil (1719/20) widerfährt. Defoe vertrat hier konsequent die Weltsicht des puritanischen Christentums seiner Epoche.

Weniger optimistisch als beim Individuum zeigt sich Defoe hinsichtlich der ethischen Perfektionierung des Kollektivs: Die auf Robinsons Insel zurückbleibenden Meuterer scheitern an der Gründung eines idealen Inselstaates, was nicht zuletzt am beständigen Kampf gegen die Kannibalen liegt. Freitag seinerseits verkörpert als Urbild des »edlen Wilden« das Vertrauen in die natürliche Würde der unverdorbenen Kreatur, ein zivilisationskritischer Gedanke zu einer Zeit, als Sklaverei noch gang und gäbe war. In solchen Geschäften ist Robinson nämlich unterwegs, als er seinen legendären Schiffbruch erleidet – so erhält seine Schicksalsgemeinschaft mit dem Schwarzen eine besondere Pointe.

Wie wurde der Roman aufgenommen?

Defoes »Robinson Crusoe« wurde zu einem enormen Erfolg, der allerdings vorwiegend auf den gekürzten, vereinfachten Bearbeitungen für die Jugend basiert. Diese erlaubten ein von pädagogischen Anreizen nur mäßig getrübtes Schwelgen in Spannung und Exotik. Den Anfang in Deutschland machten in den Jahren 1779/80 sowohl Johann Karl Wezels »Robinson Krusoe. Neu bearbeitet« als auch Joachim Heinrich Campes »Robinson der Jüngere«. Wirkungsgeschichtlich erlitt Daniel Defoes »Robinson Crusoe« also ein ähnliches Schicksal wie etwa Jonathan Swifts »Gullivers Reisen« (1726) oder James F. Coopers »Lederstrumpf« (1823–1841). Andererseits fand das Motiv des »edlen Wilden« vielfältigen literarischen Niederschlag, der von Werken Jean-Jacques Rousseaus über Mary Shelleys »Frankenstein« aus dem Jahr 1818 bis hin zu Karl Mays »Winnetou«-Romanen reicht.

Welches neue Genre etablierte Defoe?

Daniel Defoe zählte zu den ersten Schriftstellern, die dem Roman ein authentisches Geschehen zugrunde legten, und begründete zugleich das Genre der fiktiven Autobiografie. »Robinson Crusoe« steht am Anfang einer langen Reihe populärer Seefahrer- und Inselabenteuer auf Papier und Zelluloid. Zu diesen literarischen und filmischen Werken zählen etwa Robert Louis Stevensons im Jahr 1899 erschienene »Schatzinsel« und die »Meuterei auf der Bounty«, die auf einer wahren Begebenheit des Jahres 1789 basiert.

War Defoe auch ein Abenteurer?

Sein Leben hätte als Vorlage für einen Roman getaugt. Er wurde vermutlich Anfang 1660 in London als Daniel Foe geboren. Der Sohn eines Schlachters erhielt eine presbyterianische Erziehung. 1685 floh er aus politischen Gründen nach Frankreich, kehrte aber bald zurück und verdingte sich wieder als Kaufmann, bevor er 1692 pleiteging. Dieses Ereignis markierte aber auch den Beginn seiner publizistischen Laufbahn, da er sich jetzt intensiv mit politischen und wirtschaftlichen Themen beschäftigte. Mit zunehmendem Erfolg fügte er seinem Namen das aristokratische »De« hinzu. Er verbreitete Flugblätter, veröffentlichte mehrere Zeitschriften und satirische Artikel. Zu seinen bedeutendsten literarischen Werken zählt neben dem »Robinson« von 1719 »Moll Flanders« von 1722. Defoe starb am 26. April 1731 in London.

Wussten Sie, dass …

Daniel Defoe zu seinem Roman durch den seinerzeit Aufsehen erregenden Fall des Seemanns Alexander Selkirk angeregt wurde, der mehrere Jahre mutterseelenallein auf einer Insel im Pazifik zubrachte?

Defoes Inselabenteuer eine wahre Flut von »Robinsonaden« auslöste? Rund 80 solcher Erzählungen erschienen allein Mitte des 18. Jahrhunderts.

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