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Sunniten und Schiiten: Die zwei Hauptrichtungen des Islam

Warum gibt es im Islam Sunniten und Schiiten?

Die beiden Richtungen entwickelten sich aus dem Streit um die Nachfolge Mohammeds. Bereits nach dem Tod des Propheten Mohammed im Jahr 632 entluden sich latente Spannungen, als ihm zunächst Abu Bakr, anschließend Omar und Othman als Leiter der jungen Gemeinde (Umma) nachfolgten. Ali ibn Abi Talib war der Vetter und auch Schwiegersohn des Propheten. Er galt für viele Gläubige nicht nur durch seine enge Verwandtschaft mit Mohammed, sondern auch durch seine herausragende Stellung als rechtmäßiger Erbe des Propheten: Ali war der erste Mann gewesen, der sich zum Islam bekannt hatte, und er hatte sein Leben wiederholt für Mohammed riskiert.

Was geschah nach Alis Tod?

Nach Othmans Tod im Jahr 656 wurde Ali Kalif – »Nachfolger« Mohammeds –, doch musste er sich wiederholt gegen politische Gegner durchsetzen. Nach Alis Ermordung im Jahr 661 riss einer von ihnen, Muawija aus der Sippe Othmans, die Macht an sich und begründete die Dynastie der Omajjaden-Kalifen. Ein Teil der Muslime hatte jedoch seit jeher zur Sippe der Haschimiten, der Sippe Mohammeds, gehalten. Daher stammt der Name Schiit, denn Schiat Ali bedeutet »Partei Alis«. Ein Thronanwärter aus der Sippe Omajja, die den Propheten zu seinen Lebzeiten angefeindet hatte, kam für sie nicht in Frage und Othman und Muawija waren Omajjaden. Muawija zwang Alis Sohn Hassan zum Verzicht auf den Thron.

Was führte zur Abspaltung der Schiiten?

Das Massaker von Kerbela bildet den eigentlichen Ausgangspunkt der Loslösung der Schia von der sunnitischen Hauptrichtung. Nach Muawijas Tod 680 wurde der in Medina lebende jüngere Sohn Alis, Hussain, von Boten aus dem irakischen Kufa bestürmt, Muawijas Sohn Yazid zu entmachten. Doch als Hussain im Irak eintraf, war der Aufstand niedergeschlagen, und er selbst wurde mitsamt seiner Familie bei Kerbela tagelang belagert. Am 10. Muharram wurde das Lager gestürmt und außer Hussains Sohn Ali und den Frauen der Familie wurden alle niedergemetzelt.

Anhänger Hussains, die Kerbela nicht rechtzeitig erreicht hatten, distanzierten sich nun zunehmend auch religiös. Über Jahrhunderte sollten in den meisten sunnitischen Ländern die Schiiten eine kleine, unterdrückte Minderheit bilden. Nur im Iran ab dem 16. Jahrhundert, im Fatimidenreich des Mittelalters und in einigen Randgebieten gelang es ihnen, eine eigene Herrschaft zu etablieren.

Wie entstanden Ismailiten und Zwölferschiiten?

Zur nächsten großen Krise, diesmal innerhalb der Schia, kam es nach dem Tod des sechsten Imams Dschafar as-Sadiq im Jahr 765. Man konnte sich nicht über den Nachfolger im Imamat einigen (Imam ist im schiitischen Sprachgebrauch der Titel des rechtmäßigen Oberhauptes aller Muslime). Daschafars erster Sohn Ismail war etwa zehn Jahre vor seinem Vater gestorben und so glaubte ein Teil der Gemeinde, dass Ismail tatsächlich als Imam im Verborgenen regiere. Am Ende der Zeiten werde er wiederkehren und die Gläubigen zum Sieg führen. Die Anhänger dieser Richtung nennt man Ismailiten; sie zerfielen mit der Zeit wiederum in zahlreiche Splittergruppen, deren heute bekannteste die Anhänger des Agha Khan sind.

Der größte Teil der Gemeinde schloss sich jedoch Ismails jüngerem Bruder Musa al-Kazim an. Dieser Glaubensrichtung gehören heute die Schiiten im Iran, Irak und Libanon sowie die afghanischen Hazara an. Da die Kette ihrer Imame nach dem elften abreißt und sie traditionell an einen weiteren verborgenen Imam glauben, heißen sie »Zwölferschiiten«.

Welche Grundlagen hat das islamische Recht?

Das islamische Recht bedient sich neben dem Koran zahlreicher Sammlungen von Aussprüchen des Propheten; für die Schiiten sind daneben auch die Aussprüche der Imame verbindlich. Nach der Überzeugung der Ismailiten hat der Koran eine tiefere, esoterische Bedeutung, die nicht allgemein zugänglich ist. Sie setzten sich im Lauf ihrer Geschichte stark mit dem philosophischen Erbe der Antike und Persiens auseinander, später zum Teil auch mit dem Hinduismus. Der nur bei den Zwölferschiiten existierende Klerus gehört größtenteils einer Richtung an, die bei der Entscheidungsfindung im Gegensatz zur sunnitischen Überzeugung den Analogieschluss auf Vernunftbasis der Mehrheitsentscheidung eines religiösen Gremiums vorzieht.

Wie wird des Massakers von Kerbela gedacht?

An den ersten zehn Tagen des Monats Muharram wird in Passionsspielen und durch die Rezitation der Märtyrergeschichten daran erinnert. Zahlreiche Riten beziehen sich auf die Geschehnisse in Kerbela. So bittet man etwa die Zuschauer um Wasser, da die Familie Hussains tagelang vom Wasser des Euphrat abgeschnitten war und entsetzlichen Durst litt. Nach muslimischer Sitte war das ein Bruch des Kriegsrechtes.

Wussten Sie, dass …

die Sunniten die weitaus größte muslimische Glaubensgruppe bilden? Nur etwa zehn Prozent der Muslime sind hingegen Schiiten. Die zahlreichen schiitischen Splittergruppen vertreten dabei die unterschiedlichsten Glaubensinhalte.

manche Riten zur Erinnerung an die Schlacht von Kerbela von der schiitischen Geistlichkeit ausdrücklich missbilligt werden? Das trifft etwa auf Selbstgeißelungen mit Ketten und Schwertern oder andere gesundheitsschädliche oder gar selbstmörderische Praktiken zu.

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