wissen.de Artikel

Wie lassen sich Klimaschutz und Tierschutz verbinden?

Angesichts des Ukrainekrieges und dem Bemühen, unabhängiger von russischem Öl und Gas zu werden, führt am Ausbau der erneuerbaren Energien kein Weg mehr vorbei. Vor allem Wind und Sonne könnten Deutschland unabhängiger von Energieimporten machen. Doch gerade die Windkraft hat auch Schattenseiten und ist daher umstritten. Wo liegen die Probleme und was könnte man zur Lösung tun?
NPO, 31.03.2022
Weißwangengänse vor Windrädern

GettyImages, Schrempf2

Die Windenergie hat ein enormes Potenzial: Allein auf der Landfläche Europas gäbe es theoretisch genügend Kapazität, um den Strombedarf der gesamten Welt zu decken. Dazu kommen noch die Offshore-Anlagen, die den fast ständig wehenden Wind der küstennahen Meere nutzen. Unter anderem deshalb gilt die Windenergie als eine der tragenden Säulen der Energiewende. In Deutschland hat die Windkraft aktuell einen Anteil von rund 24 Prozent an der Gesamtstromerzeugung, er ist damit deutlich höher als der aller anderen erneuerbaren Energieformen.

„Damit wir unsere Klimaziele erreichen, ist es wichtig, diese Kapazitäten noch weiter auszubauen und möglichst viel Kohlestrom zu ersetzen“, erklärt Wolf Fichtner vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Platz genug gäbe es dafür: Einer aktuellen Studie zufolge sind bundesweit 3,6 Prozent der Fläche für die Windkraftnutzung geeignet – und dies beinhaltet nur Flächen, in denen es keine Konflikte mit dem Naturschutz beispielsweise wegen naher Vogelschutzgebiete oder Biosphärenreservate gibt oder weil geschützte Spezies dort vorkommen.

Trotzdem stockt der Ausbau der Windkraft und viele Naturschützer und Anwohner wehren sich gegen das Aufstellen von Windrädern in ihrer Umgebung. Aber warum? Und warum scheint der Widerstand in manchen Gegenden weit stärker als in anderen. Einen der Gründe für Letzteres haben Forschende bei Befragungen schon aufgedeckt: Offenbar stören sich Menschen vor allem in als besonders "schön" empfundenen Landschaften mehr an den Windrädern als in weniger idyllischen spektakulären.

Gefahr für Fledermäuse und Vögel

Über solche rein ästhetisch-psychologischen Gründe hinaus gibt es aber auch ökologische Aspekte, die die Windkraft zum Streitobjekt machen. Die deutlichsten sind die direkten Folgen von Windanlagen für Vögel und Fledermäuse:  Beobachtungen vor Ort und auch wissenschaftliche Erhebungen zeigen, dass die Windanlagen vor allem nachts und bei Dämmerung zur Todesfalle für die Vögel und Fledermäuse werden können. Die Tiere nehmen die sich schnell drehenden Rotoren nicht wahr und werden von ihnen buchstäblich erschlagen.

Die Zahlen sind erheblich: Werden die Windkraftanlagen nicht während der Nacht abgeschaltet, verunglücken jedes Jahr 300.000 Fledermäuse an Windkraftanlagen allein in Deutschland, wie ein Forschungsteam vor einigen Jahren geschätzt hat. Besonders betroffen sind dabei Fledermausarten, die im Herbst und Frühjahr durch Deutschland hindurch in ihre Winter- oder Brutquartiere ziehen.

Eine Studie zeigte jüngst zudem, dass Weibchen und Jungtiere besonders häufig Opfer von Kollisionen mit den Windrädern werden. „Diesen überproportionalen Anteil von jungen Fledermäusen unter den Schlagopfern wiesen wir bei niedriger Dichte von Windkraftanlagen in Gebieten mit Gewässern und Wäldern nach – in Gegenden also, in denen Rauhautfledermäuse sich fortpflanzen“, erklärt Studienleiter Christian Voigt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. Offenbar verwechseln die noch unerfahren Jungtiere dort die Windräder besonders leicht mit Bäumen oder werden von den Lichtern angelockt.

