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Beschneidung - die ethische Perspektive
Ist die Entfernung der männlichen Vorhaut ein Ausdruck von Religionsfreiheit, oder handelt es sich dabei um Körperverletzung? Wiegt das Erziehungsrecht der Eltern schwerer oder das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit? Im Mai 2012 entschied das Kölner Landesgericht zugunsten des Kindes. Sein körperliches Wohlergehen habe Vorrang, deshalb sei die Beschneidung aus religiösen Gründen als Körperverletzung zu bewerten. Trotzdem ging der Arzt straffrei aus, denn die Rechtslage zum Thema ist bislang unklar. Der Angeklagte habe in einem „unvermeidbaren Verbotsirrtum und damit ohne Schuld“ gehandelt. Das Urteil erregte nicht nur in Deutschland, sondern auch international große Aufmerksamkeit. Schließlich handelt es sich bei der Beschneidung von Knaben um eine jahrtausendealte Praxis, die vor allem für Juden und Muslime zentraler Bestandteil ihrer religiösen Identität ist. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist weltweit insgesamt rund ein Drittel der männlichen Bevölkerung beschnitten, meist aus religiösen Gründen, teils aus medizinischen oder auch ästhetischen Gründen. Kritiker sprechen von atavistischen Sitten, einige gar von Genitalverstümmelung, ein Begriff, der bislang vor allem für die Beschneidung von Frauen und Mädchen verwendet wurde. Dieser Eingriff ist weitaus gravierender und wird von zahlreichen Staaten als Straftat verfolgt.
Beschneidung im Judentum (Brit Mila)
Islam und Beschneidung
Beschneidung des Herrn (Circumcisio Domini)
Bei den Christen markiert die Taufe den Eintritt des Kindes in die Gemeinschaft. Blut wird durch Wasser ersetzt. Doch auch die christliche Kirche kennt Beschneidungen. So waren die Urchristen nach dem Vorbild Jesu beschnitten, der nach jüdischem Brauch am 8. Tag nach der Geburt, also am 1. Januar beschnitten (Lukas 2,21) wurde. Noch heute feiern zahlreiche christliche Religionsgemeinschaften an Neujahr die „Beschneidung des Herrn“. In der katholischen Kirche wurde das Fest bis 1969 gefeiert, dann fiel es der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) zum Opfer.
Operation oder Körperverletzung
Ob es sich bei einer Beschneidung aus religiösen Gründen um Körperverletzung handelt, wird in deutschen Medizinerkreise spätestens seit 2008 diskutiert. Damals erschien im Deutschen Ärzteblatt ein Artikel zum Thema „Zirkumzision bei nicht einwilligungsfähigen Jungen: Strafrechtliche Konsequenzen auch bei religiöser Begründung“. Immerhin gilt in Deutschland seit einer Reichsgerichtshofentscheidung von 1894 (RG St 25, 375) jeder ärztliche Heileingriff von der Untersuchung über die Impfung bis hin zur Operation als Körperverletzung und ist damit strafbar – es sei denn, der Eingriff ist medizinisch indiziert und es liegt eine wirksame Einwilligung des Patienten vor, außerdem muss der Eingriff nach den Regeln der Kunst (lege artis) durchgeführt werden.
Beschneidung und Ohrlochstechen
Die aktuelle Rechtsunsicherheit in Deutschland führt dazu, dass die meisten Ärzte und Kliniken den Eingriff derzeit verweigern. Umso intensiver diskutieren Mediziner und Religionswissenschaftler, Politiker, Ethiker und Juristen Grundsätzliches. Dazu passte die Nachricht von einem weiteren Urteil: ein Berliner Richter wertete das Ohrlochstechen bei einer Dreijährigen ebenfalls als Körperverletzung und sprach dem Kind ein Schmerzensgeld von 70 Euro zu. Zwar habe sich die Kleine zu ihrem 3. Geburtstag Ohrlöcher gewünscht, doch habe sie nicht abschätzen können, worauf sie sich da einlasse. In seiner Begründung beruft sich das Gericht ausdrücklich auf das Kölner Beschneidungsurteil. Auch bei den Beratungen des Deutschen Ethikrates wurde Ende August 2012 die Jungenbeschneidung im Zusammenhang mit dem Ohrlochstechen diskutiert.
Die UNICEF fordert seit Jahren eine Verankerung der Kinderrechte im deutschen Grundgesetz, denn bislang haben Kinder in Deutschland nur abgeleitete Rechte und keine eigene verfassensrechtliche Stellung. Langfristig könnte die Beschneidungsdebatte also die Rechte aller Kinder in Deutschland stärken, unabhängig von Religion, Geschlecht oder Herkunft.
Den Artikel: "Beschneidung - die Perspektive der Medizin" können Sie hier nachlesen.