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Interview: Wie teuer wird die Energiewende?
Deutschland möchte bis 2045 klimaneutral sein. Um das zu erreichen, muss der Staat von nicht-nachhaltigen fossilen Energieträgern wie Kohle und Öl auf erneuerbare Energien, beispielsweise in Form von Sonnen- und Windenergie, umsteigen. Wie die Klimaneutralität möglichst kosteneffizient erreicht werden kann, ermittelt der sogenannte „Ariadne-Report“. Er wird von Forschenden und Wissenschaftseinrichtungen herausgegeben und vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt gefördert.
Der jüngste Ariadne-Report zeigt: Die Mehrkosten für die Energiewende belaufen sich je nach Zukunftsszenario auf 16 bis 26 Milliarden Euro pro Jahr. Das wären 0,4 bis 0,7 Prozent der aktuellen Wirtschaftsleistung. Welche Kosten sonst noch auf uns zukommen und welche Rolle Wasserstoff bei der Energiewende spielt, beantwortet Tom Brown von der Technischen Universität Berlin im Interview. Er leitet dort das Fachgebiet „Digitaler Wandel in Energiesystemen“ und ist außerdem einer von drei Herausgebern des „Ariadne-Reports 2025“.
Bei solchen geringen Mehrkosten – was gibt es denn da noch zu diskutieren?
Tom Brown: Es ist zunächst tatsächlich erfreulich, dass sich die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Energiewende bei der Umsetzung von kosteneffizienten Klimaschutzmaßnahmen in Grenzen halten. Hierbei muss man allerdings sehen, dass dies die Nettokosten sind. Unsere Berechnungen haben ergeben, dass die Transformation jährliche Investitionskosten zwischen 116 und 131 Milliarden Euro bis zur Klimaneutralität im Jahr 2045 erfordert.
Durch die zunehmende Elektrifizierung in allen Bereichen sinken aber die Ausgaben für fossile Brennstoffe, weil man nicht mehr so große Mengen Öl und Gas einkaufen muss, die deutlich teurer sind als elektrifizierte Lösungen. In den meisten Bereichen wie Strom, Straßenverkehr und Gebäudewärme werden Konsumierende Geld sparen im Vergleich zu heute. Nur, wo die Elektrifizierung nicht möglich ist, etwa beim Fliegen oder beim Ersatz von Erdöl als Ausgangsstoff für chemische Produkte, müssen wir etwas mehr ausgeben.
Wer muss diese Investitionen denn aufbringen in Ihren Zukunftsszenarien?
Tom Brown: Wichtig zu wissen ist erst einmal, dass der Großteil der notwendigen Investitionskosten, nämlich 95 Milliarden Euro jährlich, sowieso durch bereits heute existierende Politikmaßnahmen anfallen wird. Der Hauptanteil der Investitionen in unseren Zukunftsszenarien kommt aus privaten Mitteln. Einen großen Anteil macht hier die Wärmewende im Gebäudesektor aus; die Energiewirtschaft hat ebenfalls einen großen Anteil am Investitionsbedarf.
Und der Staat?
Tom Brown: Der wird vor allem bei der Infrastruktur, bei der Markteinführung neuer CO2-neutraler Technologien und bei der Minderung von Mehrbelastungen für die privaten Haushalte eine Rolle spielen. Da hier auch steigende Einnahmen durch die Stromsteuer und die Einnahmen durch die CO2-Bepreisung im Rahmen des Emissionshandels einkalkuliert werden müssen, ergibt sich über die Jahre ein uneinheitliches Bild, das in manchen Szenarien und Jahren sogar staatliche Mehreinnahmen beinhaltet. Wir gehen aber im Mittel von Belastungen des Staates durch energiewendebezogene Fördermaßnahmen von etwa 40 Milliarden Euro pro Jahr zwischen 2025 und 2045 aus.
Spielt auch die Vermeidung von Klimaschäden durch Reduzierung von Treibhausgasemissionen in Ihren Rechnungen eine Rolle?
Tom Brown: Tatsächlich haben wir die Vermeidung von Klimaschäden in unseren Rechnungen noch gar nicht berücksichtigt. Das ist aber natürlich ein ganz wichtiger Punkt. Schaut man sich hier entsprechende Prognosen an, zeigt sich, dass die Klimaschäden in Deutschland durch ambitionierten Klimaschutz mehr als halbiert werden können und der wirtschaftliche Nutzen dann gegenüber den Kosten deutlich überwiegt. Und das gilt wohlgemerkt nur für die positiven Effekte, die durch die reduzierten Treibhausgasemissionen in Deutschland entstehen!
Hinzu kommt: Wenn wir viel mehr Energie in Deutschland selbst erzeugen, reduzieren wir unsere Abhängigkeit von teuren fossilen Importen und stärken dadurch unsere Energiesicherheit.
