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Robert Oppenheimer – der "Vater der Atombombe"

Der US-Physiker J. Robert Oppenheimer hat Geschichte geschrieben, denn mit ihm begann das Atomzeitalter: Unter seiner Leitung entwickelten Physiker des Manhattan Projects die erste Atombombe und schufen so die Grundlage für eine ganz neue Art von Waffen. Die Geschichte Oppenheimers demonstriert auf besondere Weise das Dilemma der Wissenschaft zwischen Ethik, Moral und Forscherehrgeiz. Doch wer war dieser Mann? Und was trieb ihn an?
NPO, 20.07.2023
US-Physiker Robert Oppenheimer neben Trinity-Explosion

© Public Domain

Die Geschichte beginnt mit einem Wettlauf gegen die Zeit: Anfang der 1940er Jahren arbeiten Physiker beiderseits des Atlantiks fieberhaft daran, die erst wenige Jahre zuvor entdeckte Kernspaltung zu einer Waffe zu machen – zu einer Atombombe. In den USA wird daraufhin ein neues Forschungsprogramm ins Leben gerufen, das möglichst schnell die Grundlagen für eine Atombombe erforschen soll und diese dann auch konstruieren.

Oppenheimer und das Manhattan Project

Damit beginnt im Jahr 1942 das Manhattan Project – ein Unterfangen, das im Laufe der nächsten Jahre auf tausende Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker und mehrere große Forschungs- und Produktionsanlagen heranwachsen wird. Doch wer soll dieses Mammutprojekt leiten? Die US-Regierung ernennt zunächst den General und Armee-Ingenieur Leslie Groves zur Gesamtleiter und überlässt es diesem, den wissenschaftlichen Leiter des Manhattan Project auszuwählen.

Die Wahl von General Groves fällt auf J. Robert Oppenheimer, einen jungen Physiker, der schon an der Kettenreaktion durch schnelle Neutronen forscht und der eine beeindruckende Laufbahn vorweisen kann: Er hat in Rekordzeit Chemie und Physik studiert und in Göttingen unter den führenden Quantenphysikern seiner Zeit promoviert. Mit Mitte 20 hat Oppenheimer gleich zwei Stellen als Professor an der University of Berkeley und parallel am California Institute of Technology. "Er kombiniert eine durchdringende Einsicht in die theoretischen Aspekte des Programms mit gesundem Menschenverstand", beschreibt der Nobelpreisträger Ernest Lawrence seinen Protegé.

Bombenbau in Los Alamos

Oppenheimer wird damit im Sommer 1942 zum wissenschaftlichen Leiter des "Project Y" – der "Atombombenfabrik" im entlegenen Wüstengebiet von Los Alamos, in dem nun Dutzende der besten Physiker und Chemiker der Welt an der Konstruktion einer Atombombe tüfteln. Dabei müssen sie ganz von vorne anfangen, denn zu dieser Zeit ist nicht bekannt, wie viel Uran oder Plutonium man braucht, um die explosive Kettenreaktion auszulösen und wie man diese zündet.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Forscher in Los Alamos zunächst kaum spaltbares Material für ihre Versuche, geschweige denn für Bombentests haben. Die Anreicherung von Natur-Uran mit dem Isotop Uran-235 erweist sich als so aufwendig und langsam, dass die Physiker in Los Alamos bis Mitte 1944 nur einige hundert Gramm Uran-235 von den woanders in den USA liegenden Anlagen erhalten – kaum genug für Laborexperimente.

Obwohl eine Uranbombe vom Aufbau und der Zündung her einfacher und ausfallsicherer ist, arbeiten Oppenheimer und sein Team deshalb parallel an einem zweiten Modell, einer Plutonium-Bombe. Bei ihr liegt das atomare Material im Zentrum einer Kugel, die komplett mit konventionellem Sprengstoff ausgefüllt. Wenn dieser explodiert, komprimiert er das Plutonium so stark, dass dieses die kritische Dichte erreicht und die atomare Kettenreaktion startet – so die Theorie.

The Gadget im Trinity-Testtum, 1.1.1945
The Gadget auf dem Trinity-Testurm; daneben Oppenheimers Mitarbeiter Norris Bradbury (l.)und Boyce McDaniel (r.).

© Los Alamos National Laboratory

Der Trinity-Test

Anfang Juli 1945 haben Oppenheimer und seine Kollegen die erste Plutonium-Bombe fertig und testen sie am frühen Morgen des 16. Juli 1945. Für diesen Trinity-Test wird die "Gadget" getaufte Atombombe an der Spitze eines 30 Meter hohen Turms befestigt – beobachtet von unzähligen in verschiedenen Entfernungen aufgestellten Kameras, Geigerzählern sowie Flugzeugen in der Luft. Die Militärs und Wissenschaftler aus Los Alamos haben in mehreren Beobachtungsbunkern Schutz gesucht, die neun Kilometer vom Testturm entfernt liegen. Weitere Beobachter sind in 32 Kilometer Entfernung untergebracht. Wie stark die Atombombenexplosion ausfallen wird, können jedoch nicht einmal die Physiker und Ingenieure vorhersagen.

