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Nutzerschwund: Warum Twitter aktuell ausblutet

Seit jeher gilt Twitter beziehungsweise X als soziales Netzwerk, auf dem es auch mal hitzig zugeht und auf dem vermehrt Falschinformationen gestreut werden. Doch viele Nutzer haben das Gefühl, dass sich Desinformation und Hass seit der Übernahme durch Elon Musk deutlich verschlimmert haben, und kehren der Plattform daher den Rücken. Ist Twitter tatsächlich trolllastiger geworden? Wie ließe sich gegensteuern? Und ist die Plattform überhaupt noch zu retten?
AMA, 23.10.2023
Symbolbild Nutzerabwanderung von Twitter

© Hintergrund: BoliviaInteligente, unsplash.com / Hinweisschild: Moto-rama, GettyImages

Seit der Unternehmer und Multimilliardär Elon Musk Ende Oktober 2022 den beliebten Kurznachrichtendienst Twitter (mittlerweile X) übernommen hat, macht die Plattform immer häufiger negative Schlagzeilen. Unter anderem hat Musk sich mehrfach fragwürdig zu heiklen Themen geäußert, umstrittene Nutzer wie Andrew Tate oder Donald Trump wieder entsperrt und außerdem das „Trust and Safety Team“ abgeschafft, das für die Moderation der Inhalte zuständig war. Aufgrund dieser und vieler weiterer Eskapaden kehren immer mehr Werbekunden und Nutzer dem Kurznachrichtendienst nun den Rücken.

Ein messbar rauerer Ton

Aber haben Hass und Hetze seit Beginn der Musk-Ära tatsächlich zugenommen oder handelt es sich dabei eher um ein Bauchgefühl der Nutzer? „Auch wenn Twitter/X es nun für Forschende und andere kritische Beobachter immer schwieriger macht, dazu systematisch Daten zu erheben, sind diese Vorwürfe ganz eindeutig belegt“, erklärt Medienforscher Axel Bruns von der australischen Queensland University of Technology. „Die Plattform wird mittlerweile von Akteuren, die Desinformationen streuen und Hass verbreiten, geradezu überrannt.“ Seit Musk am Steuer ist, habe die Zahl diskriminierender, insbesondere antisemitischer, Begriffe und unzuverlässiger Quellen auf der Plattform deutlich zugenommen.

Grund dafür sind verschiedene Änderungen, die der Milliardär an dem Kurznachrichtendienst vorgenommen hat. Dazu gehört die Abschaffung der Moderatorenteams, die früher gezielt gegen fragwürdige und strafrechtlich relevante Inhalte vorgegangen sind, ebenso wie die Entsperrung von Hetze verbreitenden Accounts. Hinzu kommt, dass der blaue Verifizierungshaken, der früher ausschließlich offizielle Accounts wie den des Bundeskanzlers, von seriösen Medien oder Prominenten ausgewiesen hat, mittlerweile käuflich ist. Theoretisch kann sich nun also jeder Nutzer mit blauem Haken ausstatten lassen und so einerseits seriöser wirken und andererseits seine Posts vom Algorithmus bevorzugen lassen. Die eigenen Inhalte sind dadurch für eine größere Zahl von Menschen sichtbar und werden ihnen als glaubwürdig präsentiert.

Nutzer verschwinden in Scharen

Interessanterweise haben solche einschlägigen Änderungen an der Plattform messbare Abwanderungswellen ausgelöst, in deren Folge die Anmeldezahlen auf Twitter-Alternativen wie Mastodon, Threads oder Bluesky in die Höhe geschossen sind, wie Medienforschende beobachten konnten. „Zuletzt schien es einen Exodus deutscher Nutzer zu geben, der sich wohl auf Musks recht offenen Antisemitismus und sein Teilen von AfD-Inhalten zurückführen lassen kann“, berichtet Curd Knüpfer von der Freien Universität Berlin. Gerade erst hat auch die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, ihren Rückzug von der Plattform angekündigt.

Zahlreiche Werbekunden sind denselben Weg gegangen. Sie wollen nicht mehr, dass ihre Anzeigen neben rechtsextremen, antisemitischen oder gar kinderpornografischen Inhalten auftauchen. Seit der Twitter-Übernahme durch Musk haben sich die Einnahmen aus Anzeigenverkäufen daher halbiert. Schätzungen zufolge ist die Plattform mittlerweile mindestens zwei Drittel weniger wert als die 44 Milliarden US-Dollar, für die Musk sie im Oktober 2022 gekauft hat. Experten gehen nicht davon aus, dass sich der Firmenwert unter Musk noch erholen wird. Sie nehmen stattdessen an, dass er die Plattform irgendwann zu einem deutlich niedrigeren Preis weiterverkaufen wird. 

Ist Twitter noch zu retten?

In der Theorie ist es längst noch nicht zu spät, um gegen den rauer gewordenen Ton und somit die Nutzerabwanderung vorzugehen. Doch: „Elon Musk und sein Team berührt dies offenbar nicht. Statt die schlimmsten Auswirkungen dieser Änderungen wieder rückgängig zu machen, verteidigt er sie als Teil seiner Free-Speech-Politik“, erklärt Axel Bruns. „Und auch staatliche Institutionen wie Australiens e-Safety Commissioner oder der EU-Kommissar Thierry Breton dringen offenbar nur bedingt zu Musk durch mit ihren Forderungen.“

Vor diesem Hintergrund wundert es den Medienforscher nicht, dass immer mehr Nutzer sich von der Plattform abwenden und Alternativen suchen. Denen, die bleiben, um den „Verfall eines wichtigen Mediums“ zu beobachten, rät Bruns einen äußerst vorsichtigen Umgang mit den dort verbreiteten Fakten. Wer außerdem aktiv ein Zeichen gegen Desinformation und Hass setzen möchte, kann vermehrt Posts von professionellen Nachrichtenmedien teilen, um so das Verhältnis von seriös zu unseriös ein wenig aufzubessern.

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