Die Anschläge des 11. September haben sich tief im Bewusstsein der Menschen verankert. Sie arbeiteten als Praktikantin in London, gingen noch zur Schule, schrieben an ihrer Magisterarbeit, wechselten gerade den Job oder machten entspannt Urlaub in den Bergen - jeder wissen.de-Redakteur weiß auch zehn Jahre nach den Anschlägen auf das World Trade Center noch ganz genau, was er oder sie damals gemacht haben. Heute erinnern wir uns und gleichzeitig an jene Menschen, die vor zehn Jahren ihr Leben bei einem Terrorakt verloren.
Tina Denecken lernte fürs Examen
Am 11. September 2001 habe ich im Jogginganzug und im Schneidersitz auf dem Sofa gesessen. Um mich rum stapelweise Papier und Bücher – und im Hintergrund das Gedudel von M-TV oder irgendeinem anderen Musiksender. Optimale Lernbedingungen fürs Examen...
Und dann rief mich ein Freund an und sagte: "Schalt mal um! Die Welt geht gerade unter!“
Ich habe an diesem Tag nichts anderes mehr gemacht als auf den Bildschirm zu starren und immer wieder dieselbe Telefonnummer zu wählen. Denn mein ehemaliger Mitbewohner war gerade in New York. Der gewünschte Gesprächspartner ist vorübergehend nicht erreichbar...
Ich habe beide Türme in sich zusammensacken sehen. Und mir sind die Tränen gekommen, als ich am nächsten Tag die Flaggen vor der Kieler Uni auf Halbmast gesehen habe.
Mein Mitbewohner kehrte dann mit einer Woche Verspätung aus New York zurück. Und er erzählte, die erste Explosion habe ihn in seinem Hotelzimmer geweckt. Dann wurde das Hotel evakuiert und er ist einfach losmarschiert – mit seinem Koffer in der Hand. Für die nächsten Tage ist er bei wildfremden Menschen auf Long Island untergekommen.
Am Tag vor dem Terroranschlag ist er noch im World Trade Center gewesen – um diese Wahnsinnsstadt von oben zu sehen...
Erst vor Kurzem habe ich das Buch "Extrem laut und unglaublich nah“ von Jonathan Safran Foer gelesen. Und ich dachte: Die Anschläge sind immer noch so präsent – kaum zu glauben, dass schon zehn Jahre vergangen sind!
Melanie Becka war Praktikantin in London
Am 11. September 2001 war ich als Praktikantin in der Presseabteilung von Estée Lauder in London tätig. Der Arbeitstag begann wie jeder andere, als meine Kollegin einen Anruf mit der Nachricht über die Terroranschläge erhielt. Da die Mutterfirma Estée Lauder in New York sitzt, brach sofort ein ziemliches Gewusel aus, denn alle wollten sofort mehr Informationen.
War unsere Firma betroffen? Und damit auch Freunde und Kollegen?
Damit wir uns auf dem Laufenden halten konnten, wurden die Firmen-Fernseher in zentral gelegenen Büros aufgestellt. Einer stand auch bei uns in der Pressestelle, so dass wir die Ereignisse sozusagen live verfolgt haben. Mit einer Mischung aus Schock, Ungläubigkeit und Trauer sahen wir den Bildern, die über den Bildschirm flackerten, zu und wir hatten – wie viele - dieses merkwürdig vertraute Gefühl beim Sehen der Bilder. Schließlich kannte man Szenen dieser Art aus zahlreichen Katastrophen- und Actionfilmen und sie jetzt als Realität wahrnehmen zum müssen, war für uns mehr als verstörend.
Gott sei Dank stellte sich im Laufe des Tages heraus, dass niemand von unserer Mutterfirma betroffen war. Das minderte die schrecklichen Ereignisse des Tages natürlich nicht, aber immerhin konnten einige unter uns erleichtert aufatmen. Vier Jahre nach diesem Ereignis habe ich eine Zeit lang in New York gelebt und selbst dann noch zu spüren bekommen, wie tief dieses Ereignis die Menschen dort getroffen hat. Und auch welche Narben es hinterlassen hat.
