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Die attische Polis: Die Wiege der Demokratie

Wie kam es zum Aufstieg Athens?

Die Anfänge Athens reichen in die Bronzezeit zurück. Auf der Ägäishalbinsel Attika mit ihren reichen Vorkommen an Ton, Marmor, Blei und Silber war Athen zunächst eine Kleinstadt neben anderen. Nach der Eingemeindung des Umlands und des Hafens von Piräus im 9. Jahrhundert v.Chr. stieg die Stadt, gestützt auf das attische Hinterland, zu einer der Führungsmächte in Griechenland auf und erreichte ihre Blütezeit im 5. Jahrhundert v.Chr. Die herrschende Schicht war nach Abschaffung der Monarchie zunächst die Aristokratie, die jedoch nicht wie etwa in Rom aus einer überschaubaren Zahl großer Geschlechter bestand. Die politischen Akteure stammten vielmehr aus vielen Familien, die miteinander um die Sicherung bzw. Erhöhung ihres Ranges wetteiferten.

Wer regierte die Polis in der Frühzeit?

Politik und Gesellschaft Athens wurden im 7. Jahrhundert v.Chr. noch vom Adel bestimmt. An der Spitze des Stadtstaates, der Polis, standen die Archonten. Dieses Amt wurde ursprünglich auf Lebenszeit vergeben, später auf zehn Jahre besetzt, bevor man – der Überlieferung nach 683/82 v.Chr. – zur jährlichen Wahl überging. Nach dem höchsten, dem eponymen Archon, wurde das jeweilige Jahr benannt, der zweite Archon führte das Heer, der dritte war für religiöse Belange zuständig. Sechs weitere übten als Thesmotheten höchstrichterliche Gewalt aus. Nach Ablauf ihrer Amtszeit konnten die Archonten in den Areopag aufrücken, der aus dem Kreis der Reichsten und Vornehmsten wiederum die Archonten wählte und zugleich Gerichtshof war. Die Macht der Archonten war begrenzt, so dass die Aristokraten nicht vorrangig um Ämter rangen, sondern eher durch militärische Taten oder die Errichtung von Heiligtümern und Bauwerken wetteiferten.

Was stürzte Athen in die Krise?

Im Laufe des 7. Jahrhunderts geriet Athen in eine soziale Krise. Auslöser waren Veränderungen in der Kriegsführung, das heißt der Übergang vom adeligen Reiterheer zu schwer bewaffneten Fußsoldaten, die in geschlossener Formation (Phalanx) kämpften. Viele Kleinbauern konnten die ihnen auferlegten militärischen Verpflichtungen nur tragen, indem sie sich bei den aristokratischen Großgrundbesitzern verschuldeten. Unterdessen steigerten die Großgrundbesitzer durch Export von Weizen, Öl und Wein ihren Reichtum. Der Handel ließ in der Stadt eine wohlhabende Schicht aus Handwerkern und Kaufleuten entstehen, die sich durchaus mit den Adeligen messen konnten, aber mangels Grundbesitz keine politischen Rechte besaßen. Beide Gruppen forderten eine ihrem materiellen Stand angemessene politische Mitwirkung.

Die Maßnahmen des Gesetzesreformers Drakon zur Schaffung höherer Rechtssicherheit konnten die Unzufriedenheit mit der bestehenden Ordnung nicht wirklich eindämmen. Die verschiedenen Interessengruppen standen sich unversöhnlich gegenüber, so dass Solon 594 v.Chr. einen besonderen Auftrag erhielt: Als Archon mit umfassenden Vollmachten ausgestattet, sollte er als Schiedsrichter und Versöhner den athenischen Staat reformieren.

Worin bestanden Solons Reformen?

Solons erste Maßnahme war die Bauernbefreiung. Er hob Grundschulden und Leibeigenschaft auf. Forderungen nach einer Neuverteilung von Grund und Boden kam Solon jedoch nicht nach. Stattdessen stufte er die Bürger nach ihrem jährlichen Ertrag in vier Klassen ein, von den Großgrundbesitzern und Großkaufleuten (1. Klasse) bis zu den Kleinbauern und Lohnarbeitern. Damit begründete er die Herrschaft der Besitzenden (Timokratie); die politischen Rechte hingen nun statt von der Geburt von der veränderbaren Größe des Vermögens ab. Auch die ärmeren Bürger erhielten erstmals Möglichkeiten zur politischen Mitwirkung. Die vom Archon einberufene und geleitete Volksversammlung entschied über außenpolitische Fragen. Ferner wählte sie jedes Jahr neun Archonten (aus der 1. Klasse) sowie (aus den ersten drei Klassen) den Rat der 400. Dieser nahm Anträge für die Volksversammlung entgegen, führte die Regierungsgeschäfte und war Berufungsinstanz gegen die Urteile der Thesmotheten. Solons Reformen änderten die Machtverhältnisse kaum, aber sie schufen die Voraussetzung zur Teilhabe weiter Personenkreise an der Politik und zur Beendigung der aristokratischen Vorherrschaft.

Was geschah nach Solons Abschied?

