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Miles Davis' Bitches Brew: Synthese von Jazz und Rock

Warum war der Jazz am Scheideweg angelangt?

In den 1960er Jahren hatte der Jazz zum ersten Mal ernsthaft Konkurrenz bekommen. Noch in den späten 1950ern ließ man sich von New York bis Paris mit jazzigen Klängen berieseln. Ob in der Bar oder bei berühmten Festivals wie Newport – Jazz war die Musik kulturell interessierter, trendbewusster Kreise. Wenige Jahre später war alles anders. Zum einen hatten die Jazzmusiker den Sprung in die freie Improvisation gewagt. Das war als Akt künstlerischer Emanzipation verständlich, aber kaum noch konsumierbar. Auf der anderen Seite hatte die Popmusik der Beatles und ihrer raueren Kollegen die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der Rock'n'Roll war noch ein Nischenphänomen gewesen, Woodstock aber hatte Hunderttausende versammelt.

Welche Entwicklungen gab es in der Jazz-Szene der 1960er Jahre?

Der kommerziell erfolgreichen Konkurrenz musste der Jazz eine eigene musikalische Kreativität entgegensetzen. Musiker wie Quincy Jones, Lee Morgan, Horace Silver, George Benson und der junge Herbie Hancock arrangierten sich und schrieben Jazzhits (»Song For My Father«, 1964; »The Sidewinder«, 1965).

Doch ab Mitte der Sechziger setzte eine neue Entwicklung ein, die Szenen begannen sich zu vermischen. Denn die Elektrifizierung der Musik, die sich rasant verändernde Studiotechnik, die Soundmöglichkeiten neuer Instrumente wie Fender Rhodes und Synthesizer boten für die Musiker beider Seiten faszinierende Möglichkeiten. Darüber hinaus verschwammen mit stilistischen Experimentatoren wie zum Beispiel Charles Lloyd oder Jimi Hendrix die Grenzen zwischen den Gattungen. Jazz und Rock näherten sich an. Und sie fanden mit »Bitches Brew« ihr künstlerisches Manifest.

Welche stilbildenden Einflüsse brachte Miles Davis ein?

Seit Miles Davis (1926–1991) um 1945 in der Bebop-Szene Fuß gefasst hatte, veränderte der Trompeter, Komponist und Bandleader mit Gespür für unterschwellige Trends die Stilgeschichte des Jazz. Mehrmals sorgten seine Alben für einen Neuansatz. »Birth of the Cool« (1949/50) galt als Ausgangspunkt des Cool Jazz. »Kind of Blue« (1959) führte die modale, an Kirchentonarten des Mittelalters orientierte Spielweise ein. »Sketches of Spain« (1960) verband Flamenco mit Jazz in ungewöhnlicher Orchestrierung und die berühmten Quintett-Alben von 1967/68 (»Sorcerer«, »Nefertiti«, »Filles de Kilimanjaro«) öffneten den Blick auf den elektrischen Sound. »In a Silent Way« (1969) schließlich experimentierte bereits deutlich mit rockigen Stilmitteln. Ende der 1960er Jahre war Miles Davis der erfolgreichste Musiker des modernen Jazz.

In welcher kreativen Atmosphäre entstand »Bitches Brew«?

Vom 19. bis zum 21. August 1969 fand in New York eine wegweisende Session statt. Miles Davis hatte junge Spitzenmusiker im Studio versammelt, unter anderem die Keyboarder Chick Corea und Joe Zawinul, den Saxofonisten Wayne Shorter, Dave Holland am Bass und abwechselnd Jack De Johnette, Lenny White und Charles Alias am Schlagzeug. Es wurden besondere Tage: »Mann, diese Aufnahmesession war wahnsinnig […] Es war eine Jam Session wie in den alten Bebop-Zeiten im Minton's. […] Ich notierte nur Bruchstücke, aber nicht, weil ich nicht wusste, was ich wollte; vielmehr war mir klar, dass meine Vorstellungen aus einem Prozess wachsen müssten und nicht aus irgendwelchem vorrangigen Scheiß. Diese Session war reine Improvisation, und das macht den Jazz so aufregend.«

Das Experiment glückte, denn es kam tatsächlich wirklich alles zusammen: die passenden Musiker, das ekstatisch psychedelische Lebensgefühl der Hippie-Ära, die inspirierende Kraft des Neuen und der Spaß an ausgedehnten Improvisationen. »Bitches Brew« verband mühelos die Stilvorstellungen verschiedener Lager und avancierte schnell zu einer der meistverkauften Platten des Jazz.

Gelang die Symbiose von Jazz und Rockmusik?

Für einen Moment schien es, als ob sich die Authentizität der Rockmusik und die Intellektualität des Jazz dauerhaft verbinden würden. Miles Davis wurde zum Popstar, stand mit Grateful Dead (»Black Beauty – Miles Davis at Fillmore West«, 1970) oder beim Rockfestival Isle of Wight (1970) auf der Bühne. Eine Zusammenarbeit mit Jimi Hendrix scheiterte nur am frühen Tod des Gitarristen. Die Kommerzialisierung der Musikbranche führte jedoch dazu, dass die kreative Aufbruchstimmung der frühen Siebziger immer deutlicher zum reinen Geschäft verflachte. Miles Davis zog sich 1975 für fünf Jahre aus der Szene zurück. Der Jazzrock boomte in entschärfter Version als »Fusion« weiter. Und »Bitches Brew« wurde zum musikgeschichtlichen Denkmal einer bewegten, innovativen Ära.

Wussten Sie, dass …

Miles Davis ein »cooles« Auftreten kultivierte? Dem Publikum kehrte er gelegentlich den Rücken zu und bei Soli seiner Musiker ging er schon mal von der Bühne.

der Regisseur Louis Malle Davis dazu überredete, die Filmmusik für »Fahrstuhl zum Schafott« (1957) zu komponieren und aufzunehmen?

Was waren die wichtigsten Stationen in Miles Davis' Musikerlaufbahn?

Miles Dewey Davis III. wurde am 26. Mai 1926 in Alton, Illinois, in ein begütertes Elternhaus geboren. 1944 ging er nach New York, spielte bald Bebop in Charlie Parkers Quintett. 1949 gab er mit »Birth of the Cool« den Anstoß für die Entwicklung des Cool Jazz. In den 1950ern lähmte eine beginnende Drogenabhängigkeit seine Kreativität, bis er sich 1955 mit dem Miles Davis Quintett zurückmeldete. Er nahm das Album »Round About Midnight« auf, avancierte zum Star. 1957 folgt mit »Miles Ahead« ein weiterer großer Erfolg, 1959 komplettiert durch das legendäre Album »Kind of Blue«. 1969 nahm Davis das Fusionalbum »In a Silent Way« mit Rockmusikern auf. Die 1970er waren künstlerisch und gesundheitlich schwierig, aber in den 1980ern meldete sich Miles zurück. Er starb am 28. September 1991 in Santa Monica, Kalifornien.

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