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9/11 - Macht und Faszination einer Verschwörungstheorie (Podcast 149)

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Menschen sprangen aus dem Fenster. Manche hatten sich an den Händen gefasst. Sie wollten so schnell wie möglich raus aus dem Turm, bevor er einstürzte. Sie wollten dem Flammentod entfliehen – und flogen doch nur ins Aus. Die Bilder der Terroranschläge vom 11. September sind vielen noch immer präsent. Das war so ein Tag, der sich eignete für eine Verschwörungstheorie: der 11. September war von der US-Regierung geplant gewesen, zumindest war sie Mitwisser der Anschläge, behaupteten manche. Anderen sahen Ariel Sharon als Schuldigen. Es ranken sich einige Verschwörungstheorien um den 11. September. Sie reihen sich in eine ganze Verschwörungsserie ein, die im Laufe der Geschichte entstanden ist. Seit je her lassen sich Menschen von Verschwörungen beeindrucken und beeinflussen. Die Frage ist: Warum? Ein Podcast zum 10. Jahrestag von 9/11: Macht und Faszination einer Verschwörungstheorie – 11. September und andere Mythen.

Das Treppenhaus war blockiert. Der Aufzug funktionierte nicht. Panisch sprangen Putzkräfte, Finanzmakler, Anwälte, Banker, die im World Trade Center vom einschlagenden Flugzeug überrascht worden sind, aus dem Fenster. In den  Türmen und auf den Straßen schrien Menschen, weinten oder sandten – manchmal die letzten – Stoßgebete in den Himmel. Dorthin, wo das Unglück hergekommen war.

Chaos herrschte auf den Straßen, aber auch in den gekaperten Flugzeugen wie im Nachhinein veröffentlichte SMS und Nachrichten auf Anrufbeantwortern dokumentierten: Hunderte von Liebesschwüren tauschten Menschen aus, darunter Brian Sweeney. Er war Berater des Pentagons, einst Navy Leutnant und saß in einem der Flugzeuge, wohl ahnend, was die Terroristen vor hatten. Seine letzte Nachricht an seine Frau:

„Ich sitze in einem entführten Flugzeug. Es sieht nicht so gut aus. Ich möchte Dir sagen, dass ich dich liebe, und ich hoffe, dass ich dich wiedersehe. Falls aber nicht, genieße dein Leben. Sei glücklich. Lebe dein Leben. Das ist ein Befehl…“

Man muss nicht dabei gewesen sein oder einen Angehörigen verloren haben, um den Tränen nahe zu kommen. Heute noch.  Damals starrte die ganze Welt fassungslos auf die Bildschirme. Die Medien übertrugen das Geschehene immer und immer wieder im Fernsehen. Ein französischer Dokumentarfilmer hatte gerade eine Reportage über die New Yorker Feuerwehr gedreht als die erste Boeing über ihm auftauchte. Er schwenkte die Kamera nach oben und nahm den Moment auf, in dem sich die 120 Tonnen schwere Maschine in den Turm bohrte.

Die Bilder haben sich in die Köpfe gefressen und zugleich etwas ausgelöst, für das viele Menschen besonders empfänglich sind: Verschwörungstheorien. Verschwörungstheorien sind wie Gerüchte oder die üble Nachrede: ein Fressen für Plaudertaschen, Lästermäuler und Neugierige.  

Um den 11. September ranken sich mehrere Theorien. Nach den Anschlägen haben einige die Summe der Zahlen 11, 9, 2, 0, 0 und 1 gebildet. Das ergibt 23. Und 23 ist, einer weiteren Verschwörungstheorie zufolge, die Zahl der Illuminaten, der geheimen und bösen Herren dieser Welt, die besonders der Kirche feind sind. Verschwörungstheoretiker wissen von Anfang an, was hinten herauskommt oder besser: kommen soll. Und sie meinen’s dann auch todernst.
Weitere Theorien zu 9/11 besagen wahlweise, die US-Regierung, US-Geheimdienste oder Israel hätten das Drama geplant. Die eingefleischtesten Vertreter dieser Behauptungen sind die Verschwörungstheoretiker Christian Anders, Mathias Bröckers und Gerhard Wisnewski. Sie verdienen damit ihr Geld. Richtig gutes Geld. Das liegt daran, dass sie immer Leser finden. Nach einer Studie der School of Psychology an der Universität in Kent sind besonders solche Menschen empfänglich für Verschwörungen, die selber gern bei einer mitmachen würden.

Es scheint ein Grundbedürfnis zu sein, Wahrheiten, Geheimnisse oder Halbwahrheiten weiterzuerzählen und mit den eigenen Emotionen zu mischen. Die US-Psychologen Gordon Willard Allport und Leo Postman haben in einer Studie herausgefunden, nach welchem Schema Gerüchte funktionieren: Wie bei der Stillen Post wird eine Aussage ständig  neu komponiert – die Betreffenden geben vor allem die dramatischen und emotionalen Ausschnitte weiter. Die wiederum sind so zurechtgestutzt, dass sie in die eigene Denk-Schublade passen. Je mehr Personen die Aussagen bearbeitet haben, desto kürzer wird das Gerücht. Es  bleibt aber immer irgendwie logisch und gern so, dass Gerüchtestreuer und Zuhörer Vorurteile bestätigt finden.

