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Genickschuss, Strang und Fallbeil - die Geschichte der Todesstrafe (Podcast 60)

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Die Todesstrafe – ein Thema, das stets aufs Neue nach einer intensiven Auseinandersetzung verlangt. Am 10. Oktober ist der "Europäische Tag gegen die Todesstrafe“. 2007 vom Europarat in Strassburg eingeführt, soll er Jahr für Jahr daran erinnern, dass die Todesstrafe nur in Europa verschwunden ist, aber anderswo auf der Welt weiterhin verhängt wird. Welche Geschichte steht hinter der Todesstrafe, und welche Argumente sprechen für oder gegen sie? Hören Sie heute "Genickschuss und Fallbeil - die Geschichte der Todesstrafe".

 

Die Geschichte der Todesstrafe

Kein Zweifel – die Todesstrafe polarisiert. Es gibt kaum jemanden, der keine Meinung zu ihr hätte oder nicht den Lagern der Gegner oder Befürworter zuzurechnen wäre. Tatsächlich handelt es sich bei der Todesstrafe um eine uralte Bestrafungsform, mit der ein besonders schwerwiegender krimineller Akt geahndet wird. Dabei geht ihr immer ein formelles Urteil voraus – sie ist also Bestandteil der Gerichtsbarkeit eines Landes und keine Selbstjustiz. Allerdings hat sie ihre Wurzeln in der archaischen Blutrache. Bereits der Codex Ur-Nammu, die älteste bekannte Rechtssammlung überhaupt, sah um 2100 v. Chr. die Todesstrafe für Mord und Ehebruch vor. Von hier aus zieht sich die Todesstrafe durch die Geschichte – wobei allerdings nicht vergessen werden darf, dass es neben ihr nur Versklavung und Geldbuße als Strafen gab, da Gefängnisse im heutigen Sinn noch nicht existierten. Auch die Griechen und die Römer kannten die Todesstrafe. Im christlichen Mittelalter war sie anfangs nicht weit verbreitet, setzte sich dann aber nach und nach durch, was vor allem für die religiös motivierten Urteile gegen "Heiden“, "Ketzer“ und "Hexen“ im Spätmittelalter galt, also in der Zeit nach dem 13. Jahrhundert.

Die Reformation im 16. Jahrhundert weckte anfangs große Hoffnungen auf eine Humanisierung von Kirche und Politik, die sich aber noch nicht durchsetzen ließen. Auch in der Frühen Neuzeit stieg die Zahl der Hinrichtungen rapide an, wobei mit ihr sogar sehr geringe Vergehen bestraft wurden. Während der französischen Revolution spielte die Todesstrafe eine traurige Hauptrolle. Insbesondere während der Terrorherrschaft 1793/94 kam dabei die nach dem Arzt Joseph-Ignace Guillotin benannte, aber schon vorher existierende Hinrichtungsmaschine Guillotine zum Einsatz, die aus dem damaligen Zeitverständnis heraus die Leiden des Verurteilten so gering wie möglich halten sollte. Im 19. Jahrhundert änderten sich die Verhältnisse in Europa. Zunehmend machten sich immer mehr Gegner der Hinrichtungen bemerkbar, so dass die Todesstrafe im Verlauf des 20. Jahrhunderts nach und nach abgeschafft wurde. Allerdings: Laut Amnesty International ist die Todesstrafe heute noch in 64 Staaten gesetzlich vorgesehen. In weiteren 29 existiert sie noch, wurde aber in den letzten zehn Jahren nicht mehr vollstreckt; neun weitere kennen sie nur in Ausnahmefällen, z.B. im Bereich des Kriegsrechts. 96 Staaten haben sich dauerhaft von ihr getrennt, darunter die Bundesrepublik Deutschland seit ihrer Gründung 1949. 

 

Warum gibt es überhaupt Todesstrafen?

Wenn es um die Begründung der Todesstrafe geht, werden im Wesentlichen vier Argumente genannt: Vergeltung, Vorbeugung, Abschreckung und Kostensenkung. Doch wie schlüssig ist die Argumentation der Befürworter der Todesstrafe?

Punkt 1: Die Ermordung eines Menschen kann nur durch den Tod des Täters gesühnt werden. Nicht selten aber berichten Angehörige von Opfern, dass sie die Hinrichtung des Täters in der Aufarbeitung ihres Traumas keinen Schritt weitergebracht habe. Die Gültigkeit des Argumentes "Vergeltung“ kann also angezweifelt werden. In vielen Ländern gilt die Todesstrafe darüber hinaus nicht nur bei Kapitalverbrechen, sondern auch für andere, weit geringer einzuschätzende Handlungen wie etwa Prostitution oder Zuhälterei.