Um 05:30 Uhr Ortszeit ist es soweit: Die Atombombe " wird gezündet. Ein greller Lichtblitz strahlt über der Wüste von Alamogordo auf. Wenig später steigt die pilzförmige Wolke zwölf Kilometer hoch auf und färbt sich dabei von hellgelb über orange und rot bis ins Violette. Die Druckwelle der Atombombenexplosion ist noch in 160 Kilometer Entfernung zu spüren. Spätere Berechnungen ergaben, dass Energiefreisetzung rund 24 Kilotonnen TNT entsprach.

Hiroshima und Nagasaki

Damit haben Oppenheimer, Groves und die Wissenschaftler des Manhattan-Projekts Geschichte geschrieben: Zum ersten Mal haben Menschen die Naturgewalt der Kernspaltung entfesselt – und damit das Atomzeitalter eingeläutet. "Wir wussten, dass die Welt ab jetzt nicht mehr die dieselbe sein würde", erinnert sich Robert Oppenheimer 1965 in einem Interview mit dem US-Sender CBS. Während einige seiner Physikerkollegen von der Urgewalt der Atombombenexplosion so geschockt sind, dass sie gegen den Einsatz solcher Bomben plädieren, vertritt Oppenheimer zunächst die Linie der US-Regierung. Diese will Japan durch den Abwurf einer Atombombe zur Kapitulation bringen.

Am 6. August 1945 um 08:15 Uhr Ortszeit ist es soweit: Der US-Bomber "Enola Gay" wirft eine Uranbombe über der japanischen Stadt Hiroshima ab. Rund 80.000 Menschen sterben sofort, getötet durch den tausende Grad heißen Feuerball und die Druckwelle der Explosion, insgesamt werden es mehr als 200.000 Tote sein. Weil sich Japan dennoch weigert, zu kapitulieren, wird am 9. August 1945 eine zweite Atombombe über Nagasaki abgeworfen, diesmal eine Plutoniumbombe wie beim Trinity-Test. Auch diese Stadt wird in weiten Teilen dem Erdboden gleichgemacht.

Atompilze über Hiroshima (l.) und Nagasaki (r.) am 6. beziehungsweise 9. August 1945.
Die verheerende Wirkung der Atombombenabwürfe über Hiroshima (l.) und Nagasaki (r.) am 6. beziehungsweise 9. August 1945 veränderten die Haltung Oppenheimers zu Kernwaffen nachhaltig.

© George R. Caron / Public domain

Oppenheimer wird zum Atomwaffen-Gegner

Durch diese Ereignisse wandelt sich nun auch Oppenheimers Einstellung: Der Physiker wird zwar von der US-Öffentlichkeit als "Vater der Atombombe" gefeiert, doch für ihn ist nun klar, dass Atomwaffen ein Irrweg sind.  Wenige Tage nach dem Atombombenabwurf auf Nagasaki verfasst er einen Brief an den US-Präsidenten, in dem er dringend vom weiteren Einsatz von Atombomben und einer atomaren Aufrüstung abrät. "Wir haben ein Ding erschaffen, eine schreckliche Waffe, die nach allen Standards der Welt, in der wir aufgewachsen sind, etwas Böses ist", sagt er in einer Rede.

Doch Oppenheimers Appelle fallen auf taube Ohren. Die USA treiben ihr Atomwaffenprogramm voran und arbeiten bereits an einer weiteren, noch stärkeren Bombe: der Wasserstoffbombe. Diese bezieht ihre Energie nicht aus der Kernspaltung, sondern aus der Kernfusion, der Verschmelzung von Wasserstoffatomen. Dabei wird mehr Energie freigesetzt als bei einer atomaren Kernspaltung.  Am 1. November 1951 erfolgt der erste Test einer solchen thermonuklearen Bombe auf dem Enewetak Atoll in der Südsee. "Ivy Mike" setzt das 450-Fache der Nagasaki-Atombombe frei, ihr Atompilz dehnt sich bis auf 160 Kilometer aus.

Das Tribunal

Damit ist Oppenheimer darin gescheitert, diese Eskalation der atomaren Aufrüstung zu verhindern. Wenig später, im Frühjahr 1954, muss er sich einer Anhörung stellen, in der verhandelt wird, ob er wegen der kommunistischen Kontakte in den 1930er Jahren ein Sicherheitsrisiko ist. Es ist die Zeit der McCarthy-Ära, in der Politiker in den USA die Angst vor der "roten Gefahr" schüren – und für ihre Zwecke nutzen. Für die Politiker und Militärs, denen Robert Oppenheimer wegen seiner Kritik an der atomaren Aufrüstung schon länger ein Dorn im Auge ist, ist dies die perfekte Gelegenheit. Sie sorgen dafür, dass die Anhörung von Robert Oppenheimer zu dessen Nachteil ausfällt und entziehen ihm die Sicherheitszulassung.

Für Oppenheimer ist diese Entscheidung ein schwerer Schlag: "Er nahm das Ergebnis der Sicherheitsanhörung sehr ruhig auf, aber er war hinterher ein anderer Mensch", erinnert sich der Physiker und Los-Alamos-Kollege Hans Bethe. "Viel von seinem früheren Geist und seiner Lebendigkeit hatte ihn verlassen." Oppenheimer zieht sich an ein Forschungsinstitut in Princeton zurück und widmet sich dort weiter physikalischer Forschung Lehre, wenn auch nicht mehr zur Kernspaltung. Außerdem setzt er sich weiterhin für die atomare Abrüstung ein. Am 18. Februar 1967 stirbt Robert Oppenheimer in Princeton an Kehlkopfkrebs.

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