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Wie ausgediente Schiffe zur Umweltsünde werden

Aktuell endet das Leben großer Schiffe zumeist an südostasiatischen Stränden – mit verheerenden Folgen für die Umwelt und die Gesundheit der Arbeiter. Immer wieder werden deshalb nachhaltigere Recyclingmethoden gefordert. In Zukunft könnten einige Ozeanriesen zum Beispiel unter strengen Umweltauflagen auch in Deutschland zurückgebaut werden. Aber wie wahrscheinlich ist das? Wie lang dauert das Leben eines Schiffes in der Regel? Und könnte die „Hongkong-Konvention“ helfen?
AMA / Deutsches Schifffahrtsmuseum, 23.04.2025
Abwrackarbeiten am Strand von Chittagong

© Salvador Campillo Alba, iStock

Ein halb ausgeschlachteter Schiffsrumpf rostet im flachen Wasser, in dem Ölpfützen in allen Regenbogenfarben schimmern. Einrichtung, Elektronik und nützliche Bauteile des Ozeanriesen wurden bereits verkauft – ein riesiger Absatzmarkt sorgt dafür, dass die Existenz vieler Familien daran hängt. Vor dem toten Koloss hämmern Arbeiter an den Überresten, schneiden mit einfachen Werkzeugen Metallplatten aus dem Schiffsskelett heraus – so lange, bis das hochhausgroße Ungetüm schrumpft. Eine schier unlösbare Aufgabe, wenn man die winzigen Arbeiter vor der gigantischen Kulisse betrachtet.

Abwrackwerft bei Chittagong
Die Strände nordwestlich von Chittagong bilden das Zentrum der Abwrackindustrie in Bangladesch.

© alexeys, iStock

Riskante Schiffszerlegung

Was wie eine dystopische Szenerie wirkt, ist Realität in Bangladesch und Indien. Die dortigen Strände sind die Schiffsfriedhöfe der Welt. 80 Prozent der Ozeanriesen nehmen nach bis zu 30 Dienstjahren auf ihrer letzten Fahrt Kurs auf diese Länder. Doch darunter leiden Umwelt und Arbeiter gleichermaßen. „Bei Springfluten werden die Schiffe in Indien oder Bangladesch auf den Strand gefahren und dort händisch von den Arbeitern abgebaut. Die Menschen haben oft keine Schutzkleidung, sind nicht vor den giftigen Stoffen geschützt, die ungehindert ins Meer gelangen, und werden zudem schlecht bezahlt“, erklärt Anja Binkofski vom Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven.

Auch europäische Schiffe gehören zu den ausgeschlachteten Giganten an den Stränden Südostasiens. Das ist nach europäischem Recht zwar illegal, doch viele Schiffe werden Binkofski zufolge einfach umgeflaggt, um so deren Herkunft zu verschleiern. Der Grund für dieses Vorgehen liegt auf der Hand: Die Eigner entgehen so dem legalen Abwracken in einer europäischen Werft, das wegen der höheren Arbeitslöhne deutlich weniger lukrativ wäre.

Abwrackwerft in Alang, Indien
Auf dem Gelände dieser Abwrackwerft im indischen Alang geht es geregelter zu als an den Stränden Bangladeschs. So ist zum Beispiel der Boden entsprechend der Hongkong-Konvention versiegelt, damit Chemikalien nicht ungehindert eindringen können.

Wäre Deutschland ein geeigneter Standort?

Es wird deutlich: Eine Wende in Sachen Schiffsrecycling ist längst überfällig. Binkofski kann sich diesbezüglich zum Beispiel vorstellen, Norddeutschland als einen neuen Standort für Recycling-Werften zu etablieren. Schiffe statt in Südostasien vor der eigenen Haustür zu zerlegen, wäre auch eine nachhaltige Möglichkeit zur Stahlgewinnung. Denn würde man den in Schiffen verbauten Stahl recyceln, könnte das 80 bis 90 Prozent jener Emissionen einsparen, die sonst bei der energieaufwendigen Herstellung von neuem Stahl anfallen.

In Kombination mit einer intelligenten Kreislaufwirtschaft könnte das Schiffsrecycling sogar eine Chance für strukturschwache Regionen sein und auftragslosen Werften eine Wiedergeburt bescheren, argumentiert Binkofski. Bislang ist recycelter Stahl zwar noch nicht großflächig in die Kreislaufwirtschaft integriert, doch Interesse an dem Konzept besteht trotzdem, wie die Kulturwissenschaftlerin erklärt: „In Deutschland erhielt gerade die erste Werft eine Genehmigung, Schiffe zu recyceln, andere Werften warten noch auf ihre Zertifizierung.“

Doch es gibt noch zahlreiche Hürden zu überwinden, vor allem bürokratischer Natur. „Hohe Lohnkosten, Umweltauflagen und fehlende rechtliche Regelungen sind Gründe für die erschwerte Umsetzung. Bisher durften Schiffe in Reparaturwerften nur zu 75 Prozent rückgebaut werden, sobald es um die letzten 25 Prozent ging, griffen Regelungen der Abfallwirtschaft“, berichtet Binkofski.

Hongkong-Konvention verspricht Hoffnung

Die entscheidende Wende könnte womöglich die sogenannte Hongkong-Konvention bringen, die am 26. Juni 2025 in Kraft tritt. Sie wurde von den Mitgliedern der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation IMO beschlossen und fordert umweltfreundliche Standards beim Schiffsrecycling sowie sichere, faire Arbeitsbedingungen weltweit. Zum Beispiel sollen giftige Farbpartikel, Ölreste und weitere Chemikalien künftig nirgendwo mehr unkontrolliert ins Wasser gelangen oder sich im Sand ablagern. Ein Gefahrstoffinventar, welches für Schiffe unter EU-Flagge schon seit 2019 vorgeschrieben ist, soll außerdem mehr Transparenz beim zu entsorgenden Material schaffen.

Doch wer kontrolliert die Einhaltung? Die Hongkong-Konvention ist zwar ein politisches Schwergewicht, aber nicht rechtlich bindend. Binkofski blickt daher mit gemischten Gefühlen auf das Inkrafttreten im Juni.

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