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Lancelot von Chrétien de Troyes: Epos über einen idealen Ritter

In welchem Umfeld ist die Geschichte des »Lancelot« angesiedelt?

Während die Epen der chansons de geste (»Heldenlieder«) um fassbare Persönlichkeiten der Geschichte wie etwa Karl den Großen und Wilhelm von Oranien kreisen, siedelt Chrétien de Troyes (um 1135 bis vor 1190) hier die Handlung im zeitlos-mythischen Raum des Artushofs an, womit ein politisch opportunes Gesellschaftsmodell (Vasallentum und Lehenswesen) idealisiert wird. Im ritterlich-»höfischen« Lebensstil mit seinen Idealen Lehenstreue, Minnedienst, Maßhalten, Disziplin (»Zucht«) und christliche Barmherzigkeit verlieh sich die Gesellschaft Normen, die sich in ganz Europa durchsetzten und auch nach dem Niedergang des Rittertums ihre Gültigkeit bewahren sollten.

Etwa um 1170/1180 entstand das Epos über Lancelot, den vorbildlichen Ritter, in achtsilbigen Reimpaaren; nur eine kurze Zeit später schrieb ein unbekannter Autor auch eine Prosafassung (»Lancelot en prose«, um 1220).

Was passiert im Verlauf der Handlung?

Méléagant, der Sohn des Baudemagus von Gorre, fordert den Artushof heraus und entführt die Königin Guenièvre (Guinevere), nachdem er den großspurigen Seneschall Keu bezwungen hat. Artus selbst und Gauvain (Gawain) nehmen die Verfolgung auf.

Gleichzeitig macht sich ein weiterer Ritter, geleitet von unbeirrbarer Liebe zu seiner Königin, auf den Weg. Weil er im Kampf sein Pferd, das Symbol des Ritterstolzes, verliert, muss er auf einen Schinderkarren steigen und sich so im Namen der Minne zum »Karrenritter« erniedrigen. Um ins Reich von Baudemagus zu gelangen, überwindet er todesmutig die Schwertbrücke und wird von jenem in allen Ehren empfangen. Nachdem der unbekannte Ritter Méléagant im Zweikampf besiegt hat, ohne ihn zu töten, offenbart er seinen Namen: »Lancelot vom See«. Doch Guenièvre empfängt ihn kühl.

Wie gewinnt Lancelot Guenièvres Gunst?

Lancelot bricht auf, um Gauvain zu suchen, wird jedoch von Baudemagus gefangen genommen. Als Guenièvre hört, dass er im Kampf gefallen sei, verweigert sie jede Nahrung. Bevor sich Lancelot auf diese Nachricht hin das Leben nehmen kann, kommt es zur klärenden Aussprache, und beide verbringen die Nacht miteinander.

Ein weiterer Zweikampf mit Méléagant endet zugunsten Lancelots, der seinen Gegner auf Bitten Guenièvres wieder verschont.

Warum gerät Lancelot erneut in Gefahr?

Lancelot wird auf der Suche nach Gauvain ein zweites Mal von den Mannen des Königs ergriffen, die ihm jedoch gestatten, unerkannt an einem Turnier teilzunehmen. Guenièvre, die in dem tapferen Ritter den Geliebten vermutet, stellt ihn auf eine demütigende Probe, bevor sie ihn (an)erkennt. Nachdem sich Lancelot aus der Gefangenschaft befreit und anschließend am Artushof ein drittes Mal mit Méléagant gekämpft (und ihn diesmal getötet) hat, bricht der Text ab.

Was ist neu an Chrétien de Troyes' Roman?

Neben dem Konflikt zwischen allgemeinen Normen (Minnedienst versus Treueverrat am Lehensherrn) führt das Epos Chrétiens ein psychologisches Moment ein: die Minnehörigkeit beziehungsweise die Legitimation des Ehebruchs. Das Motiv wurde später von Dante mit der Episode von Paolo und Francesca in seiner »Divina Commedia« aufgegriffen.

Warum wurde das Epos verschieden überliefert?

Wegen vieler struktureller Mängel – wozu noch das Fehlen eines Schlusses kommt, der die Widersprüche versöhnt hätte – wurde das Epos allgemein als misslungen angesehen. Aus diesem Grund fand die Lancelot-Überlieferung ganz im Gegensatz zum Erec- und zum Iwein-Zyklus keine homogene Ausgestaltung, sondern wurde in der durchaus reichen Überlieferung unterschiedlich gestaltet.

Welche Themen stehen im Zentrum des höfischen Romans?

Die Legenden um den keltischen König Artus, beschrieben durch Geoffrey von Monmouth in seiner »Geschichte der Könige von Britannien« (1139), bildeten den Themenkreis, aus dem der höfische Roman des hohen Mittelalters seine Stoffe schöpfte. Im Mittelpunkt des höfischen Romans steht idealtypisch ein Held, der die widersprüchlichen Anforderungen des Rittertums – zwischen Vasallendienst für den Lehensherrn und persönlicher Entwicklung (»Minnedienst« für die idealisierte, hoch stehende Dame) – in Einklang zu bringen versucht. In Prüfungen (»aventiuren«), die der archetypischen Struktur der »Fahrt ins Ungewisse« oder Suche (französisch »queste«) folgen, muss er sich bewähren: Erec, der nach der Hochzeit mit Eneide seine Pflichten als Ritter versäumt, Iwein (Yvain), der durch seine Aventüren die Gattin Laudine vernachlässigt, oder Parzival (Perceval), der erst nach mehreren Anläufen den Gral erringt.

Wussten Sie, dass …

Chrétien de Troyes »Lancelot« nach Motiven schrieb, die ihm Marie, die Gattin seines Gönners Heinrich I., vorgab – und zwar in der Bischofsstadt Troyes, der Residenz der Grafen der Champagne?

die Artus-Romane Chrétien de Troyes' richtungweisend für diese Gattung waren? Die zentralen Motive wurden von den deutschen Epikern des 12./13. Jahrhunderts – Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg – aufgegriffen.

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