wissen.de Artikel
Luftfahrt-Pioniere: Die erste Ballon-Fahrt über den Ärmelkanal
In den 1780er Jahren herrschte große Aufbruchstimmung unter den Luftfahrtpionieren: 1783 hatten die Brüder Montgolfier ihren Heißluftballon vorgestellt, mit dem zum ersten Mal Menschen vom Boden abgehoben waren – der Traum vom Fliegen war wahr geworden. Der Franzose Jean-Pierre Blanchard gehörte auch zu den Ballon-Begeisterten und hatte schon drei Fahrten hinter sich, bevor er über den Ärmelkanal aufbrach. Der US-Amerikaner John Jeffries hatte ihn bereits zuvor einmal begleitet.
Vorläufer der Luftschiffe
Die beiden Pioniere verwendeten jedoch keinen Heißluftballon nach Montgolfier-Art. Solche Ballons konnten nicht genug Brennstoff mitführen, um die Luft im Ballon für längere Strecken ausreichend heiß zu halten. Stattdessen setzte Blanchard für seine Ballons auf Wasserstoff.
Schon früh hatten die Ballonfahrer erkannt, dass der Wind allein als Antrieb für einen Ballon zu unzuverlässig ist. Besonders für lange Strecken musste eine Möglichkeit her, den Ballon auch zu steuern. Auch die Ballonfahrt über den Ärmelkanal konnte nur gelingen, wenn der Ballon nicht zufällig mit dem Wind trieb. Blanchard experimentierte daher mit verschiedenen Antriebsmöglichkeiten, die schlagenden Flügeln oder Windrädern nachempfunden waren. Diese ersten Ballons mit Steuerung waren die Vorläufer der späteren Luftschiffe.
Kleidung als Ballast abgeworfen
Für die erste Ballonfahrt über den Ärmelkanal wirkte Jeffries als Geldgeber. Blanchard war jedoch offenbar ein egoistischer und geradezu hinterhältiger Zeitgenosse und wollte den Ruhm der Tat nur äußerst ungern teilen. Er setzte alles daran, Jeffries an der Mitfahrt zu hindern: Er ließ sich versteckte Gewichte in seine Weste einnähen. Vor dem Abheben verkündete er dann, der Ballon sei zu schwer und könne nur den Piloten tragen. Jeffries durchschaute den Trick jedoch und setzte sich als Mitfahrer durch – einen Platz, für den er immerhin 700 Pfund bezahlt hatte.
Am 7. Januar 1785 starteten Blanchard und Jeffries am Dover Castle in England. Um für breite Aufmerksamkeit zu sorgen, wollte Blanchard Flugblätter abwerfen, auf denen er seine Heldentaten als Flugpionier anpries. Diese Flugblätter erreichten das französische Festland jedoch nicht: Über dem Kanal verlor der Ballon stetig an Höhe, und die Ballonfahrer mussten alles an Ballast abwerfen, was sie nur konnten – einschließlich ihrer Kleidung.
Als sie die Küste erreichten, trugen Blanchard und Jeffries nur noch Unterwäsche und Schwimmwesten. Die radikale Erleichterung zahlte sich aus: Etwa zweieinhalb Stunden nach dem Start, nach einer Strecke von rund 50 Kilometern, landete Blanchard den Ballon auf einer Lichtung bei Guînes in der Nähe von Calais.
Ballonfahrer bis zum Tod
Blanchard blieb danach ein begeisterter Ballonfahrer. Er reiste durch ganz Europa und auch in die USA, um seine Ballons vorzuführen. In vielen Ländern, die er besuchte, war er der erste Ballonfahrer überhaupt – so auch in Deutschland. Blanchard wird auch ein weiteres Pionierstück zugeschrieben: Sein Landsmann Sébastien Lenormand hatte 1783 den Fallschirm erfunden. 1793 war Blanchard der erste Mensch, der sich damit aus einem abstürzenden Ballon rettete. 1808 konnte ihm jedoch auch kein Fallschirm mehr helfen: Bei einem Herzinfarkt stürzte Blanchard aus der Ballongondel. Ein Jahr später starb er aufgrund der Verletzungen, die er bei dem Sturz erlitten hatte.
Bis zu den ersten erfolgreichen Langstrecken-Ballonfahrten über die größten Wasserflächen der Erde sollte es nach Blanchards Leistung jedoch noch mehr als zwei Jahrhunderte dauern: Erst 1987 fuhren Ben Abruzzo, Maxie Anderson, und Larry Newman vom US-Bundesstaat Maine über den Atlantik bis nach Paris. 1991 überquerten Richard Branson und Per Lindstrand in einem Ballon den Pazifik. Bertrand Piccard und Brian Jones waren 1999 die ersten, denen eine Erdumrundung in einem Ballon gelang.