Michael Fischer wechselte gerade den Job
Der 11. September 2001 ist mir noch gut in Erinnerung. Ich war gerade dabei, in Kiel den Job zu wechseln, saß in meinem alten, leeren Büro, und bekam einen Anruf von meinem neuen Vorstandsvorsitzenden: „Hast Du gehört: In New York gab es einen Terroranschlag. Das World Trade Center brennt!“. Ich hatte es noch nicht gehört – und klickte auf spiegel.de. Tatsächlich sah ich dort Fotos von einem der brennenden Türme. Von da an war an Konzentration auf Anderes, Berufliches nicht mehr zu denken. Aber auch allen anderen schien es so zu gehen. Denn es kamen überhaupt keine Anrufe. Nach zwei Stunden ging ich nach Hause, schaltete den Fernseher ein, bekam „live“ mit, wie ein Flugzeug in den zweiten dieser höchsten Türme New Yorks flog, wie erst der eine, dann der andere Turm fiel und wie am Abend auch noch der Anschlag auf das Pentagon gemeldet wurde – und war von diesen Bildern bis tief in die Nacht gefangen.
Rund 50.000 Menschen arbeiteten in den beiden Türmen. Wie viele davon mögen die Anschläge getroffen haben?
Irgendwie war allen Kommentatoren, die ich hörte und allen Freunden, mit denen ich an dem Tag telefonierte klar: Es war eine historische Zäsur, der wir ohnmächtig zusahen. Die Welt wird nicht mehr so sein, wie sie bisher war. Und so kritisch ich den USA und dem Weltwirtschafts- und Finanzsystem gegenüber oft war und bin: Diese Bilder von den brennenden und zusammenstürzenden Türmen des World Trade Centers, der sich aus den Fenstern stürzenden Menschen, der Anblick einiger der insgesamt etwa 3.000 Toten und der bis zur völligen Erschöpfung kämpfenden Feuerwehrleute habe ich als einschneidendes Erlebnis gespeichert.
Dass auch an anderen Orten der Welt immer wieder Massenmorde geschehen mit einer ähnlich hohen Zahl an Toten oder einer noch weit höheren ist mir zwar klar. Aber kein Massenmord ist wohl derart medial begleitet worden wie die Terroranschläge am 11. September 2001 – zumindest in meiner Erinnerung ist es so.
Andrea Lebeau ging zur Schule und hatte am 11. September 2001 sturmfrei
Zwei Wochen sturmfrei! Mit 17 gibt es wohl kaum etwas Cooleres. Und so hätte der September 2001 für mich nicht besser anfangen können. Die Eltern im Urlaub, das Haus meinem Bruder und mir ganz allein. Nur die anstehende Deutsch-Klausur bereitete der ganz großen Freiheit einen Dämpfer. Am 11. September habe ich dann auch brav am Schreibtisch gesessen und meine Notizen zu Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame durchgelesen. Das Radio lief im Hintergrund und ich hörte die Meldung von einem Flugzeug, das in das World Trade Center geflogen sei. Zusammen mit meinem Bruder habe ich dann die nächsten Stunden vor dem Fernseher verbracht.
Politik und Nachrichten waren in meinem Freundeskreis kein großes Thema. Da gab es spannendere Dinge. Als ich am nächsten Tag in die Schule ging, war aber ganz klar, dass jeder die Ereignisse verfolgt hatte. Das ging so weit, dass einige von uns richtig erstaunt waren, als unsere Deutschlehrerin uns dann tatsächlich die Klausur schreiben ließ. Es war doch selbstverständlich, dass keiner mehr gelernt hatte.
Neben die absolute Betroffenheit, die ich beim Anblick der in Endlosschleife gezeigten Bilder empfand, mischte sich auch ein mulmiges Gefühl. Krieg und RAF-Terror kannte ich nur aus dem Geschichtsunterricht. Den Ost-West-Konflikt hatte ich noch nicht bewusst miterlebt. Jetzt hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass auch in Deutschland etwas Schlimmes passieren könnte.
Diese Angst bekamen auch meine Eltern zu spüren, die den 11. September auf einer Tiroler Alm verbracht und nichts von dem medialen Großereignis mitbekommen hatten. Als sie abends ins Tal zurückkehrten, wurden sie von einem anderen Hotelgast mit den Worten empfangen: „Habt ihr schon gehört? Wir sind im Krieg.“
Wie ich die Tage nach den Anschlägen empfunden habe? Sturmfrei war noch immer cool und eine gute Note auf die Deutsch-Arbeit gab es auch. Aber so unbeschwert wie vorher konnte ich nicht mehr sein.