Nach Vollendung seines Reformwerks trat Solon von der politischen Bühne ab. Die neue Ordnung geriet bald durch Machtkämpfe zwischen den mächtigsten Familien in Gefahr. In Auseinandersetzungen mit seinen Kontrahenten Megakles und Lykurgos gelang es Peisistratos (um 600–527 v.Chr.), die Landbevölkerung hinter sich zu bringen und die alleinige Macht zu erringen (um 560). Zweimal wurde er vertrieben, bis er in den 540er Jahren endgültig seine Alleinherrschaft festigen konnte.

Peisistratos war zwar Tyrann, allgemein wird ihm aber ein maßvolles Regieren bescheinigt. Seine Macht war nicht absolut; sie war weniger durch die solonische Ordnung eingeschränkt als durch die Notwendigkeit, die Gunst des Volkes zu erhalten und zugleich die in der Stadt gebliebenen adeligen Rivalen einzubinden. Dies gelang ihm u. a. dadurch, dass er Adelige zur Bekleidung hoher Ämter aufforderte bzw. sie in einem solchen Ansinnen unterstützte. Unter Peisistratos, der selbst kein Staatsamt innehatte, erlebte Athen einen wirtschaftlichen Aufschwung und die sozialen Verhältnisse stabilisierten sich. Peisistratos förderte die Kleinbauern durch Kredite und verteilte unter ihnen die Güter seiner geflohenen Gegner. Er ließ prachtvolle Bauten errichten, förderte die Künste und pflegte die religiösen Kulte. Zu Ehren der Stadtgöttin Athene stiftete er die Wettkampfspiele der Panathenäen; im Rahmen eines ebenfalls neuen Festes, der Großen Dionysien, wurde 534 v.Chr. die erste griechische Tragödie aufgeführt. Mit der Gründung einer Kolonie am Hellespont sicherte Peisistratos die Versorgung Athens mit Getreide von der Schwarzmeerküste. Als der Tyrann 527 starb, setzten seine Söhne Hippias und Hipparchos die Politik ihres Vaters fort. Erst nach der Ermordung Hipparchos' 514 machte sich Hippias durch harte Maßnahmen verhasst und wurde 510 gestürzt.

Was bewirkte Kleisthenes?

Die grundlegenden Reformen des Staatswesens durch Kleisthenes begründeten die Demokratie (Herrschaft des Volkes). In den Unruhen nach dem Tod des Hippias bevollmächtigten die Athener den eponymen Archon Kleisthenes (um 570–um 507 v. Chr.) zu umfangreichen Verfassungsreformen.

Um die gerade auf dem Land noch bestehenden Bindungen an den lokalen Adel zu lösen, zerschlug Kleisthenes die vier alten Stammes- und Familienverbände (Phylen) und ordnete das Gemeinwesen nach territorialen Gesichtspunkten. Er schuf zehn Phylen, jede unterteilt in Stadt-, Land- und Küstenbewohner. So war gewährleistet, dass alle Gesellschaftsgruppen repräsentiert waren. In der Volksversammlung wurden nun aus jeder Phyle 50 Mitglieder für den Rat der 500 ausgelost, der den Rat der 400 ablöste. Weiterhin wählte die Volksversammlung das Geschworenengericht und zehn Strategen, die das Heer führten, sowie aus der 1. und 2. Klasse (später von Perikles auf die 3. Klasse ausgedehnt) die neun Archonten.

Die Macht des Adels als herrschende Gruppierung war nach Kleisthenes' Reformen endgültig gebrochen. Politisch maßgebliche Kraft wurde der Demos (Volk), der bereits Peisistratos und Kleisthenes gegen Teile des Adels unterstützt hatte. Politiker mussten sich also die Unterstützung des Volkes bzw. der Volksversammlung sichern, wollten sie Macht gewinnen oder behalten.

Wie entstand der Attische Seebund?

Mit der Staatsreform ging auch ein stärkeres außenpolitisches Engagement einher. Am Ionischen Aufstand (500–494 v.Chr.) gegen die Perser beteiligte sich Athen als einziger bedeutender griechischer Stadtstaat. Aus den Perserkriegen (492–448 v.Chr.) ging es als führende Seemacht hervor. Als Sparta aus dem Kriegsbündnis gegen die Perser austrat, banden sich die griechischen Städte Kleinasiens und die meisten Ägäisinseln an Athen als Schutzmacht. Zur gemeinsamen Kriegsführung wurde 478/77 der 1. Attische Seebund gegründet. Aufgrund der besonderen Bedingungen eines Seebündnisses– nicht jeder Staat konnte eigene Kriegsschiffe stellen– durften die Partner ihre Bündnisleistungen auch finanziell abgelten; die Kriegskasse wurde zunächst auf der Insel Delos verwahrt und 454 nach Athen überführt.

Wie nutzte Athen den Seebund?

