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Goethes Faust: Charaktertragödie und Menschheitsdrama

Was regte Goethe zu seinem berühmten Drama an?

Johann Wolfgang von Goethe beschäftigte sich sechs Jahrzehnte mit dem »Faust«. Durch das Volksbuch und das Puppenspiel um die »Historia von D. Johann Fausten« früh mit dem Stoff des Teufelspaktes vertraut, regte ihn im Jahr 1772 der Prozess um die Frankfurter Kindsmörderin Susanne Margarethe Brandt zur Gretchen-Handlung im ersten Teil der Tragödie an. Goethe sah vielleicht sogar die Hinrichtung der Verurteilten, die glaubte, unter dem Einfluss des Teufels zu stehen.

Während der so genannte »Urfaust« (um 1774) noch von einem »titanischen« Konzept der Titelfigur geprägt war, stand das spätere Werk unter dem mäßigenden Einfluss der von Friedrich Schiller mitbegründeten Weimarer Klassik. Der 1808 abgeschlossene erste Teil wurde erstmals 1829 aufgeführt, der 1825 bis 1831 entstandene zweite Teil hingegen erst postum veröffentlicht (1833). Die erste vollständige Inszenierung beider Teile fand 1876 in Weimar statt.

Welche Wirkung hatte das Drama?

Der »Faust« wurde eines der einflussreichsten Werke der Bühnengeschichte. So komponierten etwa Hector Berlioz (»Fausts Verdammnis«, 1846) und Charles Gounod (»Margarethe«, 1858) Faust-Opern. Der expressionistische Filmregisseur F. W. Murnau schuf im Jahr 1926 eine erfolgreiche Stummfilmadaption und Gustaf Gründgens drehte 1960 seine maßstabsetzende Verfilmung der Inszenierung des Dramas mit Will Quadflieg als Faust, Gründgens selbst spielte den Mephisto.

Worum wettet Mephisto mit Gott?

Die der Handlung des ersten Teils (1808) vorangestellten Szenen – Zueignung, Vorspiel auf dem Theater und Prolog im Himmel – führen als wichtigstes Motiv die Wette um Fausts Seele zwischen Gott und Teufel ein (»Was wettet ihr? Den sollt ihr noch verlieren«).

In der Anfangsszene im Studierzimmer rekapituliert der Doktor Faust sein vergebliches Trachten, das Weltgeheimnis mithilfe von Wissenschaft und Magie zu entschlüsseln. Seinen Entschluss, sich umzubringen, revidiert er zwar unter dem Eindruck der Glocken, die das Osterfest einläuten; nach dem Osterspaziergang wird er sich aber wieder des Zwiespalts von Intellekt und Sinnlichkeit bewusst: »Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.« Diesen Konflikt verspricht nun Mephistopheles durch das Angebot unbegrenzter sinnlicher Lebenserfahrung zu lösen – gegen das Unterpfand der Seele. Der mit Blut besiegelte Pakt erhält durch eine Zusatzklausel, die Faust fordert, wieder den Charakter einer Wette: »Werd' ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! Du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zu Grunde gehn!« Daraus erwächst der wesentliche Spannungsbogen des Dramas.

Welche Rolle spielt Gretchen?

Nach teils burlesken (in Auerbachs Keller), teils unheimlichen Szenen (die künstliche Verjüngung Fausts in der Hexenküche) setzt der zweite zentrale Handlungsstrang ein: die Liebestragödie um Gretchen. Faust erscheint das einfache Geschöpf als Inkarnation des weiblichen Idealbildes, das Mephisto ihm in einem Zauberspiegel zeigte. Fatal wirkt sich dessen Beistand bei der Verführung der Unschuldigen aus: Ein ihrer Mutter verabreichtes Schlafmittel wirkt tödlich, Faust tötet ihren Bruder im Duell, Gretchen ertränkt verzweifelt das gemeinsame Kind und endet auf dem Schafott. Doch nur scheinbar siegt das Prinzip des Bösen: Gretchen ist »gerettet«.

Wer gewinnt die Wette?

Zuletzt ist es doch Gott. Der zweite Teil des »Faust« (1833), ein monumentales Alterswerk von – wie es Goethe selbst einmal einschätzte – »inkommensurabler« Motiv- und Ereignisfülle, ist eher philosophisches Panoptikum als bühnenwirksames Schauspiel.

Ein langer und bunter Reigen unterschiedlichster Szenen – Kaiserpfalz, klassische Walpurgisnacht, Arkadien –, der in Fausts Begegnung mit der antiken Göttin Helena und schließlich im Tod und der Erlösung des Titelhelden gipfelt, kreist um das Problem der Synthese von romantischem Schaffensdrang und dem Formideal der klassischen Antike. Am Ende steht dann die Apotheose der in sich vollendeten, aber nicht zielgebundenen Tätigkeit: »Wer immer strebend sich bemüht, / Den können wir erlösen.« Wiederum besiegt die göttliche Gnade den »Geist, der stets verneint«, und macht Mephistopheles zum Verlierer.

Wie wurde der Stürmer und Dränger zum gefeierten Dichterfürsten?

Johann Wolfgang Goethe, 1749 in Frankfurt a. M. geboren, kam nach dem Jurastudium in Leipzig und seit 1770 in Straßburg, wo ihn die Liebe zu Friederike Brion zu stürmischen Gedichten inspirierte, auf Einladung des Herzogs Carl August 1775 als juristischer Berater, später als Minister nach Weimar. Hier bändigten dessen Mutter Anna Amalia, vor allem aber die gebildete und im höfischen Leben erfahrene Charlotte von Stein den jungen Stürmer und Dränger.

Deren Liebe und den Staatspflichten entzog sich Goethe auf seiner Italienreise 1786–1788, nach der er sich in Weimar fast nur noch der Kunst – eigenen Schöpfungen sowie der Leitung des Hoftheaters – zu widmen hatte. Er holte die wenig standesgemäße Christiane Vulpius in sein Haus, die er erst 1806 heiratete. Bis zu seinem Tod wurde Weimar – vor allem dank Goethes produktiver Freundschaft mit Schiller – zum Mekka aller geistig Interessierten.

Wussten Sie, dass …

bereits ein im väterlichen Haus vorhandenes Puppentheater die Leidenschaft des Dichters für die Bühne weckte?

Goethes Drama aus 11000 Versen besteht?

Goethe den zweiten Teil des Dramas zum größten Teil diktierte?

das Modell des Teufelspakts in der Literaturstets eine große Rolle spielte? Noch Thomas Manns Roman »Doktor Faustus« baut auf diesem Modell auf.

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