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Wie intelligent ist künstliche Intelligenz?

Die Leistungen generativer künstlicher Intelligenzen wie ChatGPT, BARD und Co lösen Faszination und Staunen aus – selbst bei ihren Schöpfern. Denn die KI-Systeme entwickeln mit jeder Version neue, manchmal unerwartete Fähigkeiten. Das weckt die Frage, ob wir überhaupt noch verstehen, wie und warum sich KI-Systeme weiterentwickeln – und ob sie uns demnächst überflügeln werden. Doch kann eine KI überhaupt eine echte Intelligenz vergleichbar der unsrigen entwickeln?
NPO, 10.07.2023
Artificial General Intelligence

© Guillaume, GettyImages

KI-Forscher sprechen von einer „Artificial General Intelligence“ (AGI) wenn es um Systeme geht, die uns Menschen in ihren kognitiven Fähigkeiten ebenbürtig sind oder sogar übertreffen. Eine solche künstliche Intelligenz, auch als starke KI bezeichnet, verfügt nicht nur über genauso viel Wissen und Denkfähigkeit wie ein Mensch, sie kann auch vorausplanen, aus Erfahrungen lernen und sich selbstständig weiterentwickeln. Ein starkes KI-System kann nicht nur die Aufgaben lösen, sondern auch ihren Sinn verstehen, eigene Pläne und Vorgehensweisen entwickeln und verfügt über die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis.

Unerwartete neue Fähigkeiten

Lange galt eine solche allgemeine Intelligenz bei KI-Systemen als bloße Science-Fiction, allein schon, weil es den verfügbaren KI-Systemen an Flexibilität und der Fähigkeit zum selbstständigen Lernen mangelte. Mit der Entwicklung neuronaler Netze und generativer Transformer-Modelle hat sich dies jedoch gewandelt – und damit auch die Einschätzung vieler ursprünglich skeptischer KI-Forscher. „Nur wenige glaubten, dass diese Systeme tatsächlich klüger werden könnten als Menschen", sagt der britische KI-Forscher Geoffrey Hinton. "Die meisten – und auch ich – dachten, dass es bis dahin noch sehr lange dauern würde. Aber das hat sich offensichtlich geändert."

Denn gerade die künstliche Intelligenz, die hinter ChatGPT steckt, hat beim Wechsel von Version GPT-3.5 zu GPT-4 einen überraschend großen Sprung in ihren Fähigkeiten gemacht. „Obwohl es sich nur um ein reines Sprachmodell handelt, demonstriert schon die frühe Version von GPT-4 bemerkenswerte Fähigkeiten in einer Vielzahl von Gebieten und Aufgaben, darunter in Abstraktion, Verständnis, visuellen Fähigkeiten, Coding, Mathematik, Medizin und Jura, aber auch im Verstehen menschliche Motive und Emotionen“, konstatierte ein Microsoft-Forschungsteam um Sebastien Bubeck im April 2023. Sie kamen nach umfassenden Tests zu dem Schluss, dass dieses KI-System schon jetzt erste "Funken" einer allgemeinen künstlichen Intelligenz zeigt.

Selbsterklärungen und Einfühlungsvermögen

Ein mögliches Anzeichen dafür: GPT-4 kann erklären, warum es eine bestimmte Antwort gegeben hat. "Die Fähigkeit, sein eigenes Verhalten zu erklären, ist ein wichtiger Aspekt der Intelligenz“, erklären Bubeck und seine Kollegen. Denn dies erfordere Selbsterkenntnis und das Eingehen auf andere.  In den Tests erklärte GPT-4 beispielsweise, warum es ein im Portugiesischen neutrale Berufsbezeichnung mit der männlichen oder aber weiblichen Entsprechung übersetzt hatte oder auch, warum es eine Melodiefolge auf bestimmte Art ergänzt hat.

Überrascht waren die Forscher auch über die scheinbare Fähigkeit des KI-Systems, sich in menschliche Gedanken und Gefühle hineinzuversetzen. Bekam GPT-4 Situationen geschildert, in denen ein Konflikt oder ein Missverständnis zwischen zwei oder mehr Personen bestand, konnte die KI beschreiben, was in den Beteiligten vorging. "GPT-4 kann schlussfolgern, in welchem mentalen Zustand die Charaktere sind und auch erkennen, wo Fehlkommunikation und Missverständnisse liegen“, berichten die Forscher. Auch Tests zur Kreativität lösen neueste KI-Systeme inzwischen.

Braucht echte Intelligenz ein Bewusstsein?

Aber bedeutet dies auch, dass die künstliche Intelligenz wirklich versteht, was in uns Menschen vorgeht? Und verfügt sie wirklich über so etwas wie Selbsterkenntnis oder gar Bewusstsein? Denn letztlich erzeugen die generativen KI-Modelle ihre Texte oder Bilder ja auf der Basis statistischer Wahrscheinlichkeiten. Sie geben das wieder, was am ehesten zu den in ihren Trainingsdatensätzen enthaltenen Inhalten passt. Unter anderem deshalb argumentieren einige Wissenschaftler, ChatGPT und Co seien nicht einmal ansatzweise intelligent, denn sie folgen nur stur bestimmten Wahrscheinlichkeiten.

Das allerdings sehen nicht alle so: „Einige denken, dass KI-Systeme nie wirklich intelligent sein werden, weil sie nicht verstehen, was sie tun, weil sie kein Bewusstsein haben“, erklärt der Technikphilosoph Paul Formosa von der Macquarie University in Australien. „Aber die Fortschritte in der KI legen nahe, dass es auch Intelligenz ohne Bewusstsein geben kann.“ Anders ausgedrückt: Wenn ein „unverständiges“ selbstlernendes System die gleichen Leistungen zeigt wie ein wirklich intelligentes, sind die Konsequenzen für uns Menschen letztlich die gleichen.

KI als "Black Box"

Hinzu kommt, dass momentan nicht einmal die Entwickler der aktuellen KI-System verstehen, was genau in diesen vor sich geht und warum die künstliche Intelligenz manchmal neue, unerartete Fähigkeiten entwickelt.  „Wir nennen es eine ‚Black Box': Wir können nicht genau sagen, warum die KI dies sagt oder jenes falsch macht“, erklärte Google-CEO Sundar Pichai kürzlich in einem Interview des US-Senders CBS. Was das Maschinenhirn "denkt", wie es lernt und wie intelligent es ist, bleibt daher vorerst ein Rätsel.

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