Punkt 2: Die Gesellschaft muss vor möglichen Folgetaten des Täters geschützt werden – ein Toter kann keine weiteren Verbrechen begehen. Abgesehen davon, dass jeder Täter in einer modernen Haftanstalt von der Gesellschaft separiert ist, stellt diese These auch die Wandelbarkeit des Menschen in Frage und argumentiert nach der Formel "Einmal Verbrecher, immer Verbrecher“. Damit bewegt sie sich außerhalb der Prämissen des modernen Strafvollzugs mit seinem Resozialisierungsgedanken.

Punkt 3: Die Todesstrafe dient der Abschreckung. Wäre dem so, dann hätten die USA heutzutage kein Kriminalitätsproblem. Sie haben aber eins – und insbesondere die Zahl der Kapitalverbrechen ist alles andere als rückläufig. Ganz offensichtlich wirkt die Todesstrafe nicht abschreckend – was sie übrigens auch in der europäischen Vergangenheit niemals getan hat.

Punkt 4: Die Kosten für eine lebenslange Haft sind zu hoch und weder der Gesellschaft noch den Angehörigen der Opfer zuzumuten. In Staaten wie den USA, deren Verfassung ein rechtsstaatliches Verfahren auch bei Kapitalverbrechen garantiert, sind die realen Kosten eines Todesstrafenprozesses meist höher als die einer lebenslangen Haft. Dies liegt schon daran, dass für gewöhnlich alle Rechtsmittel ausgeschöpft werden und die Kandidaten viele Jahre in der Todeszelle verbringen. Fraglich ist, ob finanzielle Aspekte bei einer Frage, die das Grundrecht jedes Menschen auf Leben betrifft, eine Rolle spielen dürfen.

Schließlich kann von den Gegnern der Todesstrafe noch ein weiterer Aspekt ergänzt werden: Eine vollzogene Hinrichtung ist irreparabel. Hat sich die Justiz geirrt – und solche Fälle gibt es –, ist der Betroffene tot. Eine Rehabilitation ist dann nur noch auf dem Papier möglich. So wurden nach Angaben von Amnesty International zwischen 1900 und 1985 in den USA 350 Menschen zum Tode verurteilt, deren Unschuld später bewiesen wurde. Bei 23 von ihnen kam diese Wende zu spät.

 

Die Todesstrafe im internationalen Vergleich

Was als "todeswürdiges“ Vergehen gilt, wird von Land zu Land stark unterschiedlich bewertet. Neben Vergewaltigungs- und Tötungsdelikten werden in China beispielsweise Korruption und Menschenhandel mit dem Tod geahndet. Einige islamische Staaten betrachten nicht nur Homosexualität, sondern auch die Abkehr von der Staatsreligion als höchstes Vergehen; Saudi-Arabien, Iran und Afghanistan rechnen den Ehebruch hinzu. Mitunter problematisch für Touristen: Einige Länder bestrafen auch Drogenbesitz ab einer bestimmten Menge mit dem Tod, darunter Thailand und Taiwan.

Zur Ausübung der Todesstrafe gibt es nur bedingt belegbare Daten. Viele Länder – allen voran die Volksrepublik China – verschleiern die Anzahl der Hinrichtungen; hier ist von einer enormen Dunkelziffer auszugehen. Gut dokumentiert hingegen sind die Hinrichtungen in den Vereinigten Staaten. Seit 1976 wurden dort etwa 1.100 Menschen hingerichtet, wobei der Höhepunkt im Jahr 1999 ereicht war; seither sinken die Zahlen. Noch immer aber warten rund 3.300 Verurteilte auf ihre Exekution. Übrigens ist die Todesstrafe nicht in allen Bundesstaaten der USA üblich; einige haben sie bereits im 19. Jahrhundert abgeschafft.

 

Die Todesstrafe in Deutschland

In Deutschland war die Todesstrafe nach der Reichsgründung im Gesetz verankert und wurde auch angewandt. Doch während der Weimarer Republik sank die Anzahl der Hinrichtungen und betraf schließlich nur noch die Ahndung besonders spektakulärer Verbrechen. Bis heute bekannt sind die Fälle zweier Serienmörder. Fritz Haarmann, der von 1918 bis 1924 mindestens 24 Jungen ermordete, wurde am 19. Dezember 1924 durch das Fallbeil enthauptet. Peter Kürten, der "Vampir von Düsseldorf“, erlebte seine letzte Stunde am 2. Juli 1931. Er wurde wegen mehrerer Morde und Mordversuche 1931 hingerichtet. Ein Zeitungsreporter berichtet:

"Als die Uhr 6 schlägt, beginnt das Armsünderglöcklein zu läuten. Neben der Guillotine hat der Scharfrichter Gröpler im Frack und Zylinder Aufstellung genommen. Alle Teilnehmer stehen unter dem Eindruck dieser entsetzlichen Stunde. […] Nun wird Kürten zum Altar geführt, wo er einen Augenblick im Gebet verharrt. […] Das Weitere spielt sich, wie in diesen Fällen üblich, mit unheimlicher Geschwindigkeit ab. Die Gehilfen des Scharfrichters nehmen Kürten in die Mitte, der sich widerstandslos zur Guillotine führen lässt, wo er auf dem Brett festgeschnallt wird. Eine Sekunde später saust das Fallbeil mit Sekundenschnelle herab. Der Schrafrichter Gröpler tritt mit entblößtem Haupt vor den Staatsanwalt und spricht: 'Die Hinrichtung ist vollzogen'.“

Während der NS-Diktatur wurde die Todesstrafe verstärkt angewandt; im Strafgefängnis Plötzensee fanden dabei nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Hitler bis zu 142 Hinrichtungen am Tag statt. Nach Kriegsende kam es auf dem Gebiet der späteren Bundesrepublik bis 1949 nur sehr vereinzelt zu zivilen Todesurteilen, die allermeisten wurden unter dem Einfluss alliierter Militärgerichtsbarkeit vollzogen. Dazu gehören auch die Urteile von Nürnberg. Die DDR hatte im Gegensatz zur Bundesrepublik Todesurteile niemals ausgeschlossen und bis 1981 durchgeführt. Angaben hierzu kamen allerdings erst nach dem Zusammenbruch der SED-Diktatur ans Licht. Von 227 rechtskräftigen Todesurteilen in der DDR seit 1949 wurden 166 vollstreckt, ab 1966 neben der Enthauptung auch durch den "unerwarteten Genickschuss“.

 

Die Situation heute

Aufgrund der engen kulturellen und politischen Nähe wird die Lage in den USA von den Europäern besonders intensiv beobachtet. Auffällig ist, dass dort über die Todesstrafe seit langem intensiv diskutiert wird. Im Zuge dieser Debatte erklärte der Oberste Gerichtshof 1972 die Todesstrafe sogar einmal für verfassungswidrig, hob dieses Urteil 1976 jedoch wieder auf. Weiterhin sind Befürworter wie Gegner der Strafe stark organisiert. Bekannt wurde der Fall von Jerry Givens: Der ehemalige Henker vollstreckte zwischen 1982 und 1999 62 Mal das Todesurteil, bis er sich gegen die Praxis der Hinrichtung wandte: "Wenn einer der Geschworenen die Hinrichtung vollziehen müsste, dann würden sie sich vielleicht mehr Gedanken um die Todesstrafe machen“, meinte er.

 Zurzeit wird der Fall Romell Broom intensiv diskutiert. Brooms Hinrichtung war im September 2009 nach gut zweieinhalb Stunden abgebrochen worden, nachdem es nicht möglich gewesen war, eine geeignete Vene für die Verabreichung der Giftspritze zu finden. Ist dies noch eine zumutbare Strafe? Kann ein Verurteilter zweimal zu seiner Hinrichtung geführt werden? Da die Verfassung der USA grausame und unübliche Bestrafung verbietet, in den allermeisten Fällen aber mit der Spritze hingerichtet wird, ist die Frage auch für Juristen von Belang. Dazu kommt der Fall Cameron Todd Willingham, der offenbar für eine Tat verurteilt und 2004 exekutiert wurde, die er gar nicht begangen hat. Die Chancen stehen gut, dass Willingham der erste offiziell anerkannte unschuldig Hingerichtete der USA werden könnte – was der Debatte um die Todesstrafe neue Nahrung gäbe.

 

Europäischer Tag gegen die Todesstrafe

Kein Zweifel – er ist sinnvoll, der "Europäische Tag gegen die Todesstrafe“ am 10. Oktober. Obwohl im Verlauf der letzten Jahrzehnte viel erreicht wurde, steht eine weltweite Ächtung der Todesstrafe noch immer aus. Organisationen wie Amnesty International, aber auch viele Bürgerbewegungen setzen sich weiter für Ihre Abschaffung ein. Und es gibt gute Nachrichten: In diesem September hat sich Pakistans Staatspräsident Zardari gegen die Todesstrafe ausgesprochen und die Regierungen der Provinzen aufgefordert, ihre Empfehlungen in der Angelegenheit abzugeben. Ein weiterer Schritt wäre gemacht!

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