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Fakt oder Mythos - Kommen Männer in die Wechseljahre?
Fakt ist: Wie bei Frauen in den Wechseljahren der Östrogenspiegel sinkt, so sinkt bei Männern im Alter der Testosteronspiegel. Die Konzentration des männlichen Sexualhormons nimmt etwa ab dem 40. Lebensjahr jedes Jahr um ein bis zwei Prozent ab. Damit verläuft das Schwinden der Hormone bei Männern jedoch vergleichsweise unspektakulär und langsam. Krasse hormonelle Turbulenzen, wie sie im weiblichen Körper vorkommen, bleiben Männern deshalb erspart – ebenso wie die damit assoziierten Symptome. Zudem sinkt der Testosteronspiegel nicht bei jedem Mann gleichermaßen. So gibt es durchaus auch ältere Männer, die über jugendliche Testosteronwerte verfügen.
Experten lehnen aus diesen Gründen den Begriff der „männlichen Wechseljahre“ ab. Die Pharmaindustrie bewirbt jedoch teure Präparate für die Therapie ebendieses Krankheitsbildes. Das kritisieren unter anderem Mediziner der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Anlässlich eines aktuellen Symposiums der DGE degradieren sie die Wechseljahre des Mannes zu einer Modeerkrankung. Helmut Schatz, Endokrinologe vom Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum, äußert sich in diesem Zusammenhang deutlich: „Man kann nicht von einem männlichen Klimakterium sprechen“.
Beschwerden auch ohne Hormondefizit
Nichtsdestotrotz klagen auch ältere Männer ab einem bestimmten Alter häufiger über Beschwerden wie Antriebsschwäche, depressive Verstimmungen oder Libidoverlust, seltener auch über eine Art Hitzewallungen. Doch liegt die Ursache solcher Symptome nicht zwangsläufig in einem Hormonmangel begründet – anders als bei älteren Frauen, die deshalb gegen die Wechseljahrsbeschwerden manchmal mit Östrogenen therapiert werden.
Zu diesem Ergebnis ist bereits vor fünf Jahren eine wissenschaftliche Untersuchung mit über 3.300 Männern im Alter zwischen 40 und 79 Jahren gekommen. Britische Forscher haben dabei den Zusammenhang zwischen den Hormonwerten der Männer und dem Auftreten von sexuellen Problemen, abnehmender körperlicher Leistungsfähigkeit und seelischen Beschwerden analysiert. Dabei konnten sie lediglich für drei Symptome der sexuellen Leistungskraft – unter anderem für Erektionsstörungen – überhaupt einen konkreten Zusammenhang mit einem niedrigen Testosteronspiegel herstellen. Doch auch Männer ohne Hormonmangel litten teilweise an diesen Symptomen. Für die anderen körperlichen und seelischen Befindlichkeiten ließ sich hingegen gar kein direkter Zusammenhang ausmachen.
Echter Testosteronmangel selten
Es scheint also, als wären die wechseljahrsähnlichen Wehwehchen der Männer eine Alterserscheinung, die nichts mit einem Mangel an Geschlechtshormonen zu tun hat – und folglich auch nicht mit einer Testosterontherapie behandelt werden muss. Mediziner Schatz betont: „Wir warnen davor, Testosteron kritiklos zu verschreiben, nur wenn manche Anzeichen für einen Testosteronmangel sprechen.“ Vielmehr müsse immer zuerst der Hormonspiegel bestimmt und in jedem Fall individuell über eine mögliche Behandlung entschieden werden. Denn eine Testosterontherapie könne bei älteren Männern unter Umständen auch mit Risiken verbunden sein.
Von einem echten Testosteronmangel, der Libidomangel und andere Symptome erklärt, sind der DGE zufolge in Deutschland tatsächlich nur drei bis fünf Prozent der Männer über 60 betroffen. Zu dieser kleinen Gruppe gehören unter anderem vermehrt stark übergewichtige Männer mit erhöhtem Blutdruck, erhöhten Blutfetten oder erhöhtem Blutzucker. Auch ernsthafte Erkrankungen, etwa der Hoden, können zu einem Testosteronmangel führen. In solchen Fällen kann den Betroffenen mit Testosteronpräparaten wirksam geholfen werden. In den meisten anderen Fällen ist eine Hormontherapie gegen „Wechseljahrsbeschwerden beim Mann“ jedoch völlig unnötig und wirkungslos.