Andrea Rickert arbeitete in der ARD-Redaktion
Es gibt Ereignisse, die uns gar nicht persönlich treffen, die aber dennoch einen Einschnitt im Leben bedeuten. So ein Ereignis stellte sicher der 11. September 2001 dar. Dieses Unglück bewirkte auf der Weltbühne eine große Veränderung, aber auch im Persönlichen war nach diesem Tag irgendwie das Weltbild ein anderes.
Noch Jahre nach dem besagten Anschlag kam es vor, dass ich bei einer U-Bahn-Fahrt voller Panik am nächsten Halt aussteigen musste. Der Grund: Ein arabisch aussehender Mann stand mit im Abteil und ich bildete mir ein, dieser wirke sehr angespannt, er könne vielleicht Sprengstoff am Körper tragen …
Jedes Jahr um die Oktoberfestzeit bin ich froh, wenn der Rummel vorbei ist. Auch hier löst der Gedanke, dass ein Anschlag auf die Menschenmenge geplant ist, immer wieder aufs Neue Unruhe in mir aus.
Mit offenem Mund und ungläubigen Augen verfolgten wir in der ARD-Redaktion, in der ich damals arbeitete, die Berichterstattung von Nachrichtensprecher Ulrich Wickert. Die Bilder der einstürzenden Türme, die stundenlange Berichterstattung des um Worte und Fassung ringenden Nachrichten-Chefs, das Rätsel um den Anschlag, der weltweite Einsturz der Börsen ließen keine andere Reaktion zu.
Als einen großen Trost empfand ich wenige Tage später die Gedenkfeier zum 11. September in Berlin mit Jocelyn B. Smith. Mit ihrer tiefen Stimme sang die Künstlerin "Amazing Grace“. Diese Hymne wurde unter anderem von CNN weltweit übertragen. Noch heute bekomme ich Gänsehaut bei diesem Song und denke an New York.
Charles Kenwright arbeitete bei wissen.de
"Ein Flugzeug ist ins World Trade Center eingeflogen!“ Ich drehte mich um und schaute Stefan an, meinen Arbeitskollegen. "Blöder Witz“, dachte ich noch und schüttelte den Kopf. Nur einen Moment später hörte ich Stefan rufen: "Ein zweites! Da ist ein zweites Flugzeug in die Türme geflogen!“
Diese Szene spielte sich in der Redaktion von wissen.de ab, für die ich damals schon arbeitete. Wir schalteten CNN ein, langsam füllte sich das Zimmer, bis alle Mitarbeiter vor dem Fernseher saßen oder standen. Wir schauten zu, wie der Rauch aus den Türmen aufstieg. Es sah furchtbar aus. Aber was dann passierte, als die Türme langsam in sich zusammensackten, das war unbegreiflich. Glenn, ein amerikanischer Kollege, fing zu weinen an.
Was sollte ich ihm sagen? Wie ihn trösten? Ich glaube, ich sagte etwas wie "Sorry, Glenn“ – unzureichend bestimmt, aber was konnte ich jemandem schon sagen, der gerade mehr als 3000 Landsleute sterben sah?
Dorothea Schmidt war am 11. September 2001 in den Bergen
Das ist ein peinliches Geständnis: Ich habe von den Anschlägen am 11. September 2011 zunächst nichts mitbekommen, sondern mich in den Bergen vergnügt, abgeschottet von der Welt, ohne Handy, Zeitung, E-Mail. Die Nachricht traf mich – ich weiß es nicht mehr genau – vermutlich erst Tage später.
Mein Hirn versuchte die Bilder und Nachrichten zu sortieren. Bis sich die Ereignisse ins Herz vorgetastet hatten, war der Rest der Welt längst mit Aufräumarbeiten, psychologischer Betreuung, der Suche nach Angehörigen, Trauerarbeit oder Verschwörungstheorien beschäftigt. Ich hinkte total hinterher und hatte deswegen ein bisschen ein schlechtes Gewissen.
