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Wie repariert man Unterwasser-Pipelines?
Eine unterseeische Rohrleitung lässt sich nicht einfach mal so wiederherrichten. Dafür braucht es schweres Gerät und clevere Strategien. Das zeigt sich bereits an der massiven Bauweise von Nord Stream. Die Röhren dieser Erdgas-Pipelines in der Ostsee bestehen aus vier Zentimeter dickem Stahl und elf Zentimeter dickem Beton. Jede der zwölf Meter langen Röhren wiegt 24 Tonnen. Und als ob das noch nicht genug Superlative wären, liegt die Pipeline außerdem noch 80 bis 100 Meter unter der Wasseroberfläche am Meeresgrund. Wie geht man also vor, um ein solches Bauwerk zu reparieren?
Schäden auf 250 Meter Länge
Am 26. September 2022 hatten Explosionen in der Nähe der Ostsee-Insel Bornholm vier Lecks in die Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 gerissen. Mittlerweile hat sich bestätigt, dass es sich dabei um vorsätzliche Sabotage handelte: Bei Tauchgängen zu den Lecks wurden am Meeresgrund Reste von Sprengsätzen gefunden. Ein konkreter Täter ist noch nicht entlarvt, nach aktuellem Stand der Ermittlungen wird aber ein staatlicher Akteur vermutet. Nähere Analysen der geborgenen Funde könnten in einigen Wochen bis Monaten vielleicht mehr verraten.
Das Ausmaß der Zerstörung durch diese Sabotage ist einzigartig in der Geschichte der Pipeline-Schäden. Die Explosionen beschädigten beide Röhren von Nord Stream 1 und eine Röhre von Nord Stream 2 – und das auf einer Länge von jeweils etwa 250 Metern. Die Krater, die noch von den Detonationen zeugen, sind laut vorläufigen Untersuchungsergebnissen drei bis fünf Meter tief. Schätzungen zufolge könnten die Angreifer mehrere hundert Kilogramm Sprengstoff gezündet haben.
Laut einem Sprecher von Nord Stream-Anteilseigner Gazprom habe sich zum Zeitpunkt der Sabotage allerdings nicht die volle Menge Erdgas in der Pipeline befunden, sondern „nur“ 800 Millionen Kubikmeter. Dadurch konnten schwerwiegendere Umweltschäden verhindert werden. Der Gasaustritt kam wenige Tage nach der Sabotage zum Stillstand. Die Pipeline liegt allerdings immer noch in Trümmern da, wie die Aufnahmen einer Unterwasserdrohne zeigen.
„Keineswegs unmöglich, die Schäden zu reparieren“
Doch wie lässt sich eine solche Zerstörung wieder reparieren? Schäden an Unterwasser-Pipelines sind tatsächlich ein ziemlich alltägliches Phänomen – wenn auch nicht in diesem Ausmaß. Im normalen Betrieb kann es zum Beispiel vorkommen, dass aggressives Salzwasser Lecks in die Pipeline frisst oder dass die kommerzielle Schifffahrt die Rohre beschädigt. Das kann etwa dann passieren, wenn große Schiffe ihren Anker ablassen oder wenn Container von einem Transportschiff rutschen und in die Tiefe sinken.
Da solche Schäden häufiger vorkommen, gibt es von vorneherein verschiedene Reparatur-Pläne für den Notfall. Und auch Nord Stream ist, falls man die Pipelines überhaupt wieder instand setzen möchte, noch nicht verloren. „Es ist keineswegs unmöglich, größere Pipelineschäden auf dem Meeresboden zu reparieren“, erklärt Ragnhild Aune, norwegische Expertin für das Unterwasserschweißen. Aune geht davon aus, dass zur Reparatur von Nord Stream „Teile der Pipeline herausgeschnitten und durch neue Rohrelemente ersetzt werden müssen.“
Es wäre theoretisch sogar möglich, die neuen Rohrabschnitte über der Wasseroberfläche einzubauen, doch dafür bräuchte es Spezialschiffe mit leistungsfähigen Kränen. Eine weitere Option besteht darin, die neuen Abschnitte direkt unter Wasser mithilfe von Tauchern zu verbauen. „Ein tauchergestütztes System kann bis zu einer Tiefe von 180 Metern eingesetzt werden“, so Aune. Laut der norwegischen Forschungsorganisation SINTEF befinden sich die Schäden an Nord Stream in höchstens 100 Metern Tiefe, womit sie in Reichweite für Taucher lägen.
