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Wie Streaming Musik verändert

Noch nie war es so einfach, Musik zu hören. Auf Streaming-Plattformen wie Spotify steht alles mit wenigen Klicks bereit, und auch das Veröffentlichen eigener Songs war nie unkomplizierter. Man könnte meinen, das würde zu mehr Vielfalt führen. Doch aktuelle Forschung zeigt: Neue Songs ähneln sich zunehmend in Klang, Lyrics und Stil. Warum ist das so – und was hat Streaming damit zu tun?
CMA, 23.10.2025
Gähnende junge Frau beim Musikhören per Smartphone

© AntonioGuillem, iStock

In den 2010er-Jahren setzte sich die Musik-Streaming-Plattform Spotify weltweit durch und wurde als Symbol einer neuen, demokratischen Musikwelt gefeiert. Jeder konnte nun Songs und Musikstücke veröffentlichen, unabhängig von großen Labels oder den hohen Produktionskosten für Musik-CDs. Mit Spotify und Co bekommen Nutzer gegen kleines Geld Zugriff auf einen riesigen Katalog von Musik, ohne sich jede einzelne CD oder Platte kaufen zu müssen.

Gatekeeper und Kuratoren

Inzwischen sehen jedoch immer mehr Künstler und Forschende die Entwicklung kritischer. Denn ganz so demokratisch wie erhofft ist die neue Streaming-Welt nicht. Streaming-Dienste wie Spotify haben sich stattdessen als neue Gatekeeper erwiesen, die darüber entscheiden, was gehört wird und was Erfolg hat. Zudem sichern sie denn großen Labels weiterhin viel Einfluss. In den Augen vieler hat die Musik dadurch an Originalität verloren und wirkt oft formelhaft oder austauschbar.

Eine zentrale Rolle spielen dabei von Spotify kuratierte Playlists. Sie übernehmen heute die Funktion, die früher Radiosender oder Musikfernsehen hatten, und entscheiden mit darüber, welche Songs bekannt werden. Wer es in eine dieser großen Playlists schafft, kann damit enorme Reichweite und Einnahmen erzielen. Das vergrößert den Druck, besonders trendgerechte Musik zu produzieren. Im Hip-Hop ist die Spotify-Playlist „RapCaviar“ beispielsweise ein wichtiger Maßstab für das, was gerade angesagt ist. Wie sehr dieser Einfluss die Musik tatsächlich verändert hat, wollten Niklas Kullick von der Goethe-Universität Frankfurt und Johannes Petry von der University of Warwick genauer wissen.

Rap unter der Lupe

Um zu testen, ob Musik immer ähnlicher wird, haben sich die beiden Forscher die RapCaviar-Ausgabe von 2022 angeschaut und mit den 50 erfolgreichsten Hip-Hop-Songs aus dem Jahr 2002 verglichen. Das Ergebnis: Die Songs von heute sind deutlich kürzer, bewegen sich stärker in ähnlichen Tempi und Tonarten und klingen dadurch einheitlicher. Immer wieder tauchen die gleichen Piano- oder Gitarrenklänge auf, die häufig aus vorgefertigten Soundbibliotheken stammen. Auch der Rhythmus ist meist sehr ähnlich.

Kullick und Petry analysierten zudem die Lyrics der heutigen und früheren Songs mit einem KI-Tool und fanden heraus: Obwohl mehr verschiedene Wörter verwendet werden, sagen die aktuellen Rap-Songs oft Ähnliches oder greifen auf ähnliche Themen und Formulierungen zurück. Zwar gibt es theoretisch unzählige Möglichkeiten, Beats, Samples, Texte und Stimmen zu kombinieren, doch in der Praxis orientieren sich Künstler eher an dem, was gerade angesagt ist. Sie können es sich schlicht nicht mehr leisten, zu stark von der Norm abzuweichen.

Streaming ist ein Gleichmacher

Die Forschung zeigt also: Anstatt die Musikwelt zu demokratisieren, wie es oft heißt, hat Streaming einfach neue Regeln eingeführt. Die Playlist gibt heute den Ton an. Sie entscheidet nicht nur, was gehört wird, sondern auch, was überhaupt produziert wird. Songs sollen sofort erkennbar, leicht konsumierbar und nahtlos in die nächste Playlist überführbar sein. So kann selbst ein einst so experimentierfreudiges und innovatives Genre wie Hip-Hop eintönig werden.

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