Denn ich war zwar in den Bergen, aber sollte man nicht wenigstens einmal in der Zeit eine Zeitung lesen? Zumal ich nicht nur im Urlaub dort oben war, sondern nebenher auch jobbte. Aber der Kopf war voll neuen Eindrücken eines Nordlichts und Großstadtmenschen, der plötzlich mit freilaufenden Kühen auf einsamer Flur fertig werden, Wasserfälle überwinden und mühsam versuchen musste, sich den Kontext der bayerischen und vorarlbergischen Gespräche oder Fragen zusammenzureimen. „Können Sie das bitte buchstabieren“, war denn mein letzter Versuch, mit meinem Gegenüber ins Gespräch zu kommen. Ich scheiterte. Und er auch: Er konnte das Wort nicht auf Bairisch buchstabieren, nur bairisch sprechen. Damit starb das letzte Fünkchen Hoffnung auf Hochdeutsch in der Bergen ein für allemal.
Ich knöpfte mir (hochdeutsche) Zeitungen vor, holte das mit dem 11. September nach und verband mich über die Medien wieder mit dem Rest der Welt. In die Berge fahre ich heute höchstens noch für ein paar Stunden.
Lena Schilder ging noch zur Schule
Als ich am 11.9.2001 von der Schule heimgekommen bin, lief der Fernseher schon. Das war ziemlich ungewöhnlich. Ich habe mich zu meiner Schwester und meinem Vater gesetzt und wir haben das getan, was wohl die ganze Welt getan hat: darauf gestarrt. War das real?
Die Flugzeuge flogen in zahlreichen Wiederholungen wieder und wieder in die Türme. Diese stürzten erneut in sich zusammen. Menschen gaben tränenerstickte Interviews und die Nachrichtensprecher sprachen von Terrorismus.
Mein Onkel hat am 11. September Geburtstag. In Feierstimmung war er 2001 nicht: Dieser Tag wird viel verändern, hat er mir abends am Telefon gesagt.
Wie recht er hatte!
Natürlich habe ich mit den USA und besonders den Angehörigen mitgefühlt. Aber im Laufe der Wochen und Monate hat mich der Kurs der USA auch wütend gemacht. Vor 9/11 war ich an Politik nicht wirklich interessiert. Die Rede von George W. Bush, in der er von der "Achse des Bösen“ und "Schurkenstaaten“ sprach, haben wir sogar im Englisch-Unterricht analysiert. Auch das Gefühl von Bedrohung war neu. In der Schule ging das Gerücht um, dass ein Anschlag auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt stattfinden sollte. Jemand kenne jemanden, der davor gewarnt worden wäre. Absurd. Wir sind trotzdem hingegangen. Aber nur kurz. Und Spaß gemacht hat es auch keinen.
Susanne Böllert schrieb ihre Magisterarbeit
Wie jeden Nachmittag saß ich über Stapeln von Sekundärliteratur und suchte angestrengt nach passenden Zitaten zu meiner These von Ingeborg Bachmanns Zeitkritik und Utopievorstellung. Magisterarbeit. Germanistik.
Als meine Mutter plötzlich rief, ich solle mal schnell kommen, da sei was in den Nachrichten. Wir sahen Flugzeuge, die vor einem strahlend blauen Morgenhimmel in zwei Hochhäuser krachten und in Flammen ausbrachen. Die Twin Towers von New York brachen in sich zusammen. Selten hatte ich ähnlich hilflose Nachrichtensprecher erlebt.
Ich packte meine Sporttasche, denn später wollte ich noch ins Fitnessstudio, und machte mich auf den Weg zu Radio Hagen, wo ich als freie Mitarbeiterin tätig war. Erst als ich die Redaktion betrat, in der sich Feste und Freie, Volontäre und Praktikanten auf die Füße traten, begriff ich. Verschämt stellte ich meine Sporttasche in die Ecke. Wir machten uns an die Arbeit. Suchten Hagener in New York, interviewten Amerikaner in Hagen. Ich ging mit meinem Aufnahmegerät zur Kirmes, um O-Töne einzufangen und um zu sehen, ob sich die Fahrgeschäfte weiter drehten. Sie taten es, nur die Musik hatten die Schausteller abgedreht. Auch sie hatten längst noch nicht begriffen, was dort in Amerika geschehen war.