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Konfliktherde vor dem Ersten Weltkrieg: Wettstreit der Großmächte

Welche Großmächte rivalisierten auf dem Balkan?

Russland, die Osmanen und Österreich versuchten ihren Einfluss dort auszudehnen. In den 1830er Jahren setzte in Ostmitteleuropa eine Bewegung für den Zusammenschluss und die nationale Selbstbestimmung der Slawen ein, der Panslawismus. Russland förderte diese Bewegung und bemühte sich zugleich, eine Führungsrolle in einem allslawischen Staatenbund zu übernehmen. Ein Aufstand in der von den Osmanen regierten Herzegowina mobilisierte 1875 die Balkanregion gegen die »türkischen Unterdrücker«. Zar Alexander II. (reg. 1855–1881) verdrängte die Türken 1877/78 im Russisch-Türkischen Krieg vom europäischen Kontinent. 1878 wurde auf dem Berliner Kongress eine neue Balkanordnung festgelegt: Rumänien, Serbien und Montenegro wurden zu unabhängigen Staaten erklärt, Bulgarien zum dem Osmanischen Reich tributpflichtigen Fürstentum. Bosnien und die Herzegowina kamen unter österreichische Verwaltung. 1909 erklärte sich Bulgarien zum souveränen Staat, Österreich annektierte Bosnien und die Herzegowina.

Wer bekämpfte sich in den Balkankriegen?

1912/13 brach der Krieg zwischen den vereinigten Balkanstaaten Serbien (unterstützt von Russland), Bulgarien, Griechenland und Montenegro gegen die Türken aus, die bis auf die äußerste Südostecke ihres europäischen Besitzes zurückgedrängt wurden. Serbien wollte den Raum besetzen und sich bis zur Adria ausdehnen. Nur der Einfluss Deutschlands auf Österreich und Großbritanniens Einwirken auf Russland konnten diesen Ersten Balkankrieg beenden. Doch Streit um die makedonische Beute führte bereits 1913 zum Zweiten Balkankrieg. Dabei wurde Bulgarien vernichtend geschlagen. Österreich setzte die Gründung eines unabhängigen Albanien durch, wodurch der Zugang Serbiens zum Meer verhindert wurde. Auch im Zweiten Balkankrieg war es Großbritannien und Deutschland gelungen, eine europäische Ausweitung des Konflikts zu vermeiden.

Worum stritten Deutschland und Frankreich?

Um Elsass und Lothringen, die nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 ins Deutsche Kaiserreich eingegliedert wurden. Seither fürchteten deutsche Regierungen, dass Frankreich außenpolitische Krisen Deutschlands als Vorwand zur Rückeroberung dieser Gebiete nutzen würde. Bismarck konnte diese Gefahr durch diplomatisches Geschick bannen: Ein kompliziertes, auf Balance der Mächte ausgelegtes Bündnissystem des Reichskanzlers mit Österreich-Ungarn, Italien und Russland band den Feind im Westen. Als Wilhelm II. jedoch den 1887 geschlossenen Rückversicherungsvertrag mit Russland 1890 nicht verlängerte, kam es ab 1892 zu einem gegen Deutschland gerichteten Militärbündnis zwischen Frankreich und Russland.

Wie gefährdete Wilhelm II. den Frieden?

Die imperialistische »Weltpolitik« Kaiser Wilhelms II. richtete sich gegen den politischen Einfluss Frankreichs in Marokko. Seine Versuche, 1905 durch Intervention beim Sultan von Marokko und 1911 durch Entsendung des Kanonenboots »Panther« nach Agadir (Panthersprung) die eigene Stellung in dem nordafrikanischen Land zu festigen, lösten zwei schwere internationale Krisen aus. Danach musste das Deutsche Reich jedoch auf alle Ansprüche auf Marokko verzichten und stand außenpolitisch isoliert da.

Wie kam es zum Konflikt mit Großbritannien?

Die Flottenpolitik von Wilhelm II. war darauf ausgerichtet, Deutschland den zweiten Platz unter den Seemächten hinter Großbritannien zu verschaffen und selbst der britischen Kriegsflotte im Ernstfall Paroli bieten zu können. Dazu wurden vom Deutschen Reichstag ab 1898 mehrere Flottengesetze beschlossen. Der Plan, auf diese Weise die Briten zur Neutralität oder gar Freundschaft bewegen zu können, scheiterte: Stattdessen kam es zum Wettrüsten zwischen den beiden Großmächten.

Einigten sich Deutschland und Großbritannien?

Nein, mögliche Bündnisse zwischen Großbritannien und Deutschland scheiterten. Nach dem Abbruch der Verhandlungen 1901 einigten sich die Briten mit Japan (1902) und Frankreich (Entente cordiale, 1904) und bildeten eine dem deutsch-österreichisch-italienischen Dreibund gegenübertretende so genannte Triple-Entente mit Frankreich und Russland (1907). Sowohl die Überwindung des englisch-französischen wie englisch-russischen Gegensatzes (wegen gegenseitiger Kolonialansprüche in Asien) schien der deutschen Regierung undenkbar. Ein Flottenabkommen kam 1912 aufgrund der deutschen Forderung nach einem Neutralitäts- beziehungsweise Nichtangriffspakt nicht zustande.

Wie wurden Russen und Türken zu Erzfeinden?

Katharina II. von Russland (reg. 1762–1796) führte zwei Kriege gegen das Osmanische Reich (1768–1774 und 1787– 1792), wodurch sie die Nordküste des Schwarzen Meeres gewann. Auch die Expansionspolitik unter Nikolaus I. (reg. 1825–1855) war primär gegen die Türken gerichtet. Die Forderung, christlichen Untertanen privilegierte Stellungen und die russische Schutzherrschaft zu garantieren, wurde abgelehnt, eine russische Besetzung der Donaufürstentümer 1853 war die Folge. Im Krimkrieg (1853/54–1856), bei dem sich auch Großbritannien und Frankreich gegen Russland stellten, verlor das Zarenreich das Donaudelta und Südbessarabien. Trotz des Sieges im Russisch-Türkischen Krieg von 1877/78 konnten die Russen auch hier keine bedeutenden territorialen Zugewinne erzielen.

Wussten Sie, dass …

Frankreich und Russland neben der militärischen Stärke auch das dramatische wirtschaftliche Wachstum Deutschlands auf dem industriellen Sektor als Bedrohung empfanden? So produzierte Deutschland 1910 etwa dreimal so viel Roheisen, viermal so viel Stahl und siebenmal so viel Kohle wie Frankreich.

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