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"Entartete Kunst" am Pranger

Vor 80 Jahren begann in München die nationalsozialistische Propaganda-Ausstellung "Entartete Kunst": Gezeigt wurden Exponate, die das NS-Regime als "volksverderblich" verurteilt und in einer beispiellosen "Säuberungsaktion" aus deutschen Museen entwendet hatte. Die betroffenen Künstler wurden systematisch ausgegrenzt und verfolgt. Viele ihrer Werke sind bis heute verschollen.
DAL, 19.07.2017

Joseph Goebbels 1938 beim Besuch der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ in Berlin.

Gemeinfrei

Am 19. Juli 1937 eröffnet Adolf Hitler gemeinsam mit Propagandaminister Joseph Goebbels eine Ausstellung mit über 700 Meisterwerken moderner Künstler. Bilder großer Maler wie Kandinsky, Dix, Chagall, Klee oder Kirchner hängen dicht gedrängt im Galeriegebäude des Münchner Hofgartens aus. Sie werden dort jedoch nicht zur Schau gestellt, um bestaunt und bewundert zu werden. Ganz im Gegenteil: Die Präsentation der Werke dient einzig und allein ihrer Diffamation. Kommentierende Beschriftungen wie "Verniggerung", "moralische Schweinerei" oder "absolute Dummheit" machen unmissverständlich deutlich, wie die Exponate bewertet werden sollen.

Das Gegenstück zu der im Hofgarten verunglimpften Kunst kann die deutsche Bevölkerung nur wenige Meter entfernt im "Haus der Deutschen Kunst" besichtigen. Konzipiert als doppelte Propagandaschau werden in den beiden Ausstellungen Ideal und "Entartung" geschickt konterkariert. Als "entartet" gilt den Nationalsozialisten das gesamte Spektrum zeitgenössischer Kunst - vom Expressionismus, über den Kubismus, bis hin zum Dadaismus und der Neuen Sachlichkeit.

Van Goghs Bildnis des Dr. Gachet gelangte 1937 aus dem Frankfurter Städel in die Privatsammlung Hermann Görings, der das Werk später ins Ausland verkaufte.

Gemeinfrei

Raubzug durch deutsche Museen

All diese Strömungen stehen nach Ansicht des NS-Regimes für eine "undeutsche", "volksverderbende" Ästhetik, die der "arischen" Kultur widerspricht und folglich ausgemerzt werden muss. "Von diesen Werken den nationalen Kunstbesitz zu befreien, ist eine heilige Pflicht", verkündet Hitler in seiner Eröffnungsrede. Tatsächlich sind die Nationalsozialisten im Sommer vor 80 Jahren bereits seit einiger Zeit dabei, Deutschland von als "entartet" eingestufter Kunst zu "säubern", wie sie es nennen. Mit der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 haben sie angefangen, Ausstellungen und Auktionen zu verhindern und unliebsamen Künstlern Malverbote zu erteilen.

Diese Politik erreicht mit der Ausstellung "Entartete Kunst" einen neuen Höhepunkt. Vorbereitet und begleitet wird die Aktion durch einen beispiellosen Raubzug durch deutsche Museen. Innerhalb von drei Monaten beschlagnahmen die von Goebbels beauftragten Kommissionen über 20.000 Werke von etwa 1.400 Künstlern - dabei plündern sie Häuser wie das Folkwang-Museum in Essen, die Kunsthalle in Hamburg und die Nationalgalerie in Berlin.

Der Turm der blauen Pferde von Franz Marc, 1913

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Von Kandinsky bis Kirchner

Nicht nur die großen Namen von Kandinsky bis Kirchner sind von dieser umfassenden "Säuberung" betroffen. Vom NS-Regime werden auch viele unbekanntere Künstler degradiert, die heute längst in Vergessenheit geraten sind. Ihr Vermächtnis ist für immer verloren, denn ihre vermeintlich wertlosen Werke werden von den Nazis oftmals verbrannt.

Mit der "Schmähkunst" bekannterer Künstler versucht das Regime dagegen Profit zu machen. Noch während die Ausstellung in den kommenden Jahren mit wechselnden Exponaten durch zwölf weitere Großstädte tourt, werden etliche der beschlagnahmten Kunstwerke an Sammler im Ausland verkauft - und das völlig legal. So sorgen die Nationalsozialisten mit dem "Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst" im Mai 1938 dafür, dass die Enteignungen nachträglich eine gerichtliche Grundlage erhalten.

 

Franz Marcs Aquarellstudie „Pferde in Landschaft“ aus dem Schwabinger Kunstfund.

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Verschollene Kunstwerke

Der Verbleib vieler der damals beschlagnahmten Werke ist bis heute ungeklärt. Andere sind im Laufe der Zeit wieder aufgetaucht - zuletzt erlangte in diesem Zusammenhang der sogenannte "Schwabinger Kunstfund" öffentliche Aufmerksamkeit. In der Wohnung des 2014 verstorbenen Cornelius Gurlitt, Sohn des ehemaligen Kunsthändlers Hitlers, Hildebrand Gurlitt, konnte die Staatsanwaltschaft zahlreiche seit 1945 als verschwunden geltende Werke sicherstellen. Bei rund 500 davon besteht zumindest der Verdacht, dass es sich um Raubkunst handeln könnte.

Für die Urheber der "entarteten Kunst" geht es in der NS-Zeit jedoch oft um viel mehr als nur um ihre Werke: Sie werden systematisch verfolgt, in den Suizid getrieben oder in Vernichtungslagern ermordet. Der Maler und Bildhauer Otto Freundlich etwa, dessen Plastik "Der neue Mensch" auf dem zur Münchner Schau erschienenen Ausstellungsführer abgebildet ist, wird 1943 im polnischen KZ Lublin-Majdanek umgebracht.

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