Verschwörungsglaube nennt das Thomas Grüter in seinem Buch: „Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer", wenn eine These ein vorhandenes Misstrauen oder Vorurteil nährt – meist einer Gruppe gegenüber, von der man sich bedroht sieht. Die ist dann der Sündenbock! Im Fall des 11. September waren es Islamisten. Mit dem Ausschmücken der These entsteht die Verschwörungslegende, deren Mischung aus Ungeklärtem und vermeintlichen Beweisen wiederum als Grundlage für die endgültige Verschwörungstheorie dient. Entscheidend für das Überleben einer solchen Theorie ist, dass andere mitglauben. Denn „wenn jemand etwas meint und er ist der einzige, dann hört er schnell auf damit“, erklärt Ronald Hitzler, Soziologieprofessor an der Technischen Universität Dortmund.

Der Schweizer Mark Schindler, der über Gerüchte an Kapitalmärkten promoviert hat, bestätigt den wichtigen emotionalen Anteil bei Verschwörungen. In jener Branche handele es sich meist um Angst oder Gier, Emotionen, wie sie ein Artikel der britischen Boulevardzeitung „Mail on Sunday“ vom 7. August 2011 auslöste: Im Blatt hieß es, die Bank Société Générale stehe kurz vorm Kollaps. Folge: Schon am nächsten Tag verkauften Bankaktionäre.

Was ist passiert? Laut Schindler ist das passiert, was typisch für Gerüchte ist: Sie verbreiten sich rasant, wecken Ängste oder andere negative Gefühle und führen bisweilen zu Kurzschlussreaktionen. In Fall der Société Générale verkauften vor allem kurzfristig orientierte Marktteilnehmer, die sich schnell an den Rand ihrer Zahlungsfähigkeit und psychischen Belastbarkeit sahen. Entscheidend für deren Reaktion war auch, dass sie der Bank das Desaster zutrauten.

Welche Macht solche und andere Gerüchte haben, zeigt die Tatsache, dass sich die Bank die Zunge fusselig reden kann, um zu dementieren – das Gerücht ist stärker – es scheint glaubwürdiger, selbst wenn es nicht beweisbar ist. Der Evolutionsbiologe Ralf Sommerfeld hat am Max-Planck-Institut in Plön herausgefunden, dass ein Gerücht stärker sein kann als Erfahrungen. Es ist einfach zu faszinierend.

Neben den Berufs-Verschwörern gibt es eine Reihe von Amateuren, die ihre Thesen jenseits der offiziellen Geschichten im Internet streuen. Aktuell ist die Rede von der Oslo-Verschwörung. Manche vermuten hier einen islamistischen Hintergrund.

Daneben halten sich Gerüchte zu Ereignissen, die weiter zurückliegen. Die Mondlandung von Apollo 11 und spätere Missionen, so ein Gerücht, haben nicht stattgefunden, sondern die NASA habe das Schauspiel in einem Filmstudio gedreht. Das Gerücht ist wissenschaftlich widerlegt. Lady Di wurde von der Queen aus dem Weg geräumt, besagt eine weitere Verschwörungstheorie. Aber eine gerichtliche Untersuchung fand keine Hinweise für Mord. Die US-Regierung soll Osama bin Laden, der schon länger tot war, eingefroren und dann hervorgeholt haben, als der Zeitpunkt für die USA besonders erfolgversprechend schien: das war dann der Fall, als sie berichten konnte, die Navy Seals habe bin Laden getötet. Beliebt sind auch Theorien über Kornkreise auf Feldern. Die sollen landende UFOs verursacht haben. Einer zweiten Theorie nach haben Satelliten des amerikanischen „Star Wars“-Programms das Korn mit Mikrowellen-Strahlung gefaltet.

Diese Mythen kann man glauben oder nicht. Es gibt aber auch Verschwörungstheorien mit fatalen Folgen. Seit 1150 hält sich das Gerücht hartnäckig, Juden hätten Christenkinder ermordet und sie für rituelle Zwecke missbraucht. Diese Behauptung hat über Jahrhunderte zu Pogromen geführt. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg im polnischen Kielice wurde Juden vorgeworfen, einen verschwundenen Jungen für einen Ritus ermorden zu wollen. Dabei war er längst wieder aufgetaucht.

Was den 11. September betrifft, so glaubten einer Umfrage der Wochenzeitung „Die Zeit“ zufolge 2003 rund 30 Prozent der unter 30-jährigen Deutschen, die US-Regierung habe die Anschläge selbst inszeniert. 2003 war das Jahr, in der die antiamerikanische Stimmung wegen der Invasion im Irak besonders mies war.

Zehn Jahre nach den Anschlägen will das 9/11 Memorial Museum zu Füßen des neuen Wolkenkratzers, der sich noch im Bau befindet und mit 541 Metern der höchste der USA werden soll, an den Terror erinnern. Auf dem Museumsgelände sind zwei quadratische Becken ausgehoben, genau an der Stelle, an der einst die Tower gestanden haben. An den Wänden der Becken stürzt rauschendes Wasser dröhnend in die Tiefe. Das erinnert an die umstürzenden Türme. Aber auch an die Menschen, die Hand in Hand und oft kopfüber aus den obersten Stockwerken sprangen.

Dorothea Schmidt, wissen.de-Redaktion

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