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Die Welt zu Gast in China (Podcast 2)

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China lädt ein! Mehr als 10 000 Sportler aus über 200 Staaten werden vom 8. August bis zum 24. August 2008 zu 302 Wettbewerben in 28 Sportarten erwartet. Dazu rechnen die Organisatoren der 29. Olympischen Sommerspiele mit einer großen Zahl inländischer und ausländischer Besucher in Beijing, die die Spiele vor Ort sehen möchten. Weitaus mehr Menschen werden die Spiele aber zu Hause per Fernsehen, Internet, Radio oder in den Printmedien verfolgen. Das Auge der Welt wird während der Spiele auf China ruhen, und so dürfen die Verantwortlichen hoffen, durch ihre nichts dem Zufall überlassende Organisation der Spiele ein strahlendes Bild des neuen starken und stolzen China zu präsentieren. Die Vergabe der 29. Olympischen Sommerspiele an China bot der kommunistischen Führung die einmalige Gelegenheit, sich und der Welt eine Bühne zu schaffen, auf der sich das neue China beweisen kann. Perfektion, Stärke, Weltoffenheit und materieller Fortschritt sollen alte Bilder eines unterentwickelten schwachen China verdrängen, das seit Ende des 19. Jahrhunderts eine Vielzahl von nationalen Traumata erlitten hatte.

 

China und Olympia

Das Geschichtsbewusstsein der Chinesen ist bis heute tief geprägt durch die Erfahrung von inneren Krisen und Ohnmacht gegenüber den Kolonialmächten sowie dem aggressiven Vormachtstreben Japans, das 1894/95 zum ersten Chinesisch-Japanischen Krieg führte und sich in voller Grausamkeit zwischen 1935 und 1945 zeigte. Bei der Gründung der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949 appellierte die Kommunistische Partei an den Patriotismus ihrer Bürger, um einen neuen Anfang zu wagen. Schroffe Kursänderungen stürzten das Land jedoch mehrfach in tiefe Krisen und in eine weitgehende Isolation. Mit der wirtschaftlichen Öffnung unter Deng Xiaoping (1904–1997) Ende der 1970er-Jahre kam es zu einer spürbaren Verbesserung der Lebensumstände vieler Chinesen sowie der internationalen Präsenz Chinas. Inzwischen gibt es daher weltweit bereits eine Vielzahl von Konfuzius-Instituten, die den deutschen Goethe-Instituten vergleichbar sind und die im Ausland Chinas Sprache und Kultur vermitteln sollen. Der große Nationalstolz der Chinesen ist gegenwärtig ein wichtiges Bindeglied in der sehr heterogenen Gesellschaft des Landes und dient auch dazu, eine Zersplitterung des Landes zu verhindern. Die Botschaft, die von den 29. Olympischen Spielen ausgehen soll, richtet sich daher auch direkt an die vielen Gruppierungen und Völkerschaften am Rande der chinesischen Gesellschaft, denen vermittelt werden soll, dass sie unumstößlich zu China gehören und darauf stolz sein sollen. Innenpolitisch wie außenpolitisch sind es Spiele der Machtdemonstration.

 

Die Entwicklung der Spiele in China

Bereits zu den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 in Athen waren die Chinesen eingeladen worden, doch beim Kaiserhaus der damals herrschenden Qing-Dynastie (1644–1911) bestand keinerlei Interesse an einer Teilnahme. Die junge chinesische Presse allerdings ergriff 1904 die Initiative, berichtete von den dritten Olympischen Spielen und brachte der chinesischen Leserschaft langsam die olympische Idee näher. Reformkräfte im niedergehenden Kaiserreich propagierten schließlich gezielt den Sport. So fanden vom 18. bis 24. Oktober 1910 die ersten Nationalwettkämpfe in Nanjing statt. Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs wurde 1915 die damalige Republik China vom IOC zu den Olympischen Spielen eingeladen, aber erst 1932 nahmen tatsächlich chinesische Sportler an den Spielen teil, obwohl es zuvor zu massiven Streitigkeiten zwischen der Guomindang-Führung Chinas und dem von Japan dominierten Marionettenstaat Mandschukuo über die Teilnahme gekommen war. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und mit der Niederlage beziehungsweise dem Rückzug Japans wurden 1945 in China Stimmen laut, 1952 die 15. Olympischen Spiele ausrichten zu wollen. Doch dazu kam es nicht. Der Bürgerkrieg zwischen den Nationalisten und Kommunisten in den Jahren 1946 bis 1949 führte zum Sieg der Kommunisten, die den gesamtchinesischen Sportverband gründeten und 1952 eine Delegation zu den Olympischen Spielen nach Helsinki entsandten. In den 1950er- Jahren herrschten Streitigkeiten darüber, ob die Volksrepublik allein oder auch der Sportverband aus Taiwan bei den Spielen antreten dürfe. Als 1956 bei den 16. Olympischen Spielen in Melbourne Mitglieder des IOC nur Taiwan als Vertretung Chinas teilnehmen lassen wollten, zogen sich die Sportler der Volksrepublik China und das damalige chinesische IOC-Mitglied zurück. An den folgenden fünf Sommerspielen nahmen lediglich chinesische Sportler aus Taiwan teil. Das Dilemma der »zwei China« blieb auch, nachdem sich die Volksrepublik aus der außenpolitischen Isolation gelöst hatte und eine breite internationale Anerkennung genoss. Der IOC-Vorstand verabschiedete daraufhin 1979 eine Resolution, die das Olympische Komitee der Volksrepublik China als Repräsentanten für Gesamtchina bestätigte und ihm die Verwendung der Nationalhymne und Nationalflagge gestattete. Die Sportler aus Taiwan wurden als eine Unterorganisation namens »Chinesisches Olympisches Komitee Taiwan« eingestuft und mussten ihre bisherige Hymne sowie das Wappen abändern. Den 22. Olympischen Spielen in Moskau blieb China aus Protest gegen den Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan fern. 1984 errang China in Los Angeles dann durch einen Sportschützen das erste olympische Gold; die ebenfalls vertretenen Sportler aus Taiwan sicherten sich zwei Bronzemedaillen. 1990 lud China zu den elften Asienspielen nach Beijing ein und nutzte sie als Generalprobe für das ehrgeizige Ziel, selber Ausrichter der Olympischen Sommerspiele zu werden. Im April 1991 bewarb sich China für die Spiele im Jahr 2000, unterlag jedoch dem australischen Sydney. Der Traum, Ausrichter der Olympischen Spiele zu werden, sollte sich zehn Jahre später realisieren.