Sie beschäftigen sich an der TU Berlin vor allem mit den verschiedenen Energienetzen. Welche Forderungen haben Sie hier an die Politik?
Tom Brown: Wir müssen beim Ausbau der Windkraft schneller werden, und wir dürfen auf keinen Fall von den endlich entbürokratisierten Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien abrücken. Mit der Elektrifizierung des Straßenverkehrs, der Wärmeversorgung und der Industrie müssen wir ebenfalls vorankommen. Das heißt etwa, dass beim Thema Wärmepumpe ideologisch abgerüstet werden sollte.
Elektroautos werden in Zukunft durch effizienteren Materialeinsatz, Massenproduktion und auch den Markteinfluss aus China wesentlich billiger – das ist für die Verbraucher eine Möglichkeit, richtig Geld zu sparen, denn die Ausgaben für Strom bei E-Autos sind viel günstiger als die für Benzin. Und wir müssen das Laden flexibilisieren, durch Smartmeter, entsprechende Ladeinfrastruktur und passende Regularien. Damit sind wir dann auch bei den Stromnetzen angelangt.
Weil die durch flexible Speicherung von Strom durch E-Autos bei Stromspitzen entlastet werden?
Tom Brown: Genau. Der Netzausbau ist extrem teuer, und wir müssen alles tun, um die Nutzung unseres Strom- und auch des Wasserstoffnetzes so effizient wie möglich zu machen. Dazu gehört auch die Einführung regionaler Strompreise, wie es uns die USA, Norwegen und auch Italien vormachen.
Lassen Sie mich raten: Dann wird der Strom im Norden wegen der vielen Windkraft billiger, im Süden teurer. Das wird Markus Söder wohl nicht durchgehen lassen…
Tom Brown: Die Unterschiede wären nicht groß, um einen Cent pro Kilowattstunde. Aber wir könnten so das Netz besser steuern, und damit bräuchten wir nicht mehr so viele Stromleitungen, um Überkapazitäten zu verteilen. Letztlich würden dann alle Haushalte in Deutschland Geld sparen.
Der Verbrauch und die Speicherung von Strom müssen so effizient wie möglich erfolgen, und das geht am besten mit lokalen Preissignalen für die Verbraucher und Smartmetern, die automatisch je nach Strompreis Maschinen laufen lassen oder eben Strom in E-Autos speichern. Diese regionalen Preise würden sich stündlich ändern und die nötige Flexibilität in das Gesamtsystem bringen, um das Netz zu entlasten.
Welche Rolle sollte Wasserstoff als Energieträger spielen?
Tom Brown: Wasserstoff und andere „grüne Moleküle“ wie grünes Methanol, Kerosin und Ammoniak als Energieträger spielen nur dort eine Rolle, wo die Elektrifizierung nicht möglich ist. Also etwa beim Flug- und Schiffsverkehr, oder beim Ersatz von Erdöl zur Herstellung chemischer Grundstoffe. Die grünen Moleküle werden wahrscheinlich dauerhaft teuer bleiben, erlauben uns aber, etwa Düngemittelproduktion, Stahlerzeugung oder Plastikherstellung zu dekarbonisieren.
Wichtig ist, dass wir die Elektrolyseure, die aus grünem Strom Wasserstoff herstellen, geschickt platzieren. Dann muss ein Teil des durch Windkraft erzeugten Stroms nicht über die Hochspannungsleitungen verteilt, sondern kann über das Wasserstoffnetz transportiert werden. Wasserstoffkraftwerke können zudem eine kleine Rolle als Backup spielen, wenn Strom aus den Erneuerbaren gerade nicht verfügbar ist.
Gefordert ist also eine integrierte Planung von Strom- und Wasserstoffnetzen?
Tom Brown: Ja, das ist einer der drei Pfeiler für effiziente Energienetze. Neben den schon erwähnten regionalen Strompreisen ist der dritte Punkt der verstärkte Bau von Freileitungen – statt im Boden verlaufender, sogenannter HGÜ-Leitungen. Mit allen drei Maßnahmen lassen sich bis 2045 etwa 92 Milliarden Euro sparen – das ist ungefähr ein Drittel der gesamten Kosten für den Netzausbau!
Laut Medienberichten liegen hier ja sowohl Markus Söder wie auch Katherina Reiche auf Ihrer Linie. Was halten Sie aber von dem eingangs erwähnten „Realitätscheck“ im Auftrag der neuen Bundesregierung?
Tom Brown: Als Wissenschaftler bin ich der letzte, der sich eingehenden Prüfungen verweigern würde. Wir Forscher verbringen einen Großteil unserer Zeit damit, uns zu fragen, was wir falsch gemacht haben könnten. Wir sollten uns nur durch das Prüfen nicht vom Tun abbringen lassen.