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Wie entspannend sind ASMR-Videos wirklich?

Millionen Menschen schauen sich zur Entspannung auf YouTube und TikTok sogenannte ASMR-Videos an. Einige Zuschauer empfinden die darin enthaltenen leisen Geräusche als angenehm, weil sie dabei ein charakteristisches Kribbeln auf der Kopfhaut und dem Nacken spüren – eine „Autonomous Sensory Meridian Response“ (ASMR). Doch was hat es mit dieser Reaktion auf sich? Wie entsteht sie? Und was bringt dies für unser Wohlbefinden?
CKR, 16.11.2023
Symbolbild ASMR-Geräusche

© Liudmila Chernetska, GettyImages

Für die einen sind die trendigen ASMR-Videos im Internet irritierend. Darin flüstern Darstellende beispielsweise beruhigende Worte, berühren ein Mikrophon mit den Fingerspitzen, tippen in einem bestimmten Rhythmus auf einer Computer-Tastatur oder simulieren diverse Situationen, etwa einen Frisörbesuch. Für andere Menschen sind diese Videos hingegen ein wichtiger Teil des Alltags. Sie schauen die Videos zum Beispiel als Einschlafhilfe oder um nach einem anstrengenden Tag zu entspannen.

Aber was ist wirklich dran an dem Phänomen der ASMR? Ein Team von Forschenden der Universitäten Bochum und Duisburg-Essen hat das nun genauer untersucht. Dafür screenten die Wissenschaftler mehr als 1.000 wissenschaftliche Artikel und analysierten 54 Facharbeiten zum Thema ASMR.

ASMT-Geräusch Brotschneiden
Ob Zeitungblättern, Chips essen, Nüsseknacken, fliessendes Wasser oder Brotschneiden – zu all diesen Sounds gibt es zahllose Videos, die für gute Laune oder Entspannung sorgen sollen.

© Liudmila Chernetska, GettyImages

Was ist ASMR?

Tatsächlich ist die von den ASMR-Videos hervorgerufene Reaktion keine Einbildung, sondern ein reales Phänomen. „Wir konnten herausarbeiten, dass es sich bei der ASMR um ein klar umschriebenes Phänomen handelt, das von vielen Menschen auf eine sehr ähnliche Weise erlebt und beschrieben wird“, erklärt Tobias Lohaus von der Ruhr-Universität Bochum. Typisch dafür ist unter anderem ein charakteristisches Kribbeln auf der Kopfhaut und dem Nacken. Die leisen Geräusche lösen zudem ein Gefühl der tiefen Entspannung und des Wohlgefühls aus.

Besonders ausgeprägt scheint diese positive Reaktion dann zu sein, wenn die leisen Geräusche rhythmisch strukturiert sind – beispielsweise in Form von regelmäßigem Tippen, Streichen oder anderen Effekten. Ob in den Videos der Mensch zu sehen ist, der diese Geräusche erzeugt, spielt dagegen eine untergeordnete Rolle. Wenn jemand zu sehen ist, hilft es allerdings, wenn dieser als sympathisch empfunden wird.

Kann jeder diese Effekte spüren?

Interessanterweise scheint nicht jeder Mensch empfänglich für ASMR zu sein. Studien zufolge reagieren nur rund 30 Prozent der Menschen auf die ASMR-Geräusche und -Videos mit dem charakteristischen Kribbeln und Wohlgefühl. Alle anderen spüren nichts oder kaum etwas. Das bedeutet auch: „ASMR-Videos sind eine durchaus vielversprechende Methode, um das Wohlgefühl zu erhöhen, wenn man ASMR wahrnehmen kann“, erklären Lohaus und seine Kollegen. Wer aber nicht zu den Empfänglichen gehört, dem bringen diese Videos eher nichts.

Warum nicht alle Menschen auf ASMR reagieren und woran dies liegt, ist bisher unklar. Es gibt aber Hinweise darauf, dass die positive Reaktion auf diese Reize eng mit Empathie und der sozialen Intelligenz verknüpft sein könnte: Wer sich im Alltag besonders gut in andere Menschen hineinversetzen kann, scheint auch stärker auf die ASMR-Reize zu reagieren. Auch eine Verbindung mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen, darunter Offenheit für neue Erfahrungen, aber auch Neurotizismus, könnte es geben.

Hat ASMR auch eine körperliche Wirkung?

In mehreren Studien zeigte sich, dass empfängliche Menschen beim Betrachten der ASMR-Videos nicht nur subjektiv eine positive Wirkung verspüren. Auch körperlich zeigen sich Anzeichen für eine Entspannung. So verlangsamt sich der Herzschlag und der Blutdruck sinkt.

Auch im Gehirn geht das ASMR-Erleben mit messbaren Veränderungen einher, wie Messungen der Hirnströme mittels Elektroenzephalografie (EEG) zeigen. Demnach kommt es bei empfänglichen Menschen zu einer Abnahme der sogenannten Delta-Wellen. Diese langsamen Hirnwellen treten normalerweise auf, wenn wir im Tiefschlaf sind, können aber auch bei bestimmten Bewusstseinszuständen im Wachen vorkommen. „Vielleicht genau jenen Bewusstseinszuständen, die sich in einer entspannten Verfassung einstellen“, mutmaßt Lohaus.

Bei Messungen der Hirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) haben Neuroforscher zudem herausgefunden, dass ganz bestimmte Hirnareale am ASMR-Erleben beteiligt sind – insbesondere bewegungsbezogene Hirnregionen und der anteriore cinguläre Gyrus, der mit Aufmerksamkeitsprozessen zusammenhängt.

Wie lange hält die Wirkung an?

„Wichtig ist jedoch zu betonen, dass wir bisher keine Studie gefunden haben, die über ASMR vermittelte Langzeiteffekte auf die psychische Gesundheit nachgewiesen hätte“, betont Lohaus. Die positive Wirkung der ASMR-Videos hält demnach meist nur kurze Zeit an. Aber immerhin: Zum Einschlafen oder zur kurzfristigen Stressbekämpfung können diese Videos demnach durchaus geeignet sein – sofern man zu den empfänglichen Menschen gehört.

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