 Toter Rotmilan unter einer Windkraftanlage
Wahrscheinliches Windkraftopfer: Eine Untersuchung ergab, dass dieser tote Rotmilan an einer massiven Schlagverletzung starb.

Weitreichende Folgen auch für Vögel

Auch einige Vogelarten, darunter vor allem Greifvögel, kommen bei Kollisionen mit den Rotoren immer wieder zu Tode oder werden verletzt. In den USA haben Forscher ermittelt, dass die Auswirkungen des Vogelschlags weit über den Standort der jeweiligen Anlage hinausreichen. So stellten sie unter anderem bei Schleiereulen und Steinadlern fest, dass auch weiter entfernte Populationen durch den Verlust von Einzeltieren beeinträchtigt werden können.

Allerdings gibt es auch Tiere, die von den Windanlagen profitieren. So nutzen Seehunde und einige Robbenarten Offshore-Windanlagen offenbar gezielt als Jagdrevier. Sie schwimmen zwischen den Turbinen umher und suchen dort nach Beute. An Land könnten einige Echsenarten und Kleinsäuger zu den Profiteuren der Windkraft gehören: Weil in den Anlagen weniger Greifvögel unterwegs sind, können sie ungestörter nach Nahrung suchen und vermehren sich entsprechend stärker, wie eine Studie aus dem USA ergeben hat.

Windpark Smola in Norwegen
Auf der norwegischen Insel Smøla wurde versuchsweise an vier Windkraftanlagen einer der drei jeweils 40 Meter langen Rotorflügel schwarz angestrichen. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe von vier benachbarten, farblich unveränderten Windrädern wurden an den modifizierten Rotortürmen insgesamt 70 Prozent weniger Todesfälle unter Vögeln registriert.

GettyImages, Photobes

Es gibt Lösungen

Aber wie lässt sich das Dilemma zwischen Tierschutz und Klimaschutz lösen? Muss eines dem anderen geopfert werden? Keineswegs, wie inzwischen mehrere Studien und Feldversuche ergeben haben. Denn viele tierische Todesfälle in Windanlagen lassen sich schon durch relativ einfache Anpassungsmaßnahmen vermeiden.

Dazu gehört, dass Windräder möglichst nicht direkt in Waldnähe oder an Standorten mit guter Thermik aufgestellt werden sollten. Denn dort halten sich manche Fledermausarten und auch Greifvögel bevorzugt auf. Zusätzlich wird empfohlen, die Anlagen bei wenig Wind ganz abzuschalten – besonders in der Dämmerung und nachts. Denn gerade dann fliegen besonders viele Fledermäuse in die Anlagen, um dort Insekten zu fangen. Da die Turbinen bei sehr wenig Wind ohnehin nicht viel Strom erzeugen, wäre dies eine vertretbare Kompromisslösung.

Auch die Färbung der Rotoren könnte gegen unnötiges Tiersterben helfen: Ein Feldversuch in Norwegen hat ergeben, dass schon ein schwarzes Rotorblatt pro Windrad die Kollisionsgefahr bei Vögeln um bis zu 70 Prozent verringern kann. Die Vögel sehen die sich bewegenden Rotoren vor dem hellen Himmel besser und können dadurch rechtzeitig ausweichen. Auch ein teilweise dunkel angestrichener Schaft der Windturbinen kann die Kollisionsgefahr senken.

Mehr Artikel zu diesem Thema

Weitere Lexikon Artikel

Weitere Artikel aus dem Großes Wörterbuch der deutschen Sprache

Weitere Artikel aus dem Wahrig Synonymwörterbuch

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Vornamenlexikon