Lexikon
Britisches Reich
Kolonialismus: Aufteilung der Erde 1914
Kolonialismus: Aufteilung der Erde
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Geschichte
Ursprünge und 1. Empire
Nach dem Verlust des kontinentaleuropäischen Besitzes im 100-jährigen Krieg gegen Frankreich (1339–1453) und nach der Beendigung des Bürgerkriegs zwischen der Roten und der Weißen Rose (1455–1485) gab die Entdeckung Amerikas 1492 den Anstoß zur Hinwendung Englands zum See- und Kolonialhandel, die in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts endgültig vollzogen wurde. Dabei geriet England in Konflikt mit den Interessen der Weltkolonialmacht Spanien. Es entwickelte sich ein unerklärter Dauerkrieg auf den offenen Meeren, der Handels-, Religions- und Piratenkrieg zugleich war, schließlich auf Europa übergriff und in der Vernichtung der spanischen Armada (1588) gipfelte.
Die einzelnen Abenteurer, Kaufleute und Entdecker der elisabethanischen Zeit legten im Zusammenspiel mit der staatlichen Politik die Grundlagen für die Entstehung des britischen Weltreiches. Seit 1562 organisierte John Hawkins (* 1532, † 1595) den Sklavenhandel zwischen Afrika und Westindien; 1577–1580 umsegelte Sir Francis Drake die Welt; 1583–1585 siedelten Sir Walter Raleigh und Sir Humphrey Gilbert (* 1537, † 1583) in Neufundland und Virginia. Die ersten Handelsgesellschaften der Merchant Adventurers („wagemutige Kaufleute“) wurden 1552 privilegiert (Chartered Companies): die Russische Handelskompanie (seit 1555) als Nachfolgerin der Hanse (1598 Schließung des Londoner Stalhofs), die Levante-Kompanie (seit 1583) gegen die Venezianer, die Ostindische Kompanie (seit 1600) gegen die Holländer, die London- und die Plymouth-Gesellschaft zur Besiedlung des 1606 für englisch erklärten nordamerikanischen Gebiets zwischen dem 34. und 45. Breitengrad. Die ersten Siedlungsbemühungen scheiterten allerdings. In Nordamerika stellte sich Erfolge erst mit der Einwanderung der Puritaner (1620 Pilgerväter der „Mayflower“) ein. 1612 wurden die Bermudas, 1623 Saint Kitts, 1627 Barbados, 1655 Jamaika besetzt. Die 1618 errichtete Afrikanische Gesellschaft (1672 neu gegründet) erhöhte die Zahl der Handelsstationen an der westafrikanischen Küste, um die britische Position im Sklavenhandel zu sichern.
In Indien wurden seit 1611 Faktoreien angelegt. Im 17. Jahrhundert wurde Holland, das zum Träger des europäischen Kolonialhandels aufgerückt war, der Hauptgegner Englands. Die von O. Cromwell 1651 erlassene „Navigationsakte“ (Wareneinfuhr nur auf englischen Schiffen oder denen des Ursprungslands) und die folgenden Seekriege mit England trafen den holländischen Zwischenhandel jedoch vernichtend. 1664 wurde durch Erwerbung Neu-Amsterdams (New York) die Verbindung zwischen Virginia und den Neuengland-Staaten hergestellt. 1704 kamen Gibraltar, der Schlüssel zur Mittelmeerherrschaft, 1714 Neufundland und Neuschottland von Frankreich zum Britischen Reich.
Während des europäischen Siebenjährigen Kriegs (1756–1763) gewann das Britische Reich Indien und fast das ganze kolonisierte Nordamerika hinzu.
Staatsrechtlich und administrativ war das Britische Reich bis zum Ende des 18. Jh. eine lose Verknüpfung von formellen Kolonien (Nordamerika, Karibik), militärischen Stützpunkten (Gibraltar) und Handelsposten mit angrenzenden Einflusszonen, die einen halboffiziellen Status hatten. Die Kolonien standen unter der Kontrolle der Krone, nicht des Parlaments. Erst nach 1760 wurde die Doktrin der Parlamentssouveränität auch auf die Kolonien ausgedehnt. Der Streit um das Recht des englischen Parlaments, die nordamerikanischen Kolonien zu besteuern („no taxation without representation“), spielte bei der Entstehung der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung eine große Rolle. In den Kolonien war die Krone durch einen Gouverneur mit Beamtenstab vertreten, der sich nach ausführlichen Instruktionen des Board of Trade (Handels- und Kolonialamt) in London zu richten hatte. Ihm standen Vertretungen der Kolonisten gegenüber, deren legislativer Spielraum begrenzt und an ein Prüfungsrecht des Privy Council in London gebunden war.
