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Schlürfen erlaubt - Essen als Lebenselixier (Podcast 3)

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Nichts ist den Chinesen so wichtig wie das Essen. Im Essen spiegelt sich das Denken der Chinesen wider. Selbst junge Chinesen, die nicht mehr so tief in die Traditionen eingebunden scheinen, teilen Nahrungsmittel nicht nur nach ihrem Geschmack ein, sondern hinsichtlich ihrer spezifischen Wirkweise auf den Menschen.


Auf den Geschmack gekommen

Der Mensch – so die traditionelle Vorstellung – ist eingebunden in ein Wechselspiel aus Mikro- und Makrokosmos, bei dem sich unterschiedliche Elemente mit verschiedenen anderen Kategorien wie etwa Geschmack, aber auch Farben verbinden lassen. Solche Analogien erfreuen sich oftmals sinnentleert großer Beliebtheit in den unterschiedlichsten esoterischen Konglomeraten der westlichen Welt. Die traditionelle chinesische Medizin kennt ein System zur Regulierung der Ernährungsweise, das sich auf der Grundlage des Yin-Yang-Denkens entwickelte. Zu diesem Zweck wurden Nahrungsmittel in die drei Kategorien heiß, kühl und kalt eingeteilt. Kalorienreiche, scharfe, fette Nahrungsmittel gelten als heiß und wirken stimulierend, wohingegen wasserhaltige oder saure Gemüse- oder Obstsorten als kühl gelten. Befindet man sich nach einem ausgedehntem Zechgelage in einem überhitzten Zustand, so reicht einem ein wohlmeinender chinesischer Freund nicht einfach eine Aspirin, sondern gibt sicher gleich ein paar Zubereitungstipps für kühlende Speisen. Essen, das ist Gesundheitsprävention und Behandlung zugleich. Essen, das ist aber auch die Pflege einer jahrtausendealten Esskultur. Aufgrund der natürlichen Gegebenheiten isst man im Norden überwiegend Getreideprodukte, wie Nudeln, gedämpfte Brötchen oder Fladen. Für Chinesen aus dem Süden ist hingegen ein Tag ohne eine Reismahlzeit undenkbar. Der Spruch: »Ein Chinese isst alles mit vier Beinen außer einem Tisch und Stuhl«, trifft sicher nicht zu, obwohl die Probierlust eines westlichen Besuchers insbesondere im Süden durch allerlei exotisch anmutende Gerichte schon auf eine harte Probe gestellt werden kann.

 

Im Restaurant mit Freunden

Man isst nicht gern allein in China. Es mag vorkommen, dass man schnell allein ein Schälchen Nudeln in der Garstube an der Straßenecke einnimmt, wenn ein langer Arbeitstag zu Ende geht und daheim niemand auf einen wartet. Romantische Restaurantbesuche zu zweit sind in China eher die Ausnahme. Stattdessen gilt eigentlich, je mehr bei einem Essen zusammenkommen, umso besser. Anders als im Westen bestellt man nicht ein Gericht pro Person, die dieses dann auch allein verzehrt. Im Gegenteil: Man ordert eine möglichst große Vielfalt und probiert dann mal von diesem oder von jenem. Für den einen oder anderen Chinesen mag denn auch ein westlicher Restaurantbesuch etwas enttäuschend oder zumindest
verwirrend sein. Auf eine Speise beschränkt und dann auch noch die Suppe vor der Hauptmahlzeit, wo sie in China traditionell den Abschluss einer Mahlzeit bildet! Zwar finden sich auch in chinesischen Restaurants manchmal weiße Tischtücher, aber die Freude am Essen steht immer über einem Zwang, bloß keinen Fleck zu hinterlassen. Geräuschvoll wird die Suppe geschlürft und bis vor kurzem galt das lustvolle Schmatzen noch als Zeichen höchster Gaumenfreuden. In chinesischen Restaurants geht es oft laut zu und je nach Ort und Anlass wird auch viel zugeprostet. Ist das Essen allerdings beendet, geht man. Langes Verweilen bei einem Absacker ist nicht üblich.