 

Beijing erhält den Zuschlag

Am 13. Juli 2001 erhielt Beijing den Zuschlag des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zur Ausrichtung der Sommerspiele 2008. Damit hatte sich China in nur zwei Wahlgängen auf der 112. IOC-Sitzung in Moskau gegen die Konkurrenten Toronto, Paris, Istanbul und Osaka durchgesetzt. Mit großem Jubel, Fahnen schwenkend und einem Feuerwerk feierte die Bevölkerung der chinesischen Hauptstadt dieses Ereignis. Eine große Uhr auf dem Tiananmen-Platz zählt seither die Tage, Stunden und Sekunden bis zum Beginn der Spiele. Damit werden die Olympischen Spiele mit der Rückgabe der ehemaligen Kronkolonie Hongkong auf eine Ebene gerückt, denn auch damals gab es einen öffentlichen Countdown, der der ganzen Nation die Bedeutung des Ereignisses vor Augen führen sollte. Mit der Vergabe der Olympischen Spiele erfüllten sich für viele Chinesen lange gehegte Hoffungen. Anders als beim ersten Mal ließ Beijing bei der Bewerbung um die Spiele 2008 nichts ungeplant. Wenig effektive Methoden, wie das buchstäbliche »Grün anstreichen« von Rasenflächen zur oberflächlichen Kaschierung von Umweltschäden sollten diesmal vermieden werden. Unter dem Motto »Grüne Olympische Spiele« propagierte Beijing den Umweltschutz als ein wichtiges Ziel. Beim Bau der neuen
Sportstätten setzte man auf umweltfreundliche, energiesparende Technologien, am Stadtrand wurden Korridore mit Grünflächen angelegt, Müllkippen wurden zugedeckt und Initiativen gestartet, um die Bewohner für das Thema Umweltschutz zu sensibilisieren. Beijings allgegenwärtiges Umweltproblem, den Smog, will man in den Griff bekommen, indem neue Buslinien eingesetzt und das U-Bahn-Netz weiter ausgebaut werden. Während der Spiele soll es temporäre Fahrverbote für PKWs in der Stadt geben.

 

Kritische Stimmen

Kritiker der Vergabe der Olympischen Spiele an China äußern sich jedoch skeptisch in Bezug auf die Nachhaltigkeit der Bemühungen Chinas um einen verbesserten Umweltschutz. Mehr als 70 lokale Verordnungen und Gesetze wurden bereits 2006 im Hinblick auf das sportliche Großereignis erlassen. Sie erleichtern es den Ord-nungskräften, nicht erwünschte Personen, wie etwa Bettler oder Wanderarbeiter, aus der Stadt zu entfernen. Immer wieder regte sich Protest gegen Zwangsumsiedlungen aus Stadtvierteln, die für den Bau von Sportstätten und die neuen Verkehrswege betroffen waren. Menschenrechtler prangern zudem an, dass China die höchste Rate an Todesstrafen weltweit aufweist. China ist kein Rechtsstaat, und die Kommunistische Partei bestimmt trotz einiger Reformansätze, wie den demokratischen Wahlen auf der untersten Ebene der dörflichen Verwaltung, das politische Leben der Volksrepublik. Eine Gewaltentrennung zwischen Exekutive, Judikative und Legislative gibt es nicht, und eine Zivilgesellschaft, die eine Kontrollfunktion wahrnehmen könnte, beginnt erst langsam zu entstehen. Willkür und Korruption sind trotz medial in Szene gesetzter Kampagnen der Partei weiterhin ein sehr großes Problem auf allen Ebenen. Meinungsfreiheit ist kein garantiertes Recht, obwohl sich viele Bürger inzwischen sehr viel ungezwungener äußern als in der Vergangenheit. Sobald aber Belange des Staates betroffen sind, endet die Liberalität.

aus: China - Gastland der Olympischen Spiele, Chronik-Verlag
Jörg Peter Urbach, wissen.de-Redaktion

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