Das Ende des sog. 1. Empire kam, als das in den nordamerikanischen Kolonien erstarkte Selbstbewusstsein sich gegen die straffere Kolonialpolitik nach 1763 und gegen die merkantilistische Bevormundung richtete. Die von den 13 Kolonien 1776 erklärte Unabhängigkeit musste von der englischen Regierung 1783 anerkannt werden. Die Bedeutung des 1. Empire war vor allem wirtschaftlicher Art. Im Rahmen einer merkantilistischen Wirtschaftspolitik sollten die Kolonien als Rohstofflieferanten und Abnehmer britischer Waren fungieren, weshalb ihnen selbständige Handelsbeziehungen untersagt waren.
Das 2. Empire
Das Ende der napoleonischen Kriege sah England als erste Kolonialmacht Europas. Es beanspruchte ein Schutzrecht über die holländischen Kolonien, das gegenüber den Kolonisten z. T. gewaltsam durchgesetzt werden musste (1796 Ceylon, 1806 Kapstadt), und erweiterte seine Stützpunkte in der Karibik und im Mittelmeer (1797 Trinidad, 1800 Malta).
Auf dem Wiener Kongress sicherte sich England 1815 gegen Ablösungszahlungen einen Teil der holländischen Kolonien u. erhielt von Frankreich die Seychellen u. Mauritius. In Fortsetzung dieser Politik verschaffte sich England 1819 Singapur, 1833 die Falklandinseln, 1839 Aden u. 1842 Hongkong, das China nach dem verlorenen Opiumkrieg abtreten musste. Zusammen mit der Kapkolonie sicherten diese Erwerbungen den Seeweg nach Indien und zu den asiatischen Märkten. Gleichzeitig begann die Besiedlung Australiens, das zwar zunächst nur als Sträflingskolonie diente, aber angesichts der sozialen Probleme in England durch die Landvergabepolitik der englischen Regierung bald – wie auch Neuseeland – zur Siedlungskolonie wurde.
Diese Aufbauphase fand ihr Ende, als England 1846 zum Freihandel überging und seinem formellen ein informelles Empire hinzufügte, das zwar weder völkerrechtlich noch administrativ mit England zusammenhing, aber im Zeichen des aus der wirtschaftlichen Vormachtstellung Englands erwachsenden politischen Einflusses stand. Die Siedlungskolonien profitierten von der Neuorientierung der englischen Kolonialpolitik insofern, als nun die Ansätze zu einer Verdichtung der englischen Kolonialherrschaft nicht weiterverfolgt wurden und London auch unter dem Eindruck der englischen Kolonialreformbewegung bereit war, den Siedlern größere Selbständigkeit zu gewähren. Der 1839 von kanadischen Protesten getragene Durham-Report führte zur Canada Union Act von 1840, die Ober- und Niederkanada vereinigte und den Siedlern ein größeres Maß an Eigenverantwortung zugestand.
In den folgenden Jahren erhielten auch die anderen Siedlungskolonien Selbstregierungsrechte (1852 Neuseeland, 1855 bis 1859 die australische Kolonien, 1872 die Kapkolonie, 1890 West-Australien, 1893 das 1843 der Kapkolonie einverleibte Natal), deren Rahmen durch die Colonial Law Validity Act von 1865 abgesteckt wurde. Nur in Indien betrieb England weiter Kolonialpolitik im alten Stil. Zwar setzte mit dem India Act von 1833, die das kommerzielle Monopol der Ostindienkompanie abschaffte, eine neue Politik ein, die indes nicht zur Selbständigkeit führte. Das nach dem Sepoy-Aufstand erlassene Indien-Gesetz wies die Regierung Indiens einem Generalgouverneur u. einem „Staatssekretär für Britisch-Indien“ in London zu.
In den 1870er Jahren kam es unter Benjamin Disraeli zu einer neuerlichen Kehrtwendung der britischen Politik, die von der Veränderung der europäischen Machtverhältnisse nach der deutschen Reichsgründung und der neuen Wirtschaftslage ebenso bestimmt war wie von einer regen imperialistischen Publizistik. Disraeli setzte auf ein Bündnis mit dem Islam und ging an den Bau einer Landbrücke nach England über Nordafrika und den Nahen Osten (1875 Ankauf der Suez-Kanal-Aktien, 1878 Zypern). 1876 wurde Königin Viktoria als Kaiserin von Indien ausgerufen.
