Wissensbibliothek
Literatur um 2000: Quantität statt Qualität
Wie lässt sich die aktuelle Literatur charakterisieren?
Sie ist vor allem durch ein Merkmal gekennzeichnet: äußerste Disparität. Es gibt kaum erkennbare literarische »Strömungen« mehr, die »Demokratisierung« der Literatur scheint auf die Spitze getrieben.
Welche neuen Publikationsformen gibt es?
Die Disparität der aktuellen Literatur zeigt sich nicht nur in inhaltlicher Hinsicht, sondern auch in einer neuen Vielfalt von Publikationsformen. Neben der klassischen Veröffentlichung haben Digitalisierung und Internet ganz neue Wege geschaffen, auf denen ein Autor sein Publikum erreichen kann. So gibt es Book on Demand, bei dem ein Werk in digitaler Form vorliegt und nur auf Bestellung gedruckt wird. Autoren können aber auch ins Internet gehen und dort ihre Werke weltweit verfügbar machen. Die technischen Möglichkeiten haben schließlich mit der Netzliteratur auch eine neue Art der Literatur hervorgebracht, die sich durch eine ganz neue formale wie inhaltliche Gestaltung auszeichnet.
Ist die Literatur schlechter geworden?
Nein, es wird nur mehr schlechte oder überflüssige Literatur gedruckt. Gute Literatur gibt es ohne Frage immer noch, es ist nur schwieriger geworden, sie aus dem Gesamtangebot herauszufischen.
Gibt es überhaupt noch prägende Trends?
Literarische Trends ausmachen zu wollen, scheint angesichts des gigantischen Ausstoßes ein hoffnungsloses Unterfangen. Außerdem hat die Postmodernismus-Debatte seit den 1980er Jahren gelehrt, dass wirklich originär Neues ohnehin nicht mehr zu schaffen ist. Die postmoderne Literatur von Schriftstellern wie Umberto Eco, Italo Calvino, Thomas Pynchon oder Paul Auster setzt so auf eine Collagierung unterschiedlichster textueller Versatzstücke. Diese Literatur will auf hohem Niveau unterhaltsam sein und dabei aufzeigen, dass die Realität nur ein Konstrukt ist, das jeder Einzelne für sich selbst aus seinen Erfahrungen heraus erschaffen hat.
Womit beschäftigt sich die Popliteratur?
Auch die so genannte Popliteratur will unterhalten. Junge Autoren wie Benjamin von Stuckrad-Barre (»Soloalbum«, »Livealbum«), Alexa Hennig von Lange (»Relax«), Selim Özdogan, Christian Kracht und Eckhard Nickel versuchen, mit ihren Büchern aber auch dem Zeitgefühl ihrer Generation nachzugehen. Thematisch geht es um die moderne Konsumkultur und die mit ihr verbundene Krise der Identitätsfindung.
Was bedeutet die Entwicklung des Internets für die Literatur?
Zunächst mal neue Vertriebswege. Mit der Etablierung des World Wide Web (WWW) hat sich eine Internet-Literatur in verschiedenen Ausprägungen entwickelt. So nutzen Verfasser »herkömmlicher« Literatur das Medium als zusätzliches Veröffentlichungsmittel: Für unbekannte Autoren ist die Internet-Präsentation eine gute Möglichkeit, an die Öffentlichkeit zu treten; für etablierte Autoren bietet eine Online-Publikation die Chance, mit Lesern in direkten Kontakt zu treten und neue literarische Formen auszuprobieren (wegweisend sind die Homepages von Douglas Coupland und das von Februar 1998 bis Januar 1999 täglich aktualisierte Online-Tagebuch »Abfall für alle« von Rainald Goetz).
Was unterscheidet die Literatur im Internet von der herkömmlichen?
Die neuen technischen Möglichkeiten. So ist mit der Internet-Literatur eine ganz neue literarische Gattung entstanden, die für das Internet erstellt wurde und ohne es nicht gelesen werden kann. Merkmal der »Hyperfiction« ist der Einsatz der technischen Möglichkeiten für kreative Zwecke. Die neuen literarischen Erscheinungsformen reichen von Textapparaten, durch die man sich in beliebiger Richtung bewegt, bis zu Werken, die durch multimediale Elemente ergänzt sind; von »Abenteuer-Literatur«, in der sich der Leser wie in einem Adventure-Game interaktiv bewegt, bis zu kollaborativen, also von mehreren Autoren verfassten Schreibprojekten, in die oft die Leser eingreifen dürfen. Damit wird auch die Rolle des Autors neu definiert.
Was wollen die Verlage?
Die Überproduktion der Verlage, eines der größten Strukturprobleme der Buchbranche in den 1980er und 1990er Jahren, ist noch nicht vom Tisch. Der Markt wird nach wie vor mit Büchern überschwemmt, die in mittelgroßer Auflage hergestellt, mit der Hoffnung auf einen Überraschungserfolg halbherzig beworben werden und dann – nachdem dieser (soll man sagen natürlich?) ausgeblieben ist – bald in den Wühltischen, im Modernen Antiquariat oder gleich auf der Müllhalde landen. Denn auch das ist eine bittere Wahrheit: Wegen hoher Lagerkosten ist es unter dem Strich billiger, Bücher gleich wegzuwerfen, als sie zum halben Preis zu verkaufen.
Wussten Sie, dass …
Paul Auster auch als Drehbuchautor – u. a. für die beiden Filme »Smoke« und »Blue in the Face« – erfolgreich ist?
Rainald Goetz vor allem durch seinen spektakulären Auftritt beim Literaturwettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis 1983 in Klagenfurt berühmt wurde, bei dem er sich während der Lesung mit einer Rasierklinge die Stirn aufritzte?
Alexa Hennig von Lange ihre Karriere beim Fernsehen begann und für die Serie »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« schreibt?

Drohnen für Profis
Bislang galten kleine Flugobjekte vor allem als Spielerei. Doch bessere Technik und zweckmäßige Vorschriften schaffen die Grundlage für immer mehr nützliche Anwendungen. von Tim Schröder Für eingefleischte Angler, die an einem See geduldig darauf warten, dass ein Fisch anbeißt, ist die Aguadrone sicher nichts. Doch wer vor der...

Abgenabelt
Die für schwimmende Häuser notwendige Technik haben Forscher aus Brandenburg und Sachsen entwickelt – und auf einem See in der Niederlausitz realisiert.
Der Beitrag Abgenabelt erschien zuerst auf wissenschaft.de.