Chinesische Essgewohnheiten

Der Süden lebt vom Reis, der Norden von Nudeln – so kann man auch heute noch das Land kulinarisch aufteilen. Darüber hinaus gibt es vier charakteristische regionale Küchen:
Hongkong mit Guangdong (kantonesische Küche, viel gebratenes und gegrilltes Fleisch), Sichuan (chilischarf), die Huaiyang-Küche, die am Kaiserkanal im Osten zu finden ist, eine sehr fruchtbare Region, daher gibt es einen Überfluss an Zutaten, und das Credo heißt Frische und Ausgewogenheit und die Pekinger Küche (mongolischer Einfluss mit viel Lamm, aber auch Shandong-Einfluss aus dem Nordosten Chinas mit vielen Meeresfrüchten). Die kantonesische Küche gilt als die beste und vielfältigste. Von hier stammen zum Beispiel die in Bambuskörbchen gedämpften Dim Sum-Teigtaschen, die man zu Mittag, machmal sogar zum Frühstück isst. Sehr populär ist inzwischen auch der mongolische Feuertopf aus Nordchina, der zwar eher ein Gericht für kalte Tage ist, aber auch im wärmeren Süden gerne gegessen wird. Auf dem Tisch steht ein meist kupferner Topf mit Brühe auf einem Feuer, in dem man die roh angelieferten Zutaten selbst kocht, wie bei einem Fondue. Das berühmteste chinesische Gericht ist selbstverständlich die Pekingente. Die ersten Enten, so die Legende, sollen den Getreideschiffen auf dem Kaiserkanal nach Beijing gefolgt sein, als diese jede Menge Körner verloren. Letztlich wurde ihnen ihr Appetit zum Verhängnis. Das gilt noch heute, denn sie lassen sich bereitwillig mit Füttermaschinen mästen, so dass sie bereits nach sechs Wochen dick genug sind für den Backofen, der von einem Holzfeuer erhitzt wird. Bevor man die Enten dort hineinhängt, wird zunächst Luft zwischen Haut und Fleisch geblasen, um die Haut abzulösen, damit sie besonders kross wird. Dann wird in den besseren Restaurants das Feuer gelöscht und die Enten nur von der Resthitze der Steine gegart. Anschließend müssen sie von einem speziell ausgebildeten Trancheur innerhalb von fünf Minuten in einhundert Scheiben zerlegt werden, wobei jedes Stück aus etwas Haut und etwas Fleisch zu bestehen hat. Zum Essen wickelt man die Entenstücke zusammen mit einem Stück Frühlingszwiebel und dunkler Soße in ein Fladenbrot. Die Tischsitten sind in China deutlich anders als im Westen. Schlürfen und besonders Schmatzen gelten alles andere als unfein, im Gegenteil: Es gilt als Beweis, dass es gut schmeckt. Auch Rülpsen und Zahnstochern ist durchaus schicklich. Auch in die Ecken zu spucken ist in einfachen Gaststätten noch immer gang und gäbe. Und dass der Tisch hinterher wie ein Schlachtfeld aussieht, stört ebenfalls niemanden. Nur die Nase putzt man sich nicht am Tisch. Das tut man auf der Toilette. Natürlich wird in China überall mit Stäbchen gegessen, weshalb alle Gerichte in mundgerechten Happen serviert werden. Es ist einige Übung erforderlich, um zum Beispiel in Öl gebratene Erdnüsse oder ein weich gekochtes Ei mit Stäbchen zu essen. Auch Suppen meistern Chinesen bravourös mit den beiden Holzstäben, indem sie die Suppenschale an die Lippen heben und dann mit den Stäbchen die Suppeneinlage in den Mund schieben, während sie das Flüssige trinken. Es gibt aber auch Löffel, und die sind natürlich aus Porzellan.
aus: China - Gastland der Olympischen Spiele, Chronik-Verlag


Jörg Peter Urbach, wissen.de-Redaktion

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