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Extreme Süßigkeiten – süß, sauer, scharf, bedenklich
Süßigkeiten, Getränke und Snacks, am liebsten aus fremden Ländern, wie den USA, Japan oder Südkorea, erfreuen sich unter Kindern und Jugendlichen großer Beliebtheit. Dabei gilt: Je extremer und geschmacksintensiver, desto besser. Besonders auf der Kurzvideoplattform TikTok versuchen Süßigkeiten-Shops, ihre Waren an die junge Zielgruppe zu vermarkten oder zu Challenges aufzurufen. Wie funktioniert das und was ist drin in den Snacks?
Süßes für Likes, Likes für Süßes
Eine Million Nutzer folgen beispielsweise dem Süßwaren-Onlineshop „SugarGang“ bei TikTok, der sich selbst als „Nr. 1 Candy Shop aus Deutschland“ bezeichnet. Er ist nur einer von vielen Shops, die Süßigkeiten aus aller Welt anbieten und in den sozialen Medien für sich werben.
In den Videos von SugarGang sind häufig Kinder und Jugendliche zu sehen, die verschiedene Aufgaben absolvieren sollen. Meistern sie diese erfolgreich, bekommen sie von Mitarbeitern des Shops Süßigkeiten geschenkt. „Gerne versprechen sie den Kindern auch Gewinne, falls das Video über 100.000 Likes bekommt, oder versprechen einen Gewinn für den Kommentar, der keinen Like bekommt – kluge Tricks, um die Interaktionsraten von Posts zu erhöhen“, erklärt die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch in einer Recherche zu den Süßigkeiten-Shops.
Eine weitere beliebte Marketingstrategie der Süßwarenhändler sind sogenannte „Boxing-Videos“ bei denen das Verpacken der Bestellungen gefilmt wird. „Besonders große Bestellungen werden mit einem solchen Video belohnt, in dem auch der Vorname der Bestellenden genannt wird“, erklärt Foodwatch. „Eines dieser Videos, in dem tatsächlich einfach nur die bestellten Produkte in einen Karton gepackt werden, wurde über fünf Millionen Mal angesehen und hat über eine halbe Million Likes.“
Challenges als kostenlose Werbung
Die Unternehmen lassen ihre Kunden – insbesondere Kinder und Jugendliche – jedoch auch mittels verschiedener Challenges Werbung für sich machen. Ein Beispiel ist die sogenannte „Hot-Chip-Challenge“. Objekt der Begierde ist dabei ein einzeln abgepackter Tortillachip, gewürzt mit mehreren Chilisorten, die ihm einen Scovillewert zwischen 1,8 und 2,2 Millionen verleihen. Zum Vergleich: Rote Tabascosauce hat etwa 3.750, eine Jalapeño 5.000 Scoville.
Kunden sollen sich dann filmen, wie sie den ultrascharfen Chip essen, und das Video in den sozialen Medien teilen. Fordern sie mindestens eine weitere Person zur Hot-Chip-Challenge heraus, nehmen sie automatisch an einem Gewinnspiel teil. Als Gewinn winkt das neueste iPhone.
Der Anbieter der Hot-Chips macht auf seiner Website zwar darauf aufmerksam, dass das Produkt für Kinder und Herzkranke nicht geeignet sei. Mehrere Fälle, in denen Jugendliche nach der Challenge ärztlich versorgt werden mussten, zeigen jedoch, dass sie trotzdem an die Chips gelangen. In Massachusetts verstarb sogar ein 14-jähriger Junge an einem Herzstillstand, nachdem er einen der extrem scharfen Chips aß. Einige Bundesländer verboten daraufhin den Verkauf des Produkts.
Gesundheitsbedenkliche Zusatzstoffcocktails
Doch nicht nur Chilipulver kann gefährlich werden. In ihrer Recherche entdeckte Foodwatch auch andere potenziell schädliche Inhaltsstoffe in vielen der angebotenen Süßwaren, Snacks und Getränke. „Viele der Süßigkeiten und Snacks sind die reinsten Zusatzstoffcocktails, Zutatenlisten mit bis zu zwanzig E-Nummern sind keine Seltenheit“, erklärt die Verbraucherschutzorganisation.
Künstliche Farbstoffe wie E102, E104 oder E110 können Pseudoallergien auslösen und stehen unter Verdacht, bei Kindern Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörungen auszulösen. In der EU haben Hersteller die meisten dieser Azofarbstoffe durch natürliche Farbstoffe ersetzt. In importierten Lebensmitteln, insbesondere aus den USA, sind die künstlichen Farbstoffe jedoch noch enthalten.
Weitere von Foodwatch in den Produkten gefundene Zusatzstoffe sind das Antioxidationsmittel Tert-Butylhydrochinon (E319) und der Konservierungsstoff Butylhydroxytoluol (E321). Sie könnten der Gesundheit schaden, indem sie Krebs begünstigen, die Immunabwehr beeinträchtigen oder den Hormonhaushalt des Körpers stören. Des Weiteren greift die oft in extrem sauren Süßwaren enthaltene Zitronensäure (E330) den Zahnschmelz an – in Kombination mit Zucker geradezu eine Einladung für Karies.
Fehlende Kennzeichnungen und Warnhinweise
Nun könnte man meinen, wer die Ultra-Snacks trotzdem isst, geht das Risiko auf eigene Gefahr ein. In der EU müssen schließlich wichtige Angaben zu Lebensmitteln wie Zutaten, Nährwerte, Allergene und Warnhinweise vor dem Kauf zur Verfügung stehen. Bei von Foodwatch untersuchten Online-Händlern von Süßwaren erfüllen die meisten von ihnen diese Kennzeichnungsvorgaben jedoch nicht vollständig.
„Mal gibt es keine Zutatenlisten und/oder Nährwertangaben, oft sind die Zusatzstoffe nicht ordnungsgemäß bezeichnet oder die Übersetzungen fehlerhaft oder unvollständig“, schreibt der Verein. Bei Produkten mit Azofarbstoffen fehlt zum Beispiel oft der vorgeschriebene Warnhinweis. Neben schlechten Übersetzungen ist zudem die Beschriftung vieler Produkte „so klein, dass sie mit dem bloßen Auge kaum zu entziffern ist“. Dann wird es umso schwerer, zu sehen, welche Inhaltsstoffe in dem Produkt stecken.
Neben einer Erhöhung der Mindestschriftgröße fordert Foodwatch deshalb eine effektivere Überwachung der Süßwaren-Onlineshops, ein Verbot weiterer Zusatzstoffe und Werbebeschränkungen für ungesunde Lebensmittel.