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Internationaler Frauentag
Als Marie de Gournay im Jahr 1565 in Paris geboren wurde, war von Gleichberechtigung noch keine Rede. Ganz im Gegenteil: Frauen galten damals als minderwertiges und "unvollkommenes" Geschlecht. Der Schriftsteller Francois Rabelais schrieb um 1524: "Sag ich Weib, so meine ich ein so gebrechlich, unbeständig, wandelbar und unvollkommenes Geschlecht.." Verstand und Intellekt sprach vor allem die damalige Männerwelt den Frauen komplett ab.
Heimliche Lektüre
Es ist daher auch kein Wunder, dass auch die junge Marie de Gournay nicht gerade ermuntert wird, zu lesen oder sich gar Bildung anzueignen. Ihre Eltern, verarmte Landadelige, verwehren ihr jede formale Ausbildung. Das Mädchen lässt sich aber nicht abhalten und beginnt heimlich, in der Bibliothek ihres Vaters zu stöbern. Sogar Latein – die Wissenschaftssprache der damaligen Zeit - bringt sich Marie selbst bei, indem sie die lateinischen Texte mit einer französischen Übersetzung vergleicht.
Dabei stößt Marie auf die Essais des Philosophen Michel de Montaigne. Dieser ist einer der ersten, der die Doppelmoral in der Rolle der Geschlechter benennt: Seine Ansicht nach sind Frauen auch deshalb dem Mann intellektuell unterlegen, weil ihnen in der Männergesellschaft keine gleichberechtigte Erziehung zugestanden wird. Er hält Bildung grundsätzlich für eine wichtige Voraussetzung der Persönlichkeits-Entwicklung.
Wahltochter eines Philosophen
Ermutigt und begeistert von diesen für die damalige Zeit sehr fortgeschrittenen Ansichten Montaignes, schreibt ihm Marie de Gournay und trifft ihn einige Zeit darauf auch – es entwickelt sich eine enge Freundschaft. Gleichzeitig beginnt sie, nun selbst Klassiker der Philosophie und Dichtung zu übersetzen, Artikel zu schreiben und entwickelt ihre eigene Moralphilosophie.
Nach kurzer Zeit kann sie von dieser Arbeit sogar leben – für eine Frau damals ein absolutes Novum. Denn eine Frau als Wissenschaftlerin und Schriftstellerin ist im 16. Jahrhundert eine ungewöhnliche und fasst schon skandalöse Ausnahme. Dennoch gewinnt sie vor allem als Übersetzerin antiker Klassiker so viel Respekt, dass sie sogar am Hof Heinrich des IV. eine kleine Stelle bekommt.
Platon als Argumentationshilfe
Dies nutzt Marie de Gournay, um nun eigene Texte zu veröffentlichen, in denen sie explizit die ungerechte Behandlung der Frauen anprangert. „Frauen sind das Geschlecht, dem man alle Güter versagt [...] um ihm als einziges Glück und ausschließliche Tugend die Unwissenheit, den Anschein der Dummheit und das Dienen zu bestimmen“, kritisiert Marie de Gournay in einem ihrer Texte.
Sie untermauert ihre Forderung nach einer besseren Bildung für Frauen mit Verweisen auf die Antike, in der es durchaus weibliche Gelehrte wie Hypatia von Alexandria, Sappho oder Katharina von Siena gab. "In seinem Idealstaat räumt Platon, dem niemand einen göttlichen Titel absprechen würde, ihnen [den Frauen] die exakt gleichen Rechte, Verpflichtungen und Funktionen ein wie den Männern“, argumentiert sie.
Zu früh für ihre Zeit
Die Reaktionen auf ihre mutigen Schriften sind allerdings wie zu erwarten, gemischt bis negativ. Zwar gibt es durchaus einige Anerkennung, ein Großteil der damaligen Elite jedoch verspottet und belächelt ihre Ausführungen. Einige zeitgenössische Schriftsteller karikieren sie und bauen Zerrbilder der vorwitzigen "Alten Jungfer" in ihre Bücher und Geschichten ein. Denn zu allem Überfluss hat de Gournay nie geheiratet – auch das ein Manko und eine Anomalie für ihre männlichen Zeitgenossen.
Nach dem Tod von Marie de Gournay im Jahr 1645 geraten ihre Werke in Vergessenheit – sie sind einfach zu fortschrittlich für ihre Zeit. Erst mehr als 400 Jahre später werden ihre Schriften wieder von der modernen Frauenbewegung entdeckt. Fortan gilt die mutige Renaissance-Frauenrechtlerin und Philosophin als eine der "Urmütter" des Feminismus.