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Marathon - eine Sportart, die (die) Massen bewegt (Podcast 94)

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Marathon - 42,195 Kilometer pure Schinderei für einen Moment des ultimativen Glücks: den Zieleinlauf. Warum nehmen Menschen das auf sich? Werfen Sie einen Blick auf die Historie dieser von der Außenseiterdisziplin zum Breitensportspektakel avancierten Sportart und sammelt Experten-Tipps nach dem aktuellen Wissensstand der Sportmedizin. 
Noch heute ist die "klassische Strecke“ von dem griechischen Dörfchen Marathon zum Panathinaikon Stadion in Athen eine der beliebtesten Wettkampfstrecken. Und das liegt nicht nur an ihrem hohen Schwierigkeitsgrad, sondern auch an der historischen Bedeutsamkeit der Route. Denn am Wegesrand steht die Wiege einer Sportart, die heute Menschen rund um den Erdball begeistert.
 

Vom spurtenden Boten der Antike zum Massenspektakel der Neuzeit

Vater aller Marathonläufer, so will es die Sage, ist der Grieche Pheidippides. Jener nahm auf Geheiß des Feldherrn Miltiades die Beine in die Hand, um Wichtiges zu verkünden. Wir schreiben das Jahr 490 vor Christus: In der Strandebene des griechischen Dorfes Marathon setzte sich die tapfere Streitmacht Athens gegen die Übermacht der Perser zur Wehr. Pheidippides wurde zunächst entsandt, im 245 Kilometer entfernten Sparta um Hilfe zu bitten. Obwohl er unverrichteter Dinge an den Kampfschauplatz zurückkehrte, besiegten die Athener die zahlenmäßig überlegenen Perser. Ausruhen durfte Pheidippides nicht. Stattdessen schickte man ihn nun in die knapp 40 Kilometer entfernte Hauptstadt, um die frohe Kunde zu überbringen. "Wir haben gesiegt!“, soll er noch gerufen haben, bevor er auf dem Marktplatz vor Erschöpfung tot zusammenbrach.
Unsere Kenntnis über die Schlacht bei Marathon verdanken wir Herodot, Geschichtsschreiber und Zeitgenosse der Perserkriege. Pheidippides Lauf zur Überbringung der Siegesbotschaft erwähnt er nicht. Diese Heldengeschichte taucht erst ungefähr 560 Jahre später in Schriftstücken des griechischen Historikers Plutarch auf, der dem glorreichen Sieg der Athener durch diese Anekdote wohl einen Hauch Dramatik unterzumogeln versuchte. Heute sind sich die Historiker fast sicher, dass dieser Lauf nicht stattgefunden hat.
 

Eine Legende wird olympisch

Inspiriert von der heroischen Legende des spurtenden Boten legte der französische Philologe Michel Bréal seinem Freund Pierre Baron de Coubertin, dem Mitbegründer der Olympischen Spiele der Neuzeit, die Idee ans Herz, aus diesem Mythos ein zentrales Sportereignis zu entwickeln. Und so absolvierten am 10. April 1896 in Athen, im Rahmen der ersten wiederaufgenommenen Olympischen Spiele, eine Hand voll Athleten die sagenumwobene Distanz über 40 Kilometer – damals allerdings noch nicht unter dem heute etablierten Namen "Marathon“. Den Sieg sicherte sich bezeichnender Weise ein griechischer Landsmann: der Wasserträger Spiridon Louis. Inklusive einer Weinpause in einer Taverne benötigte er eine Zeit von knapp unter drei Stunden. Das neu gebaute Olympiastadion in Athen trägt heute den Namen des 1940 verstorbenen Volkshelden Louis.
Für die Olympischen Spiele der folgenden Jahre wurde die Langstreckendistanz nur "pi mal Daumen“ ausgemessen – bis das Laufspektakel 1908 in England stattfand. Auf ausdrücklichen Wunsch des Königshauses sollte das Rennen am Schloss Windsor starten, gut sichtbar vom Balkon der Royals, und vor der königlichen Loge im Stadion enden. Die exakte Strecke von 385 Yards, also 42,195 Kilometern, wurde im Nachhinein festgelegt und galt erst Jahre später als "klassische Distanz“. Jene hat also nicht die Legende von Marathon zum Ursprung, sondern vielmehr das sportliche Interesse der königlichen Familie. Deshalb bedanken sich übrigens noch heute die englischen Marathonis mit einem "God save the Queen“ für die zusätzlichen quälenden Meter.
 
Was der jungen Disziplin jedoch zum Weltruhm verhalf, war der dramatische Zieleinlauf des italienischen Olympioniken Dorando Pietri. Nach 2 Stunden und 45 Minuten erreichte er das Stadion. Für die letzten 355 Meter aber brauchte er fast zehn Minuten. Das Publikum hielt jedes Mal den Atem an, als es den völlig erschöpften Pietri fünf Mal zu Boden sinken sah. Als er sich ein letztes Mal aufzurappeln versuchte, griffen ihm zwei britische Helfer unter die Arme und führten ihn über die Ziellinie – woraufhin ihn das olympische Komitee disqualifizierte. Die Goldmedaille ging an den 22-jährigen Amerikaner John Hayes.
 