Schweißen unter Wasser
Die Taucher könnten die neuen Rohrabschnitte mithilfe des hyperbaren Schweißens miteinander verbinden, einer Methode, die Schweißen auch unter Wasser und in großer Tiefe ermöglicht. Dafür wird eine Kammer über das beschädigte Rohr abgesenkt und Gas unter Druck in diese Kammer gepumpt, um das Wasser darin zu verdrängen. Taucher können dann diese Überdruckkammer betreten und die Schweißausrüstung um die Rohrleitung herum montieren. Das eigentliche Schweißen wird ferngesteuert. „Es handelt sich also nicht um ein einfaches Verfahren“, sagt Aune.
Etwas weniger aufwändig wäre es, die Rohre nicht miteinander zu verschweißen, sondern mithilfe von sogenannten Spezialflanschen zu verbinden. Flanschen sind ringförmige Verbindungsstücke, mit denen sich zwei Rohrabschnitte miteinander verschrauben lassen. In jedem Fall ist das komplette Ersetzen der beschädigten Abschnitte allerdings die teuerste Reparatur-Variante.
Mix aus Ersetzen und Ausbessern
Eine zweite Möglichkeit bestünde darin, Rohrschellen zu installieren, die die beschädigten Abschnitte abdecken und die gerissenen Stellen dadurch ausbessern. Rohrschellen sind spezielle Halterungen, die sich wie ein „Verband“ um Lecks legen lassen. Dafür dürfen die beschädigten Stellen allerdings nicht zu groß sein. Außerdem sind Rohrschellen in diesem Maßstab nicht gerade alltäglich und müssten erst beschafft werden. Zur Installation der Schellen bräuchte es ähnlich wie beim hyperbaren Schweißen spezielle wasserdichte Kammern, die hinabgelassen werden und in denen die Ingenieure arbeiten können.
Eine Kombination beider Strategien – das Ersetzen der am stärksten zerstörten und das Ausbessern weniger beschädigter Abschnitte – ist ebenfalls denkbar. Doch egal welche Strategie bei einer potenziellen Reparatur zum Einsatz kommen sollte: Die Pipeline könnte nicht sofort wieder in Betrieb gehen, sobald die Maßnahmen abgeschlossen wären. Zunächst müsste das eingedrungene Wasser aus der Pipeline herausgepumpt und ihr Inneres anschließend trocken gelegt werden. Womöglich müsste auch ein neuer Korrosionsschutz appliziert werden, der die Rohre vor der Zersetzung durch Salzwasser bewahrt.
Wann wird Nord Stream repariert?
Allerdings sind diese Reparatur-Ideen bisher eher hypothetischer Natur. Denn noch ist gar nicht klar, ob die Lecks in naher Zukunft überhaupt repariert werden. Der Betreiber von Nord Stream ist sich nicht sicher, ob sich die Probleme jemals beheben lassen. Deutsche Sicherheitsbehörden gehen laut Recherchen des Tagesspiegels außerdem davon aus, dass die Pipelines „für immer unbrauchbar“ sein könnten, je länger man mit der Reparatur wartet. Das eindringende Salzwasser könnte dann nämlich die Pipeline-Röhren zerfressen.
Und zu guter Letzt stellt sich auch die Frage, ob russisches Erdgas in Europa dann überhaupt noch gewollt und gebraucht wird.