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Zolas Rougon-Macquart: Panorama einer Epoche
Welchem Vorbild folgte Émile Zola?
Mit seinem Romanzyklus knüpfte Émile Zola (1840–1902) bewusst an Balzacs gigantische »Menschliche Komödie« aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an. Zehn Bände sollte der Zyklus »Die Rougon-Macquart. Natur- und Sozialgeschichte einer Familie unter dem Zweiten Kaiserreich« zunächst umfassen, 20 wurden es von 1871 bis 1893. Mit diesem ehrgeizigen Projekt schaffte es Zola, zum bedeutendsten französischen Schriftsteller seiner Generation und zur zentralen Figur des europäischen Naturalismus zu avancieren. Anhand der exemplarischen Familiengeschichte wollte Émile Zola die »Ereignisse und Gefühle einer ganzen sozialen Epoche schildern« und nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen die Abhängigkeit des Menschen von Veranlagung und Milieu aufweisen.
Hatte der Autor ein eigenes Programm?
Ja, Zola ließ sich von aktuellen wissenschaftlichen Perspektiven und Methoden leiten. Sein Weltbild war geprägt von der positivistischen Philosophie Hippolyte Taines, Charles Darwins Evolutionslehre sowie medizinischen Forschungen zu Sexualität und Vererbung. Im Spiegel dieser Theorien trachtete Zola die Beziehungen von menschlicher Physiologie, Milieu und dem »Fieberhauch der Epoche« zu beleuchten und machte sich mit größter Akribie ans Werk.
Wie ging der Schriftsteller bei seiner Arbeit vor?
Er pflegte wie ein Reporter gründlich zu recherchieren. Zu seinen Vorarbeiten gehörten beispielsweise intensive Studien von Schauplätzen und Milieu (mit Notizblock und Kamera) sowie die Ermittlung vergleichsweise marginaler Fakten wie der Gehälter einzelner Berufsgruppen oder der Preise von Waren und Dienstleistungen. Sogar bei geselligen Zusammenkünften mit seinem Malerfreund Édouard Manet (1832–1883) in den Boheme-Zirkeln von Paris notierte er unermüdlich Beobachtungen, die er später in seinen Romanen verwendete. Umfang und Struktur des Zyklus erfuhren zwar während der Ausarbeitung diverse Änderungen, am Konzept der ineinander verwobenen Chronologie von Familien-, Zeit- und Sozialgeschichte hielt Zola jedoch fest, vom ersten (»Das Glück der Familie Rougon«) bis zum 20. Band (»Doktor Pascal«).
Welcher Stoff wird in dem Zyklus verarbeitet?
Der Zyklus bietet ein breites Gesellschaftspanorama der Zeit des französischen Zweiten Kaiserreichs. Das Geschehen setzt mit der Thronbesteigung Kaiser Napoleons III. im Jahr 1851 ein und endet in den Wirren der Pariser Kommune 1871. Die Familie Rougon, später verschwägert mit den Macquart und Mouret, repräsentiert das zeitgenössische französische Bürgertum in verschiedensten Facetten, vor allem aber die Spezies macht- und vergnügungssüchtiger Emporkömmlinge. Neben Ministern, Grundstücks- und Börsenmaklern und reichen Kaufleuten treten Geistliche, Beamte, Arbeiter und Huren auf – weniger individuelle Persönlichkeiten als exemplarische Gestalten der drei Gesellschaftsschichten, in die sich das Familienschicksal der Rougon verzweigt: herrschende Klasse, Kleinbürgertum und Proletariat.
Gibt es in dem Zyklus herausragende Romane?
Ja, einige der 20 Romane konnten besondere Aufmerksamkeit erregen. So eröffneten die detailgenaue Schilderung des Milieus der Bergleute in »Germinal« (1885) und der Halbwelt in »Nana« (1880) der Literatur neue Sujets und Erzähltechniken, die für Prosa und Drama des Naturalismus richtungweisend wurden. Diese Bücher waren zudem richtiggehende Publikumserfolge, was auch für »Der Bauch von Paris« (1873) und »Der Zusammenbruch« (1892) gilt. Thematisch interessant ist insbesondere der Roman »Das Paradies der Damen« (1883): Hier steht erstmals in der Literatur ein modernes Warenkaufhaus im Mittelpunkt. In »Die Bestie im Menschen« (1890) lernt der Leser anhand des Schicksals eines Lokomotivführers die Welt der Eisenbahn kennen. Dieser Roman wurde sowohl von Jean Renoir (»La Bête Humaine« mit Jean Gabin, 1938) als auch von Fritz Lang (»Human Desire« mit Glenn Ford, 1954) verfilmt.
Was ist neu beim Naturalisten?
Bei Émile Zola tritt erstmals das soziale Phänomen der Masse literarisch in Erscheinung. Auch das Bordell, früher eher pittoresk-schlüpfriges Reizmotiv, geriet nun, wie das Arbeitermilieu, mit seinem ganzen Umfeld ins Visier der Schriftsteller.
Die Niederungen des Großstadtlebens am Beispiel Berlins schilderten etwa Karl Bleibtreu (»Schlechte Gesellschaft«, 1885), Heinrich Zille (»Hurengespräche«, mit genialem Zeichenstift ergänzt) und später Alfred Döblin in »Berlin Alexanderplatz« (1929).
Wirkte Zola nur durch seine literarischen Werke?
Nein, Zola war auch als Journalist tätig. Als solcher tat er sich insbesondere 1897 in der Dreyfus-Affäre als publizistischer Anwalt der Gerechtigkeit hervor. Er setzte sich in dem berühmt gewordenen öffentlichen Brief »Ich klage an!« erfolgreich für die Rehabilitierung des verleumdeten jüdischen Offiziers Alfred Dreyfus ein. Der 1840 geborene Emile Zola arbeitete zunächst unter anderem als Verlagsangestellter (in der Werbeabteilung), ehe er sich durch erste literarische Erfolge (»Thérèse Raquin«, 1867) zu dem großen Projekt des Zyklus der »Rougon-Macquart« ermutigt fühlte. Der Erfolg reichte über Frankreich hinaus. Der Systematiker Zola legte zudem seine Ansichten über zeitgemäße, naturalistische Prosa auch in einem Essay nieder (»Der Experimentalroman«, 1880) und schuf außer seinem Hauptwerk unter anderem die Romantrilogie »Die drei Städte« (1894–1898). Im Jahr 1902 starb Émile Zola in Paris.
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