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Händels Messias: Ein Oratorium für das aufstrebende Bürgertum

Machte Händels Talent den Komponisten reich?

Nicht immer, auch wenn er über einen gesunden Geschäftssinn verfügte. Georg Friedrich Händel war eine Kämpfernatur, polarisierte mit seinem ungezügelten Temperament, er zog Giftpfeile ebenso auf sich wie Verehrung. Er hatte mit seinen 29 italienischen Opern, die er bis 1731 in London auf die Bühne gebracht hatte, Triumph und Niederlage gleichermaßen kennengelernt (1728 war sein Haymarket-Theater in der englischen Hauptstadt bankrottgegangen).

Auch für 1732 war eine Novität annonciert. Um falschen Erwartungen des Publikums vorzubeugen, ließ das King's Theatre auf dem Programmzettel mitteilen: »There will be no action on the stage.« Denn »Esther« war keine Oper, sondern ein Oratorium, und gehörte damit zu einer hierzulande noch unbekannten Kunstgattung. Eine Vertonung meist geistlicher, aber auch weltlicher Texte mit Solisten, Chor und Orchester außerhalb der Kirche beziehungsweise ohne szenischen Rahmen, das war ebenso neu und ungewohnt wie die Verwendung der englischen Sprache. Dass sich das Publikumsinteresse von der italienischen Opera seria mehr und mehr auf das Oratorium verlagerte, dafür steht nicht zuletzt Händels Œuvre. Das selbstbewusste Bürgertum, das die Oper als aristokratische Kunstform ablehnte, entdeckte in dieser neuen Gattung eine ihr wesensverwandte Musikkultur, die es als nationale und religiöse Volkskunst verstand. Bis 1741, dem Jahr des »Messias«, komponierte der englische Sachse zwar noch weitere 14 Opern, doch bildete bereits ab 1732 das Oratorienwerk den Schwerpunkt seines Schaffens.

Woher stammte das Libretto des »Messias«?

Aus Händels gut bestückter Schublade: Denn als der irische Vizekönig Händel 1741 einlud, sich in Dublin mit einem Oratorium an einer Wohltätigkeitsveranstaltung zu beteiligen, erinnerte sich der unter immensem Zeitdruck stehende Komponist eines Librettos, das Charles Jennens aus Texten des Alten und Neuen Testaments unter dem Titel »Der Messias« zusammengestellt hatte. Mit Feuereifer machte sich Händel an die Komposition, für deren Niederschrift er nur 22 Tage benötigte– eine unvorstellbar kurze Zeit!

Ohne das Verfahren der Parodie, also der Verwendung von Teilen älterer Arbeiten, wäre es aber auch nicht zu bewerkstelligen gewesen. Italienische Duette arbeitete er beispielsweise zu Chören um, für anderes machte er Anleihen bei Georg Philipp Telemann: ein Verfahren, das in einer Zeit ohne Urheberrecht gang und gäbe war.

Nicht ein konkreter Handlungsverlauf gibt dem »Messias« Händels seine dreiteilige Form, vielmehr nimmt der Text des Oratoriums Bezug auf Verkündigung und Geburt, Leiden und Triumph sowie das Nachleben Jesu. Der Messias, der »Titelheld«, tritt anders als bei Johann Sebastian Bach (1685–1750) indessen nicht selbst auf, was eine größere Distanz erlaubt. Den meditativen Grundcharakter der Bach'schen »Matthäuspassion« wird man im »Messias« vergeblich suchen. Hier herrscht eine christliche Heilsgewissheit vor, die statt frommer Demut glaubensstarkes Selbstbewusstsein demonstriert.

Zog sich Händel völlig von der Opernbühne zurück?

Ja und Nein. Mit 23 Oratorien begründete Händel zwar Englands große Tradition in dieser musikalischen Form, verleugnete aber nicht seine Herkunft, dafür war sein dramatisches Gespür zu ausgeprägt. Gleichwohl fand er zu einem oratorischen Stil, der die direkten Affekte der Bühne relativiert. »Der Messias« und mehr noch »Israel in Ägypten« sind Chor-Oratorien, deren Feierlichkeit und Monumentalität auch den Gesang der Solisten bestimmt. Kein Wunder also, dass diese repräsentative Kunst das Bürgertum begeisterte. Schon zu Lebzeiten des Komponisten wurde »Der Messias« 36-mal gegeben. Und seit 1744 wird das Oratorium alljährlich in der Londoner Westminster Abbey aufgeführt.

Wussten Sie, dass …

Händel schon zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt wurde? Ab 1738 konnten die Besucher von Vauxhall Gardens, einem Londoner Park, den Wahlbriten als Apoll, die Leier schlagend, in Marmor bewundern. Als kurioser Kontrast holten Schlafmütze und Pantoffel diesen apollinischen Händel indessen schnell wieder von seinem Sockel.

bei der Uraufführung des »Messias«, die am 13. April 1743 im irischen Dublin stattfand, der Publikumsandrang so gewaltig war, dass die Damen gebeten wurden, auf das Tragen von Reifröcken zu verzichten?

Der »Messias«: Top oder Flop?

Top. Der Bericht des »Dublin Journal« von 1742 über die Uraufführung war eine einzige Jubelarie: »Die wichtigsten Kritiker erklärten es für das vollendetste Werk der Musikgeschichte. Mit Worten lässt sich der Genuss nicht ausdrücken, den das Stück für das versammelte staunende Publikum bedeutete. Erhabenheit, Größe und Zärtlichkeit, gebunden an die würdigsten, majestätischsten und bewegendsten Worte, taten sich zusammen und bezauberten Herz und Ohr gleichermaßen.«

Was trieb einen Sachsen ins selbst gewählte Exil nach England?

Die künstlerischen Entfaltungsmöglichkeiten: Händel wird am 23. Februar 1685 in Halle (Saale) als Arztsohn geboren, wo er beim Organisten der Liebfrauenkirche eine Kompositionsausbildung erhält. 1702 wirkt er ein Jahr als Organist am Dom in Halle. Nach einer Mitarbeit als Instrumentalist im Hamburger Opernensemble, wo er erste Versuche in der Oper unternimmt, bricht er 1706 zu einem dreijährigen Italienaufenthalt auf, wo er mit »Rodrigo« (1707) seinen Ruf als Opernkomponist begründet.

1711 verlegt er sein Wirkungsgebiet nach England. Hier entstehen mit »Radamisto« (1720) und »Alcina« (1735) weitere Opern. Händel wird auch als Unternehmer tätig. Als Operndirektor steht er ab 1719 der »Opernakademie« am Haymarket vor, einer Opernbühne, die 1728 bankrottgeht. Händel lässt sich nicht entmutigen und startet einen zweiten Versuch mit der »Opernakademie«, in der jetzt auch Oratorien zur Aufführung kommen. Nach erneutem Scheitern 1737 wendet er sich verstärkt dem Komponieren zu.

Ab 1751 erblindet er, komponiert aber weiter. Am 14. April 1759 stirbt er in London und wird in der Westminster Abbey beigesetzt.

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