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Wie prägen Geschwister unsere Persönlichkeit?

Geschwister prägen einander fürs Leben. Ältere gelten als verantwortungsbewusst, Mittlere als diplomatisch und leicht vernachlässigt. Die Jüngsten wiederum seien kreativ und ein bisschen verwöhnt. Und Einzelkinder sind sowieso egoistisch – so sagen es die Klischees. Aber stimmen diese Rollenbilder wirklich oder machen wir es uns damit zu einfach? Wie beeinflusst die Geburtsreihenfolge unsere Persönlichkeit?
CMA, 07.11.2025

Die Forschung zu Geschwistern und ihrer Geburtsreihenfolge ist gar nicht mal so leicht, denn Familien unterscheiden sich stark in Struktur, Erziehung und Alltag. Außerdem wirken viele weitere Faktoren gleichzeitig auf die Persönlichkeit ein – zum Beispiel soziale Herkunft, Erziehungsstil oder kulturelle Werte. Deshalb finden viele Studien auch keine oder nur sehr geringe Effekte, wenn sie versuchen, Geburtenreihenfolge und Persönlichkeit miteinander in Verbindung zu bringen. Um überhaupt Muster erkennen zu können, müssen Forschende daher sehr große Stichproben vergleichen.

Geschwisterstreit um eine Fernbedienung
Kooperative Eigenschaften am stärksten bei mittleren Kindern ausgeprägt – im Durchschnitt...

© skynesher, iStock

Sandwich-Kinder sind besonders kooperativ

Eine aktuelle, viel zitierte Studie aus dem Jahr 2024 hat genau solche großen Datenmengen ausgewertet. Dafür wurden die Daten von rund 711.000 Erwachsenen ausgewertet, die einen HEXACO-Modell Persönlichkeitstest ausgefüllt und Angaben zu ihrer Geburtsreihenfolge gemacht hatten. Das HEXACO-Modell erfasst die Persönlichkeit in sechs Kategorien: Ehrlichkeit-Bescheidenheit, Emotionalität, Extraversion, Verträglichkeit Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrungen.

Das Ergebnis: Leichte Effekte der Geburtsreihenfolge konnten nachgewiesen werden. „Wir haben festgestellt, dass kooperative Eigenschaften im Durchschnitt am stärksten bei mittleren Kindern ausgeprägt sind, gefolgt von den jüngsten Kindern, dann den ältesten Kindern und schließlich Kindern ohne Geschwister“, sagt Michael Ashton von der Brock University. Auch die Menge an Geschwistern spielt eine Rolle: So sind Menschen mit mehr Geschwistern auch kooperativer als Menschen mit weniger Geschwistern.

Einzelkinder: Introvertiert, aber offen

Und für Einzelkinder gibt es auch eine gute Nachricht: In der Studie zeigten Erwachsene, die ohne Geschwister aufgewachsen sind, im Durchschnitt höhere Werte in Offenheit für Erfahrungen. Dazu zählen Neugier, geistige Flexibilität und die Bereitschaft, neue Ideen auszuprobieren.

Bei der Extraversion, also wie kontaktfreudig man ist, zeigt sich ebenfalls ein Effekt: Am stärksten ausgeprägt ist sie im Durchschnitt bei älteren und mittleren Geschwistern sowie bei Menschen aus größeren Familien. Etwas geringer fällt sie hingegen bei jüngsten Kindern, Einzelkindern und Personen aus kleinen Geschwistergruppen aus.

Wichtig ist jedoch: Diese Ergebnisse zeigen Durchschnittstendenzen über viele Menschen hinweg. Zudem sind die Effekte eher klein. Bei einzelnen Personen können sie ganz anders aussehen. Nicht jede erstgeborene oder allein aufgewachsene Person ist daher weniger kooperativ, und nicht jedes mittlere oder jüngste Kind zeigt automatisch mehr Rücksicht. Persönlichkeit entsteht aus vielen Einflüssen gleichzeitig: aus Erfahrungen, Beziehungen, Umweltfaktoren. Etwa 30 bis 60 Prozent sind sogar genetisch mitbedingt.

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