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Mr. and Mrs. Andrews von Gainsborough: Der begüterte Landadel

Welchem Genre ist das Gemälde zuzuordnen?

Es ist gleichzeitig Porträt und Landschaftsbild. Zeit seines Lebens musste der englische Maler Thomas Gainsborough (1727 bis 1788) das malen, was er gar nicht malen wollte, nämlich Porträts, von Adligen und Künstlern, von Reichen und Berühmten. Dabei hatte er holländische Landschaftsmalerei studiert! Deshalb stellte Gainsborough die Porträtierten oft in üppige Park- oder Waldlandschaften – das Hintertürchen für seine Liebe zur Landschaftsmalerei!

Warum malte Thomas Gainsborough Porträts?

Wegen der Marktlage. Im England des 18. Jahrhunderts besaßen Landschaftsbilder weder Tradition noch Ansehen und verkauften sich demnach auch nicht, so dass der große Thomas Gainsborough schließlich aufs lukrativere Porträtieren verfiel, um sich und seine Familie zu ernähren. »Es gibt keine schlimmeren Feinde für den wahren Künstler als die verdammten Gentlemen … An diesen gibt es nur ein Teil, das zu betrachten sich lohnt, und das ist ihre Börse«, nörgelte er in einem Brief über die Schicht seiner Auftraggeber.

Und trotzdem brachte er es in der Kunst der Bildnismalerei zu wahrer Meisterschaft und wurde zum Modemaler der vornehmen Gesellschaft. Vor allem zwischen 1759 und 1774, als er sich im eleganten Kurort Bath aufhielt, lebte er ausgesprochen gut von den »verdammten Gentlemen« und ihren Ladies.

Aus welchem Anlass entstand dieses Bild?

Anlässlich der Hochzeit von Robert und Frances Andrews. Die beiden heirateten im November 1748, das Gemälde »Mr. and Mrs. Andrews« entstand allerdings erst mehrere Monate später. Es ist kein offizielles Hochzeitsbild, doch verschiedene versteckte Andeutungen entsprechen der Tradition dieser Gattung: So lassen sich die reifen Ähren im Vordergrund als Fruchtbarkeitssymbol deuten, während sich die Flinte des Mannes als erotischer Hinweis entpuppt und der mächtige Baum, auf dessen knorrigen Wurzeln er steht, als Sinnbild des Stammbaumes gilt. Schließlich verweisen rechts im Bild die drei Bäume – ein kleiner Baum zwischen zwei größeren – auf die Absicht der Familiengründung.

Worauf deutet die weite Landschaft hin?

Sie ist eine Anspielung auf den großen Grundbesitz des Paares. Das junge Paar posiert vor seinem Landgut Auberies in Suffolk, das Mrs. Andrews als Mitgift in die Ehe eingebracht hatte.

Die Landschaft nimmt für ein Doppelporträt auffallend breiten Raum ein: Sie nimmt die gesamte rechte Bildhälfte ein, während sich das Ehepaar selbst mit der linken Seite zufriedengeben muss. Ungewöhnlich ist auch die exakte Lokalisierung der Landschaft. Gezeigt wird nicht irgendeine idealisierte englische Parkidylle, sondern ein topografisch genau bestimmbares Stück Land. Sogar der Baum, unter dem das Paar sich porträtieren ließ, konnte »identifiziert« werden.

Welche Bedeutung haben die Getreidegarben?

Sie zeigen, dass die Andrews' eine Art Mustergut besaßen. Deutlich zeigt Gainsborough, dass es um eine landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft geht, um fruchtbares Agrarland, das jedoch ohne die in der Genremalerei so beliebten pflügenden oder erntenden Bauern auskommt. Die Stoppelreihen des Feldes im rechten Bildvordergrund sind lang und kerzengerade gezogen – für unsere Begriffe völlig normal, doch damals ein Hinweis auf den Einsatz einer hochmodernen Maschine, die das Saatgut in gleichmäßigeren Reihen einsetzte, als es die säende Hand eines Bauern vermocht hätte.

Auf dem Gutsbetrieb von Mr. und Mrs. Andrews werden also die neuesten Errungenschaften der Landwirtschaft eingesetzt und mit Stolz präsentiert. Das Land erweist sich als üppig und fruchtbar, und so wird die Abbildung der Landschaft zum Sinnbild für Wohlstand und Fortschrittlichkeit.

Welche Hinweise gibt das Bild auf soziale Umstände der Zeit?

Sie werden durch die Schafe vermittelt, die kaum erkennbar in der Bildmitte auf einer eingezäunten Weide grasen. Mit einer wahren Flut von rund 3000 Gesetzen, den so genannten enclosure acts, wurde ab Mitte des 18. Jahrhunderts die Modernisierung und Kommerzialisierung der englischen Landwirtschaft vorangetrieben. Dazu gehörte auch die Einfriedung von Gemeindeland, das vorher traditionsgemäß auch den besitzlosen Landarbeitern als Weideland zur Verfügung gestanden hatte. Eine Folge davon war die zunehmende Verarmung dieser Schicht, die dann in die städtischen Ballungsräume zog und dort billige Arbeitskräfte für die kommende Industrialisierung stellte. Ein interessanter Hinweis darauf, dass Mr. Andrews in wirtschaftlicher Hinsicht mit der Zeit ging!

Wussten Sie, dass …

Mrs. Andrews zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit erst 16 Jahre alt war? Vielleicht wirkt sie so steif und kühl, weil ihr nicht ganz wohl bei dieser Heirat war.

Mr. Andrews, selbst reicher Erbe, als Ehemann von Mrs. Andrews mit der Verfügungsgewalt über deren nicht geringe Mitgift ausgestattet war? Die Lässigkeit, mit der er an dem Gartenbänkchen lehnt, ist also möglicherweise dem Selbstbewusstein als wohlhabender und einflussreicher Grundbesitzer geschuldet.

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