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Schumanns Klavierkonzert: Variationen über ein großes Gefühl

Warum war eine Reform des Klavierkonzerts nötig?

Die Gattung des Klavierkonzerts steckte um 1840 in einer Krise. Der Kreis der klassischen Form war mit Beethovens Es-Dur-Konzert endgültig ausgeschritten, und die Zirkusveranstaltung des Virtuosenkonzerts verurteilte das Orchester zur musikalischen Belanglosigkeit. »Und so müssen wir getrost den Genius abwarten«, schrieb Robert Schumann (1810–1856), »der uns in neuer glänzender Weise zeigt, wie das Orchester mit dem Clavier zu verbinden sei, dass der am Clavier Herrschende den Reichthum seines Instruments und seiner Kunst entfalten könne, während dass das Orchester dabei mehr als das bloße Zusehen habe und mit seinen mannichfaltigen Charakteren die Scene kunstvoller durchwebe.« Was Schumann vorschwebte, war eine Gattung, die »aus einem größeren Satz in einem mäßigen Tempo bestände, in dem der vorbereitende Teil die Stellung eines ersten Allegros, die Gesangsteile die des Adagios und ein brillanter Schluss die des Rondos verträten«.

Wie gelangte Schumann in die Rolle des Neuerers?

Eine unglückliche Wendung, die sich später als glücklich erwies, führte dazu, dass es Schumann gelang, dem Klavierkonzert eine neue Form zu geben. Als er im Jahr 1841 nach der Vollendung seiner 1. Symphonie eine »Phantasie« in a-Moll für Klavier und Orchester komponierte, fand sich für dieses Werk seltsamerweise kein Verleger. Vier Jahre später arbeitete er diese »Phantasie« zum Kopfsatz eines Klavierkonzerts um, das er mit einem Intermezzo und einem Allegro vivace komplettierte.

Übrigens: Es spricht einiges dafür, dass Clara Schumann, die als Pianistin gefeierte Gattin, zur Vollendung des Werks gedrängt hat. Das Werk wurde dann am 4. Dezember 1845 in Dresden uraufgeführt, Dirigent war Ferdinand Hiller, Solistin Clara Schumann.

Wie bricht das Klavierkonzert mit der Tradition?

Es besteht eigentlich aus einem einzigen Satz, worüber auch die traditionelle Dreisätzigkeit nicht hinwegtäuschen kann. Denn das Hauptthema des ersten Satzes bestimmt in variierter, rhythmisch abgewandelter Form auch den dritten Satz, so dass man den zweiten Satz, das Intermezzo, im Sinne der Sonatenform als Seitenthema bezeichnen könnte. Die Kadenz steht nicht im freien Belieben des Interpreten, sondern sie ist präzise auskomponiert – sie bildet als innerer Monolog den Höhepunkt des ersten Satzes.

Wodurch sind die musikalischen Dialoge bestimmt?

Die Dialoge zwischen Solist und Orchester sind oft kammermusikalische Delikatessen, da der Komponist im Wechselspiel mit dem Klavier Orchestersoli und nicht Orchestertutti bevorzugt. Sie geben dem Werk einen spezifischen, ungewöhnlichen Charakter. Wo dem Pianisten Virtuosität abgefordert wird, da geschieht es nicht als demonstrativer Selbstzweck, sondern im Dienste der poetisch-romantischen Idee. Denn, so Schumann: »Das wäre eine kleine Kunst, die nur Klänge und keine Sprache noch Zeichen für Seelenzustände hätte!« Seelenzustände musikalisch zu beschreiben – Liebesleidenschaft und traumverlorene Melancholie, Optimismus, Sehnsucht und Schmerz –, das ist der zutiefst romantische Gedanke, aus dem der Komponist seine schöpferische Inspiration gewinnt.

Welche Bedeutung hat das zentrale Thema?

Das zentrale Thema, das das Konzert durchzieht, repräsentiert im Sinne der romantischen Ausdrucksästhetik auch den Hauptgedanken. Indem Schumann das strenge Korsett der Sonatenform lockert, gewinnt er improvisatorische Freiheit. Wie kunstreich er den Hauptgedanken variiert und schattiert, ihn episodisch strukturiert und modulierend deklamiert, das ist das Wunder dieses Konzerts.

Welche Gefühlswelt dem Hauptgedanken zugrunde liegt, lässt sich ahnen: ein persönliches Liebesbekenntnis Schumanns zu seiner Frau Clara. Denn der tonale Bezug auf Kompositionen der Gattin und auf die große Florestan-Arie in Beethovens »Fidelio«, den Hymnus auf die Gattenliebe, kann kein Zufall sein.

Wussten Sie, dass …

Schumanns Klavierkonzert a-Moll anders als viele seiner Werke schon zu Lebzeiten vom Publikum begeistert aufgenommen wurde?

jeder Pianist das a-Moll-Konzert heute noch im Repertoire haben muss?

es nach der subjektiven Einschätzung vieler das »schönste« aller Klavierkonzerte ist, ganz unbestritten aber das bedeutendste der Romantik?

War Robert Schumann ein weithin anerkannter Künstler?

Nein, Schumann hatte mit Widerständen zu kämpfen. Die angestrebte Pianistenlaufbahn des am 8.6.1810 in Zwickau geborenen Künstlers wurde durch eine Fingerverletzung verhindert. Daraufhin verlegte sich Schumann aufs Komponieren, er arbeitete aber auch als Kritiker, Musikwissenschaftler und Verleger. 1840 heiratete er die Pianistin Clara Wieck. Die Schumanns litten unter Geldproblemen, da seine Kompositionen nicht dem Zeitgeschmack entsprachen und selten aufgeführt wurden. Hinzu kam eine psychische Erkrankung des Komponisten, die sich schon in jungen Jahren bemerkbar machte. 1850 nahm er eine Stelle als Städtischer Musikdirektor in Düsseldorf an. 1854 verschlimmerte sich seine Krankheit, am 29.7.1856 starb er in der Nervenheilanstalt Endenich bei Bonn.

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