Im Jahr 1896 warnt ein amerikanischer Prediger seine Gemeinde mit folgenden Worten: “Diese Fahrräder sind diabolische Werkzeuge des Dämons der Finsternis. Teuflische Erfindungen sinds, den Fuß des Unbedachten zu fangen und die Nase des Einfältigen zu häuten.“
Scheinbar schlugen die Belehrungen des wortgewaltigen Gottesmannes fehl. Knapp 200 Jahre, nachdem Karl Freiherr von Drais mit seinem neuentwickelten Laufrad beim Patentamt vorfuhr, ist das Rad in seinem Siegeszug um die Welt nicht mehr zu stoppen. An Pekinger Straßenkreuzungen werden bis zu 20000(!) Fahrräder pro Stunde gezählt. Stachus auf Fernost.
Aber auch hierzulande sind die Zeiten der Vollmotorisierung vorbei. Ölkrise, Atemnot und Stauverdrossenheit haben den Tritt in die Pedale wieder zur Selbstverständlichkeit, für viele sogar zur Kulthandlung gemacht. Team Telekom und speziell Jan Ullrich haben hierzulande eine, ansonsten nur in südlichen Ländern bekannte Begeisterung für den Sport auf zwei Rädern ausgelöst. Davon profitiert vor allem die Sportartikelindustrie, die bei der Weiterentwicklung der Hi-Tech-Flitzer Gefährte für die erste bemannte Marsmission herzustellen scheint. Fürwahr, es ändern sich die Zeiten! Die Draisine, die noch gut 50 Pfund wog und 35 Mark kostete, könnte es kaum mit einem modernen Rennrad aufnehmen, das es zwar kaum noch auf fünf Kilogramm bringt, aber dafür so teuer ist wie ein Kleinwagen.
Dabei ist das Rennradfahren nur eine der vielen Spielarten des energiesparendsten Fortbewegungsmittels. Beim spektakulären Downhill-Fahren bekommt so manch harmloser Wanderer den Adrenalinschock gratis dazu, wenn die Bikes - und meistens auch ihre Fahrer - mit 120 Sachen den bis zu 30 Prozent steilen Berg hinunterschießen. Beim Radball, der Fußballvariante mit dem Rad ist Gleichgewicht angesagt und beim Kunstradfahren wird das Rad zum gleichwertigen Akrobatikpartner.
Der Angestellten, der täglich im Durchschnitt zwischen fünf und neun Kilometer zur Arbeit fährt, genau wie der Profi, der jährlich bis zu sechs Millionen Pedalumdrehungen bewältigen muss, alle scheint folgendes zu einen: Die Lust, sich schneller fortzubewegen als auf den eigenen zwei Beinen und damit der Natur, die uns so “unvollendet“ konstruierte, ein Schnippchen zu schlagen.