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Leonardos Mona Lisa: Die Malerei entdeckt das Seelenleben

Wer ist auf dem Gemälde dargestellt?

Vor dem Hintergrund einer dramatischen Gebirgslandschaft blickt uns eine dunkel gekleidete Frauengestalt an. Die Dame ist etwa 25 Jahre alt. Ihren Zeitgenossen blieb sie weitgehend unbekannt – heute ist sie eine der berühmtesten Frauen der Renaissance. Ihr Name: Lisa del Giocondo. Sie war die Gemahlin des Florentiner Seidenhändlers Francesco del Giocondo, des Auftraggebers des Gemäldes.

Ein transparenter Schleier bedeckt das lange, gelockte Haar. Mit einer leichten Drehung wendet sich Mona Lisa dem Betrachter zu und fixiert ihn mit einem stillen Lächeln. In der Vergangenheit hob man immer wieder dieses geheimnisvolle Lächeln als eine Besonderheit des Bildes hervor. Es brachte und bringt sogar eingefleischte Museumsmuffel dazu, das obligatorische Schlangestehen im Pariser Louvre für einen kurzen Blick auf Leonardos weltberühmtes Bild in Kauf zu nehmen.

Was macht die Figur so geheimnisvoll?

Die Wirkung des Porträts beruht allerdings auf mehr als einer schlichten Mundbewegung. Die Faszination des Bildes gründet im Gesamtausdruck des Gesichtes. Mona Lisas Blick hat etwas seltsam Bannendes, dabei höchst Unbestimmtes. Sieht man näher hin, erkennt man, dass Leonardo die rechte Gesichtshälfte geschickt verfremdete. Mit Hilfe einer etwas größeren Schattenzone am rechten Auge entwickelte er einen Effekt, der dem eines aufgelegten Lidschattens vergleichbar ist. Zusätzlich verunklärte er den rechten Mundwinkel und zog ihn mit abstrahierenden Pinselstrichen in die Breite, wodurch jener nicht genau fassbare Ausdruck entstand. Bei Mona Lisas linker Gesichtshälfte verzichtete der Maler auf künstliche Effekte – somit präsentiert er uns zwei ungleiche Gesichtshälften, deren subtiles Zusammenspiel eine intensive psychologische Wirkung entfaltet.

Die Intensität des Blicks wird noch dadurch verstärkt, dass das linke, dem Betrachter näher liegende Auge auf der vertikalen Mittelachse des Bildes liegt. Hier entwickelte Leonardo einen Kunstgriff, mit dem die Maler bis in das 19. Jahrhundert hinein häufig operieren sollten. Der achsiale Effekt wird noch dadurch unterstrichen, dass die Augen knapp über der Horizontlinie des Bildhintergrundes positioniert sind. Die Horizontlinie erfährt auf diese Weise einen irritierenden Bruch. Es scheint, als läge der Horizont links vom Kopf etwas tiefer.

Wie belebt Leonardo die Frauenfigur?

Der Maler experimentiert mit den verschiedensten Mitteln, um die gemalte Gestalt zum Leben zu erwecken. Dazu gehört auch der kunstvolle Umgang mit Licht und Schatten. Die Buntfarben sind reduziert und lassen die Fleischfarben der Haut hervortreten. Gewand und Schleier werden in ein merkwürdiges Dunkel getaucht. Der Hautton (das so genannte Inkarnat), der die Farbgebung dominiert, verleiht dem Körper eine für damalige Betrachter ungewohnt lebensechte Fleischlichkeit. Die ausgedehnten Schattenzonen wiederum suggerieren räumliche Tiefe, etwa hinter den verschränkten Händen Mona Lisas.

Welche neuen Techniken führte Leonardo in die Malerei ein?

Eine innovative Leistung vollbringt Leonardo im raffinierten Einsatz weniger Pinselzüge und Lichtreflexe, um die Arme aus der Schattenzone heraustreten zu lassen. Der Künstler entwickelte eine Frühform der Hell-Dunkel-Malerei, des Chiaroscuro. Das malerische Verfahren wurde in der Folgezeit vor allem in Venedig aufgegriffen und etablierte sich vom frühen 17. Jahrhundert an europaweit zu einer der wichtigsten Maltechniken.

Eine weitere entscheidende maltechnischen Erfindung Leonardos war das Sfumato, das Verwischen und Verschwimmen der Linien und Umrisse. Auf diese Weise konnten Übergänge weicher und fließender modelliert und alle Bildelemente zu einer überzeugenden räumlichen Einheit verschmolzen werden.

Was ist das Neue an dem Porträt?

Obschon sich die Porträtmaler seit etwa 1360 bemühten, identifizierbare und unverwechselbare Persönlichkeiten zu verbildlichen, präsentierten sie eher durch Konventionen festgelegte Typen als wirklich individuelle Charaktere. Leonardos Bild bedeutete eine gewaltige Pionierleistung: Es zeugt von seinem Bemühen, eine zeitgenössische Persönlichkeit als beseeltes Individuum im Bild einzufangen, ohne dabei den komplexen Regelkatalog der Figurenmalerei zu verletzen.

Welche weiteren Interessen verfolgte Leonardo neben der Malerei?

Wie kein anderer Maler verkörpert Leonardo da Vinci (1452–1519) den Forschertyp unter den Künstlern der Renaissance. Sein wissenschaftliches Interesse galt der Natur und der Technik – und allem voran dem großen Geheimnis Mensch. In der Malerei rang Leonardo nicht zuletzt um die Enträtselung der menschlichen Wahrnehmung. Darüber hinaus beschäftigte sich Leonardo da Vinci mit Mechanik, Militärwesen, Architektur und Anatomie. Bekannt sind seine Versuche, eine Flugmaschine zu konstruieren.

Den größten Teil seiner Jugend verbrachte Leonardo in Florenz. Die Medici ermöglichten ihm ein Studium bei Andrea del Verrocchio. Aus seiner Frühzeit sind wenige authentische Werke überliefert.

1487 ging der Maler nach Mailand, wo er für die Sforzas arbeitete. Dort entstand auch sein bekanntestes Fresko, das »Letzte Abendmahl«, für die Kirche Santa Maria delle Grazie.

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