Die Marathon-Welle spült Läufer in alle Straßen

Amerikanische Sportvermarkter griffen das Drama um Pietri auf und veranstalteten Aufsehen erregende Revancheläufe auf exakt gleicher Distanz. Das erste nachgestellte Olympiaduell während des City-Marathons in Boston löste einen wahren Marathon-Wahn aus. Mehr und mehr Läufer beteiligten sich an der sportlichen Modeerscheinung. Mit dem Aufkommen der Jogging-Bewegung in den USA während der Sechziger und Siebziger Jahre entwickelte sich der Langstreckenlauf schließlich zum Breitensport.
Der erste offizielle deutsche Marathon hatte bereits am 3. Juli 1898 stattgefunden: Die Strecke führte von Paunsdorf, einem heutigen Stadtteil von Leipzig, bis Bennewitz und wieder zurück nach Paunsdorf.
Frauen blieb die Teilnahme lange Zeit verwehrt. Die Anstrengung galt als zu stark für das schwache Geschlecht. Erst 1972 durften Läuferinnen an einem City-Marathon teilnehmen. Das olympische Komitee gestattete dem weiblichen Geschlecht erstmals 1984 in Los Angeles an die Startlinie zu treten. Diesem Entschluss waren Jahre einer öffentlichen Diskussion vorausgegangen. 1967 hatte die damals 20-jährige Amerikanerin Kathy Switzer das Startverbot umschifft, indem sie sich nur mit ihren Initialen angemeldet hatte. Als einer der Offiziellen sie unter den sonst männlichen Startern entdeckte, versuchte er, sie von der Straße zu drängen. Diese Bilder lösten heftige Proteste in der ganzen Welt aus.
Mit der Bestzeit von 2 Stunden, 15 Minuten und 25 Sekunden von 2003 liegt die aktuelle Rekordhalterin Paula Radcliffe aus Großbritannien nur wenige Minuten hinter dem schnellsten Marathonläufer der männlichen Fraktion: Der Äthiopier Haile Gebrselassie ist im Jahre 2008 die 42,195 Kilometer in 2 Stunden, 3 Minuten und 59 Sekunden gelaufen – das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 20,42 Stundenkilometern!
 

So erreichen Sie die Ziellinie

Der erste Marathonlauf ist etwas ganz Besonderes und bedarf, wie auch jede weitere Teilnahme, einer umfassenden Vorbereitung. Selbst bei langjähriger Lauferfahrung sollten Sie sich zunächst von einem Arzt durchchecken lassen. Mindestens ein, besser noch zwei Jahre regelmäßiges Laufen bildet eine gute Ausgangsbasis. Der strenge Trainingsplan im Vorlauf für einen Marathon erstreckt sich über fünf bis sechs Monate, in denen die gelaufene Strecke alle zwei Wochen zunimmt.
Unerlässlich ist ein Herzfrequenzmesser mit integrierter Stoppuhr, denn das persönliche Tempo muss über den Puls kontrolliert werden. Der Pulswert sollte den vom Arzt empfohlenen Wert nicht um fünf Schläge über- oder unterschreiten.
Am besten trainiert man zu Beginn auf einer Tartanbahn, um in Ruhe ein Gespür für das optimale Tempo zu entwickeln. Planen Sie die Teilnahme an einem Marathon auf Asphalt, sollten Sie Ihren Körper rechtzeitig an den harten Untergrund gewöhnen.
Gute Laufschuhe, die richtige Kleidung und ein Gürtel für Getränke sind ein Muss. Vor allem Laufschuhe und –socken sollten gut eingelaufen sein um schmerzhaften Blasen vorzubeugen. Damit man sich keinen „Wolf läuft“, greift man am besten zu Vaseline oder Melkfett und cremt die empfindlichen Stellen ein.
In den letzten zwei Wochen vor dem großen Tag wird das Training reduziert, um die Kräfte zu schonen. Gesunde Ernährung ist während der gesamten Trainingszeit, jedoch besonders jetzt ein wichtiger Faktor. Sie muss vollwertig, abwechslungsreich, fettreduziert, vorwiegend vegetarisch und reich an Kohlenhydraten sein. Glykogen ist beim Laufen unverzichtbar. Es gibt einen Trick, um die Reserven aufzufüllen: Um möglichst viel Kraftstoff für Ihre Muskeln zu tanken, sollten Sie zunächst den Glykogenspeicher durch ein erschöpfendes Training leeren. Bis zum Wettkampftag stehen dann in erster Linie Kohlenhydrate auf dem Speiseplan: Nudeln, Reis, Kartoffeln, Vollkornbrot und Bananen, das Kultfutter der Langstreckenläufer! In den letzten drei Stunden vor dem Start verzichten viele Läufer auf feste Nahrung, um Verdauungsproblemen entgegenzuwirken. Wichtiger ist jetzt, viel zu trinken. Aber Finger weg von gezuckerten Säften!
Nach jedem Training und nach dem Wettkampf dürfen Sie auf Stretching nicht verzichten. Wohltuend wirken auch Bäder und Massagen.
 
Wer die enorme Herausforderung eines Marathons bewältigt, belohnt sich selbst mit einer ungeahnten Freude und verdientem Stolz beim Zieleinlauf. Der Sieg über den inneren Schweinehund ist der vielleicht größte, den man überhaupt zu erringen vermag.

 

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