Der Seebund wurde mehr und mehr ein Instrument zur Durchsetzung athenischer Interessen, die Beiträge wurden zu ständigen Tributen an Athen. Städte, die austreten wollten, zwang Athen mit Gewalt in den Bund zurück und disziplinierte sie durch Ansiedlung von Militärkolonien. Auf der anderen Seite begünstigte der Bund die Ausweitung des athenischen Handels sowie die Übernahme athenischer Werte und Normen. Der im 6. Jahrhundert eingeführte attische Münzfuß etwa setzte sich in der Ägäis und den angrenzenden Küstengebieten durch. Und in zahlreichen Staaten entstanden mit athenischer Unterstützung Demokratien.

Was war das Perikleische Zeitalter?

Der Demokratenführer Perikles (ca. 490 v. Chr.–429 v. Chr.) lenkte die Geschicke des Staates über drei Jahrzehnte lang und machte Athen zum geistig-kulturellen Mittelpunkt Griechenlands (Perikleisches Zeitalter).

Beim Sturz des Areopags (462) unterstützte Perikles, der Sohn des Heerführers Xanthippos und der Agariste, einer Nichte des Kleisthenes, den Ephialtes und übernahm nach dessen Ermordung 461 die Führung der Demokraten. In den folgenden Jahrzehnten bis zu seiner Absetzung 430 war er der wichtigste athenische Politiker (seit 443 Stratege).

Perikles versuchte, den Einfluss der unteren Klassen, auf die er sich stützte, zu stärken und die Aristokraten zu schwächen. Er führte Aufwandsentschädigungen für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben (für Geschworene, Ratsherren usw.) ein, wodurch diese auch von weniger reichen Personen wahrgenommen werden konnten. Er betrieb eine umfangreiche Baupolitik aus der Kasse des Attischen Seebundes. Außenpolitisch zeichnet Perikles für die Friedensschlüsse mit Persien (448) und Sparta (445) verantwortlich, aber auch für das Bündnis mit Korkyra (433), das den Peloponnesischen Krieg auslöste. Kurz nach Kriegsausbruch starb er an der Pest.

Was sind »drakonische Gesetze«?

Mit diesem, noch heute gebräuchlichen Ausdruck bezeichnet man die erste schriftliche Niederlegung von Gesetzen in Athen durch den Gesetzesreformer Drakon im Jahr 624 v.Chr.

Drakon war kein »Gesetzgeber« im wörtlichen Sinn, sondern schrieb hauptsächlich das bereits bestehende Gewohnheitsrecht auf, wobei er vermutlich einige Neuerungen einführte, die aus der angespannten politischen Situation seiner Zeit erklärbar sind. So ordnete er einzelnen Vergehen bestimmte Strafen zu. Wegen der Bevorzugung der Todesstrafe wurden seine Gesetze von den Athenern später als zu streng empfunden; bis heute bezeichnet man eine besonders strenge Strafe als »drakonisch«.

Wussten Sie, dass …

unter Solon die Popularklage eingeführt wurde? Damit war es jedem Bürger erlaubt (nicht mehr nur dem Betroffenen), Klage zu erheben, was die Durchsetzung der Gerechtigkeit zu einer Sache aller Athener machte.

sich aus dem griechischen Wort Polis unser Wort »Politik« ableitet?

auch in der »demokratisch« angelegten Polis Frauen keine öffentlichen Rechte hatten?

Wie entstand die klassische griechische Tragödie?

Die Tragödie, die älteste europäische Form des Dramas, entwickelte sich im 6. und 5. Jahrhundert v.Chr. aus dem Dionysoskult. Dieser bestand zunächst in einem von Vorsänger und Chor vorgetragenen ekstatischen Lied (Dithyrambos) zu Ehren des Gottes. Die erste Tragödie soll 534 v.Chr. bei den Großen Dionysien in Athen aufgeführt worden sein. Dabei führte der Dichter Thespis erstmals einen Schauspieler ein, der Monologe vortrug und in den Dialog mit dem Chorleiter trat. Als eigentlicher Erfinder der Tragödie gilt Aischylos (525–456 v.Chr.), der einen zweiten Schauspieler in die Handlung integrierte. Ferner ergänzte er die damals übliche Trilogie, die Folge dreier Tragödien, um ein Satyrspiel, das das vorangegangene Geschehen parodierte. Neben Aischylos prägten Sophokles (496–406 v.Chr.) und Euripides (480–406 v.Chr.) die klassische griechische Tragödie. Zu ihrer Zeit gab es jährliche Dichterwettbewerbe (Agonen). Auch die Komödie nahm ihren Anfang in den athenischen Dionysien (erstmals 486 v. Chr.).

Wussten Sie, dass …

das bekannte Scherbengericht unter dem Reformer Kleisthenes entstand? Einmal im Jahr wurde die Volksversammlung befragt, ob ein Bürger dem Staat gefährlich werden könne. Jeder Stimmberechtigte ritzte daraufhin einen Namen in eine Tonscherbe. Wer von 10000 Stimmberechtigten mindestens 6000-mal genannt wurde, der musste – unter Erhalt seines Vermögens und seiner Ehre – ins Exil gehen. Dadurch sollte einer erneuten Tyrannis vorgebeugt werden. Das Scherbengericht wurde jedoch später nicht selten zur Ausschaltung politischer Gegner missbraucht.

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