Disraelis Nachfolger W. E. Gladstone versuchte zwar eine Revision der imperialistischen Politik und gab 1885 auf der Kongo-Konferenz gegenüber deutschen und französischen Ansprüchen nach, konnte aber 1882 doch nicht umhin, Ägypten zu besetzen. Unter R. A. Salisbury kehrte England zur imperialen Politik zurück und beteiligte sich an der Aufteilung Afrikas (1884 Njassaland, 1885 Betschuanaland, 1889 Rhodesien, 1893 Kenia, 1894 Uganda, 1898 engl.-ägypt. Kondominium über den Sudan, 1900 Nigeria). Dahinter stand die von Männern wie C. Rhodes vertretene Vorstellung, der Kairo-Singapur-Achse müsse eine Kap-Kairo-Achse hinzugefügt werden. Der Höhe- u. Wendepunkt dieser Politik, die von der englischen Publizistik nachdrücklich unterstützt wurde, waren die Reichspläne des Kolonialministers J. Chamberlain, der das Empire zu einem durch Zollmauern vereinheitlichten Wirtschaftsraum machen wollte, und der Burenkrieg (1899–1902), der England zwar den Oranje-Freistaat und Transvaal brachte, aber die imperialistische Politik diskreditierte.
In den Kolonien sah sich England wachsenden Selbständigkeitstendenzen gegenüber, die sich in einer Föderationsbewegung der räumlich beieinander liegenden Kolonien nach dem Vorbild der Föderation der kanadischen Kolonien zum Dominion of Canada (bereits 1867) ausdrückte (1910 Federal Commonwealth of Australia, 1910 Südafrikanische Union). Diese und andere Kolonien erhielten nach der Kolonialkonferenz von 1907 die Bez. „Dominions“, die Eduard VII. bei seiner Thronbesteigung schon in seinen Titel aufgenommen hatte.
Vom Empire zum Commonwealth
Der 1. Weltkrieg brachte zwar durch die deutschen Kolonien und das türkische Erbe in Vorderasien neuen Zuwachs in Form von Völkerbundsmandaten, aber die Selbständigkeitsbestrebungen innerhalb des Britischen Reichs erhielten einen starken Anstoß. 1926 wurde schließlich das „British Commonwealth of Nations“ geschaffen. 1931 erhielt die neue Struktur des Britischen Reiches durch das Statut von Westminster Rechtskraft. Aus den Generalgouverneuren wurden Repräsentanten der Krone, während die Beziehungen zwischen den Regierungen durch Hochkommissare im Sinne von Botschaftern wahrgenommen wurden. Im Krönungseid Georgs VI. wurden alle Dominions einzeln aufgeführt. In Bezug auf die noch verbliebenen Kolonien verband sich diese Politik mit einer ersten Phase der Dekolonialisierung, die im Falle des britische Kolonialreichs in das Commonwealth hinein erfolgen konnte.
Der 2. Weltkrieg brachte keine Festigung des britischen Commonwealth, obwohl die Dominions die englischen Kriegsanstrengungen nach Kräften unterstützten. Die Labour-Regierung (seit 1945) trug der Tatsache Rechnung, dass England in der Mächtekonstellation der Nachkriegszeit an politischer Bedeutung eingebüßt hatte, und setzte die vor dem Krieg begonnene Dekolonialisierung mit der Entlassung Indiens in die Unabhängigkeit (1948) entschieden fort. 1950 und 1956 wurden Indien und Pakistan Republiken. In England wurde aus dem Dominion Office das Commonwealth Relations Office, das 1968 mit dem Außenministerium verschmolzen wurde. Die Bezeichnung „britisch“ verschwand ebenfalls. Seit 1948 waren alle im Commonwealth lebenden Menschen nicht mehr „British Subjects“, sondern „Commonwealth Subjects“.
Die Entkolonialisierungswelle der 1950er und 1960er Jahre veränderte das innere Gefüge des Commonwealth insofern, als das bis dahin im Rahmen des Commonwealth bestehende britische Kolonialreich bis auf wenige Kronkolonien zusammenschmolz und die in die Unabhängigkeit entlassenen Kolonien den Status von Dominions erlangten. Die Folgen der Entkolonialisierung für die ehemaligen Kolonialherren ebenso wie für die ehemaligen Kolonien wurden damit allerdings kaum abgefangen, obwohl sich England gegen die Interessen seiner Siedlungskolonien Südafrika und Rhodesien unmissverständlich zum Grundsatz der Gleichberechtigung der verschiedenen ethnischen Gruppen bekannte und 1961 den Austritt Südafrikas sowie 1965 und 1970 die einseitige Unabhängigkeitserklärung Rhodesiens hinnehmen musste. Die Möglichkeit des Austritts aus dem Commonwealth, von der die Republik Irland und Birma zum ersten Mal Gebrauch machten (1947), zeigte, wie sehr sich das Commonwealth von einer völkerrechtlichen Einheit zum losen Zweckverband umgebildet hatte.
Heute ist das Commonwealth mehr ein historisches Relikt als eine einflussreiche politische und wirtschaftliche Größe.
Britischen Besitzungen. Großbritannien und Nordirland (Geschichte).
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